OGH-Urteil: Zwei Mamas, nur ein Sorgerecht

OGH-Urteil: Zwei Mamas, nur ein Sorgerecht
Ein lesbisches Paar darf sich die Obsorge für das leibliche Kind einer Partnerin nicht teilen. Die beiden fühlen sich diskriminiert.

Wie müssen gute Eltern sein? Liebevoll,verantwortungsbewusst, fürsorglich. Wer Kaya Voss (38) und Carolin Grass (39) nur kurz zusieht, wie sie mit ihrem zweijährigen Alex* spielen, der hat genau diesen Eindruck: Hier kümmern sich wohlwollende Eltern um ihren quirligen Sohn.

Doch das Wort „Eltern“ ist hier fehl am Platz. Das bescheinigte zumindest der Oberste Gerichtshof (OGH) dem Paar: Die Wienerinnen, die seit acht Jahren unter einem Dach leben, können sich die Obsorge für das leibliche Kind einer Partnerin nicht teilen. Dies sehe das Sorgerecht nicht vor, und das sei auch nicht diskriminierend, sagen die Höchstrichter.

Die Entscheidung war nicht nur für Voss und Grass ein herber Schlag. Sie betrifft Dutzende Familien in Österreich, die unter dem Label „Regenbogenfamilien“ stehen. Das sind homosexuelle Paare, die Kinder haben oder bekommen, und die um rechtliche Anerkennung als Eltern kämpfen.

 

Fortpflanzungsverbot

OGH-Urteil: Zwei Mamas, nur ein Sorgerecht

„Ich bin maßlos enttäuscht. Immerhin sagt mir nun das Höchstgericht, dass ich kein Elternteil bin“, sagt Carolin Grass. Die technische Angestellte, die gerade in einem Konzern die Karriereleiter hochklettert, gründete vor zwei Jahren mit ihrer Partnerin eine Familie. Für zwei Frauen ist das in Österreich unmöglich. Eine künstliche Befruchtung für lesbische Paare ist hierzulande verboten. Um die Hürde zu überwinden, weichen Paare deshalb ins Ausland aus. Ein Institut in Dänemark verwirklichte den Kinderwunsch der beiden Frauen. Voss, die leibliche Mutter, hat die Obsorge durch Geburt, Grass ist ebenfalls eine glückliche Mama, aber rechtlich gesehen eine Fremde.

„Es war ein unbeschreibliches Gefühl, unseren Sohn nach der Geburt im Arm zu halten“, erzählt Voss. Das Paar beantragte im Frühjahr 2011 das gemeinsame Sorgerecht. Alex hätte wie andere Kinder zwei Obsorgeberechtigte haben sollen. Aus nachvollziehbaren Gründen: „Was ist, wenn ich sterbe oder krank werde?“, sagt die leibliche Mutter, Kaya Grass. Aber auch aus praktischen Gründen: „Nur Obsorgeberechtigte bekommen Auskünfte im Spital, müssen Unterhalt zahlen. Uns geht es um Alex“, sagt Voss.

 

Kritik

OGH-Urteil: Zwei Mamas, nur ein Sorgerecht

Doch das Bezirksgericht Donaustadt, das Landesgericht für Zivilrechtssachen und schließlich der OGH sprachen Recht. Die Höchstrichter begründeten das so: Auch bei heterosexuellen Paaren gebe es kein gemeinsames Sorgerecht, wenn ein Partner ein Kind in die Beziehung mitbringe. „Das Urteil ist grundrechtlich bedenklich“, kritisiert die Anwältin des Paares, Doris Einwallner. Sie hält den Vergleich der Höchstrichter für ungeeignet: „Hier wurde kein Kind in die Beziehung mitgebracht.“ Im Gegenteil: Das Kind entstand in der Beziehung. Hätte ein heterosexuelles Paar, unterstützt von der reproduktiven Medizin, ein Kind bekommen, wäre eine gemeinsame Obsorge möglich.

Außerdem findet Einwallner die Argumentation des OGH widersprüchlich. Immerhin forderten die Höchstrichter den Verfassungsgerichtshof (VfGH) auf, das Verbot der Samenspende für Lesben zu kippen. Der VfGH hat noch nicht entschieden. Dann, so folgert Einwallner, müsse der OGH aber auch für die gemeinsame Obsorge für homosexuelle Paare sein.

Anlaufstelle

Barbara Schlachter erging es ähnlich. Ein Bezirksrichter sprach sich gegen ihren Wunsch aus, sich die Obsorge mit ihrer Partnerin zu teilen. Die Wienerin gründete daraufhin den Verein „Familien Andersrum Österreich“, kurz „Famos“, für alle, die ähnliche Erfahrungen sammelten, sich austauschen oder vernetzen wollen. „Das Kindeswohl wird hier nie geprüft“, sagt Schlachter.

Grass würde sich wünschen, dass „wir endlich einmal von einem Gericht auch angehört werden“. Das folgt nun. Juristin Einwallner will den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tragen. „Wir werden weiterkämpfen“, sagt Grass. Dass die gesellschaftliche Realität der juristischen voraus ist, bestätigt sich für viele Regenbogenfamilien tagtäglich. Grass: „Ich habe in Spitälern oder im Kindergarten noch nie eine negative Erfahrung gemacht.“

* alle Namen geändert

Wussten Sie, dass...

... das Wort Regenbogenfamilie im Jahr 2009 in den Duden aufgenommen wurde. Darunter versteht man laut dem Wörterbuch eine „Familie mit gleichgeschlechtlichem Elternpaar“.

... es in Österreich für lesbische Paare verboten ist, eine künstliche Befruchtung vornehmen zu lassen. Der Verfassungsgerichtshof könnte das Fortpflanzungsverbot für lesbische Paare noch heuer kippen.

... Österreich in Sachen homosexueller Pflegeeltern ein gespaltenes Land ist. Gleichgeschlechtliche Zieheltern kommen nur in Wien und Oberösterreich infrage. In den restlichen Bundesländern gibt es keine gleichgeschlechtlichen Pflegeeltern. In Wien hat die zuständige MA 11 durchwegs positive Erfahrungen gemacht.

... homosexuelle Paare keine Möglichkeit auf die Adoption eines (Stief-)Kindes haben. Das ist in Österreich nur heterosexuellen Paaren vorbehalten. Gemeinschaftliche Adoptionen sind in vielen Ländern, etwa in Belgien, Island, den Niederlanden, Norwegen, Schweden oder Großbritannien erlaubt.

... Kinder in Regenbogenfamilien in den allermeisten Fällen eine gute Entwicklung ihrer Persönlichkeit, in der Schule sowie im Beruf aufweisen. Gleiches gilt für die soziale und emotionale Intelligenz des Kindes. Das besagt eine Studie des deutschen Justizministeriums zum Thema „ Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften “. Das Fazit: Eine „ homosexuelle Orientierung von Eltern ist zwar kein Garant, doch ... auch kein Hinderungsgrund für eine gelingende Elternschaft und eine Familie, die dem Wohl des Kindes dienlich ist “.

... es in Wien den Verein „Familien Andersrum Österreich“ gibt, der sich für die Interessen von Regenbogenfamilien stark macht und über ihre Homepage erreichbar ist.

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