Ein Stück Miteinander

Ein Stück Miteinander
Behinderte und nicht-behinderte Menschen treten in einer gemeinsamen Musical-Show auf

Generalprobe für einen großen Abend: Sie singt von der Liebe. Und er spürt das, eindeutig. Auch wenn er sie nicht hören kann. Auch wenn er selbst nicht mitsingen kann. Weil er gehörlos ist.

Sie ist Studentin am Wiener Konservatorium Sunrise_Studios, er ist Rollstuhlfahrer und Mitglied des Clubs behinderter Menschen und ihrer Freunde. Gemeinsam treten sie mit vielen anderen am Freitagabend im Haus der Begegnung beim Wiener Praterstern auf. Ihr Repertoire reicht von der Rocky Horror Picture Show bis zum Dschungelbuch.

Haus der Begegnung – wie treffend. „Wir wollen behinderten Menschen Zugang zum Musical verschaffen“, erklärt Renate Christ, Leiterin der Magistratsabteilung 40, verantwortlich für soziale Belange in Wien. Mehr als hundert Rollstuhlfahrer und ebenso viele Begleiter werden erwartet.

Zutritt nicht möglich

Das ist außergewöhnlich. Denn der Zugang zu kulturellen Angeboten bleibt den Behinderten in Österreich meist verwehrt. Während Rollstuhlfahrer etwa beim Fußball im Ernst-Happel-Stadion schöne Plätze vorfinden, bleiben ihnen die großen Theater so gut wie versperrt. Maximal vier Plätze sind für sie von der Feuerpolizei genehmigt. Und die teilen sich angeblich immer dieselben Personen.

„Ich habe noch nie mit behinderten Menschen gearbeitet“, sagt die Musical-Studentin Julia Wartinger nach der euphorischen Generalprobe. Seit Anfang September wird gemeinsam geprobt, zuletzt sehr intensiv. Die Studentin gibt zu: „Mir war das am Anfang ein bisserl unangenehm. Aber dann haben wir mit dem gehörlosen Andy und mit den anderen zu proben begonnen, die waren von Anfang an mit so viel Begeisterung dabei. Das war auch mitreißend für uns.“

Christine Radosztics, die sich mit dem Sprechen, nicht aber mit dem Denken schwertut, stimmt zu: „Das alles ist schön, weil Behinderte und Nicht-Behinderte etwas gemeinsam erarbeitet haben.“ Ihr Kollege Karl Hons, der ebenfalls im Rollstuhl sitzt, deutet auf sein schwarzes T-Shirt, dann sagt er: „Ich bin ja mehr für Heavy Metal und Rapid, aber das hier ist auch groß.“

Lächeln inklusive

Klaus Widl, der Obmann der Selbsthilfegruppe, zeigt sich zufrieden: „Wir werden am Freitag nicht unsere Defizite, sondern unsere Stärken und Talente auf die Bühne bringen. Früher einmal ging es um Fürsorge, dann um Integration, doch unser neues Credo heißt Inklusion.“

Die Mitwirkenden nicken zustimmend, die Stimmung ist ausgelassen, die Generalprobe hat ihnen sichtlich Spaß gemacht. Das Musical am Freitag ist längst ausverkauft. KURIER-Leser können es dennoch sehen. Die ersten zehn Leser, die unter 4000 – 40 415 anrufen, erhalten ein Ticket für die Gala am Donnerstag, dem 23. Jänner ab 16 Uhr in einem neuen Hotel auf dem Messegelände.

Gewiss, das Musical am Freitag ist eine großartige Veranstaltung, aber bei Weitem nicht die einzige Großtat, die mit dem Namen Klaus Widl verbunden ist. Vor bald zwanzig Jahren hat Widl den Club behinderter Menschen und ihrer Freunde gegründet. In wenigen Wochen wird er wieder für Applaus sorgen.

Da wird auf dem Wiener Messegelände, nur wenige Schritte von der U-Bahn-Station, ein Hotel eröffnet, das ganz auf die Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung ausgerichtet ist. Damit kann ihnen Wien ein maßgeschneidertes Angebot bieten.

Ein Stück Miteinander
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Klaus Widl hat aber nicht nur an den Tourismus gedacht: Für die Wienerinnen und Wienern wird es im Prater ein barrierefreies Kaffeehaus mit Garten geben. „Damit Menschen mit Behinderung spontan das Haus verlassen und ihre freie Zeit verbringen können.“

Ein Café hat Widl schon im Jahr 1998 in der Großen Schiffgasse in Wien 2 eröffnet. Sein Engagement zielt in Richtung Freizeitgestaltung. Dafür hat er gute Gründe: „Es gibt in Österreich ein relativ gutes Angebot im Bereich Wohnen und Arbeiten, aber es gibt keinen Rechtsanspruch auf Leistungen für die dritte Lebenssäule.“

Der Mensch, auch wenn er mit einer körperlichen oder seelischen Behinderung leben muss, lebt bekanntlich nicht vom Brot alleine. Lange vor Post und ÖBB ist dem „General Manager“, wie sich Widl mit einem Augenzwinkern nennt, gelungen, in Finnland einen Reisebus so umbauen zu lassen, dass auch Menschen im Rollstuhl in den Urlaub fahren können. Der Einbau einer Hebebühne, einer behindertengerechten Toilette und weiterer Transporthilfen hat knapp 45.000 Euro gekostet. Widl hat dafür private Sponsoren, das Bundessozialamt und mit die Firma Gschwindl einen verlässlichen Reiseveranstalter gewinnen können. Zwei bis drei Mal pro Jahr schreibt der Club eine Busreise aus. Überall hinfahren könne man jedoch nicht. Klaus Widl: „Wir brauchen immer barrierefreie Hotels wie jenes, das jetzt in Wien eröffnet wird.“

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