Mit Laptop statt Gebetsbuch auf der Kirchenbank
Es ist ein skurriler Anblick. Wo normalerweise Gebetsbücher hingehören, liegen Apple MacBooks, Kopfhörer und Leuchtstifte. Es ist mucksmäuschenstill. Stiller als in einer Bibliothek, eben wie in einer Kirche. Heilig wirkt der Ort im Moment nicht.
Studenten der Universität Wien haben sich am Montag mit ihren Lernsachen in den Kirchenbänken der Votivkirche breitgemacht. Sie nutzen die Kirche als Lern- und Aufenthaltsraum, weil wegen der Mindestabstände in den Hörsälen nicht alle Studierende die Vorlesungen vor Ort verfolgen können.
Schon vor dem Betreten bemerkt man links neben dem Eingang das Logo der Uni Wien auf einem Plakat, welches auf die coronabedingten Sicherheits- und Abstandsregeln samt Maskenpflicht aufmerksam macht. Gleich nach dem Kirchenportal ist ein Spender für Handdesinfektionsmittel platziert. „Wirkt“ steht darauf in Anspielung auf das Uni-Motto („Universität Wien wirkt. Seit 1365.“).
Viele Studierende sind an dem Montagnachmittag noch nicht gekommen. Zehn junge Frauen und Männer sitzen in den Kirchenbänken und blicken auf ihre Laptopbildschirme oder tippen auf ihrem Smartphone. Gesprochen wird nicht.
Paula hat Kopfhörer im Ohr. Sie nimmt gerade an einer Lehrveranstaltung der Musikwissenschaften teil. Dass sie dabei in einer Kirche sitzt, findet sie nicht komisch. „Es ist schon ein ungewöhnlicher Ort zum Lernen. Aber ich mag Kirchen, ich mag ihre Aura und es ist sehr ruhig hier,“ sagt sie. Bibliotheken seien ihr meistens zu laut.
40 Prozent dürfen vor Ort sein
Seit diesem Wintersemester finden an der Uni wieder Lehrveranstaltungen vor Ort statt – jedoch dürfen nur etwa 40 Prozent der Studierenden vor Ort sein. „Daher war klar, dass wir mehr Platz brauchen würden. Die Frage war, wo es in der Nähe etwas Passendes gibt. In der Votivkirche ist der Platz da“, sagt eine Sprecherin der Uni Wien.
Einige der Studierenden sehen sich erstmal um, nachdem sie die Kirche betreten haben. Stefan schaut sehr skeptisch, er geht einmal eine Runde in der Kirche, um sich dann in eine der hinteren Bänke zu setzen. Ganz geheuer scheint ihm die Location nicht zu sein. Trotzdem packt er seinen Laptop aus und beginnt zu lernen.
"Es ist schon sehr skurril. Aber auch eine gute Idee, sonst würde die Kirche ja leer stehen", sagt er. Er sei auf der Suche nach Orten, wo er seine Ruhe hat. Doch hier gäbe es keine Arbeitsfläche, wo man auf einem Notizblock schreiben kann. Und er müsse teilweise bei Online-Übungen selber sprechen, das gehe hier auch nicht.
WLAN und WC-Wagen
Die Mitbenutzung der Kirche, für die die Uni einen kleinen Unkostenbeitrag bezahlt, hat noch weitere Zusatzausstattung mit sich gebracht: So gibt es dort nun WLAN und am Vorplatz wurde ein Toilettenwagen aufgestellt. Außerdem kontrollieren zwei Sicherheitsmänner, ob Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden.
Für Gläubige und Touristen ist die Votivkirche weiterhin zugänglich. Die Messen werden durch die Studenten angeblich nicht beeinträchtigt. Diese seien in der Zeit von Montag bis Freitag zwischen 9 und 18 Uhr, wenn die Uni die Kirche mitbenützt, laut einer Sprecherin des Rektorats nämlich ohnehin nicht geplant.
Paula fragt sich dennoch, ob sich Menschen die zum Beten kommen, nicht gestört fühlen würden. Heute ist jedenfalls niemand zum Beten da. Vorerst ist es nur ein Testlauf bis Ende Oktober. Läuft es gut, sei eine Verlängerung möglich.
Paula hat jedenfalls vor, diese Woche jeden Tag wieder herzukommen. Stefan ist sich da nicht sicher.
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