Mindestsicherung: Die Strategie hinter der Kindergartenpflicht ab 3

Die ersten Details zur Wiener Mindestsicherungsreform wurden am Donnerstag von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vorgestellt. Während zwei Maßnahmen (siehe Infobox unten) kurzfristige Entlastung für die belastete Stadtkasse bringen sollen, ist die dritte konzeptionell am spannendsten.
Die SPÖ hat angekündigt, eine Kindergartenpflicht für Kinder ab drei Jahren von Mindestsicherungsbeziehern einführen zu wollen. Wie berichtet soll das 2027 schlagend werden. Zeitgleich will Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) bundesweit ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr einführen. Dass Wien vorprescht und noch stärker regulieren will, liegt nicht daran, dass Wien partout anders sein will als alle anderen. Sondern an arbeitspolitischen Überlegungen.
Da wären zunächst die Kinder selbst. Dass zu viele davon in der Bundeshauptstadt nicht bis mangelhaft Deutsch sprechen, ist evident. Ein früheres Eingliedern in Bildungseinrichtungen ist daher durchaus sinnvoll. Die Wiener ÖVP rund um Klubobmann Harald Zierfuß fordert darum übrigens schon lange die Kindergartenpflicht für Dreijährige mit Deutschförderbedarf.
Vererbte Armut
Neben den Sprachkenntnissen werden so aber auch die Zukunftschancen der Kinder erhöht. „Aus der Sozialforschung wissen wir, dass Kinder, die in der Sozialhilfe aufwachsen, leider eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, selbst einmal in die Sozialhilfe zu rutschen“, sagt Ludwig.
Drei Maßnahmen
Neben der Einführung der Kindergartenpflicht wurden zwei Maßnahmen angekündigt. Künftig wird ein Viertel der Mindestsicherung der Kinder für die Wohnbeihilfe verwendet. Die Mindestsicherung für Erwachsene in WGs wird gekürzt.
Einsparungen
Die Stadt will damit 95 Millionen Euro jährlich einsparen. Das soll sich schon auf das Budget 2026 auswirken.
Das bestätigen auch Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Demnach dauert es in Österreich durchschnittlich fünf Generationen, bis Nachkommen einer Familie aus dem untersten Einkommensdezil ein durchschnittliches Einkommen erreichen. In Dänemark dauert es hingegen nur zwei Generationen, in Norwegen, Finnland und Schweden nur drei.
Jedes dritte Kind in Österreich, dessen Eltern Geringverdiener sind, wird selbst auch Geringverdiener. Bei den restlichen zwei Dritteln beschränken sich die Aufstiegsmöglichkeiten in den meisten Fällen auf die nächsthöhere Einkommensgruppe. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt die OECD als erste Maßnahme „die Verbesserung des Zugangs zu qualitativ hochwertiger Betreuung und Vorschulprogrammen für Kinder“.
Die Weiterbildungsaffinität sei höher, wenn man früher in Bildungseinrichtungen anfange, sagt auch Marko Miloradovic, Geschäftsführer des Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff). Etwas, das in einer Zeit, die lebenslanges Lernen erfordert, um für den Arbeitsmarkt fit zu bleiben, essenziell sei. Und für den Einstieg in diesen sowieso: Wenn man maximal einen Pflichtschulabschluss hat, ist man zu 30 Prozent für Arbeitslosigkeit gefährdet. Schon ein Lehrabschluss verringert diesen Wert auf elf Prozent.
Frauenpolitik
Die Wiener SPÖ hat angekündigt, sich in den kommenden Jahren verstärkt für Frauenerwerbstätigkeit einzusetzen. Auch darauf zahlt die angekündigte Kindergartenpflicht ein, sie sei die Weiterentwicklung bestehender Errungenschaften. „Die Einführung des kostenlosen Kindergartens in Wien ist ein historischer Erfolg unserer Stadt“, erklärt darum Ludwig. Es sei kein Zufall, dass in Wien die Frauenbeschäftigung am höchsten ist.
Mit 76,7 Prozent gibt es tatsächlich eklatant mehr berufstätige Frauen als im Österreichschnitt (72,8 Prozent), wo viele Betreuungspflichten nachkommen, aber nicht zwingend arbeitslos gemeldet sind. Auch arbeiten in Wien weniger Frauen Teilzeit und es sind mehr Kinder in Betreuungseinrichtungen, die den Eltern eine Vollzeitbeschäftigung ermöglichen, als in allen anderen Bundesländern (siehe Grafik). Gleichzeitig gibt es trotzdem Aufholbedarf – denn, auch das darf man nicht verschweigen, die Frauenarbeitslosigkeit ist genau wie jene der Männer im Bundesländervergleich in Wien mit Abstand am höchsten.

Schildbürgerstreich
Es mag nur ein kleiner Grund von vielen sein, aber manchmal scheitert der Berufs(wieder)einstieg schlicht am lebensfremden Regelwerk.
So brauchen Mindestsicherungsbezieherinnen ab dem 3. Geburtstag ihres Kindes einen Kindergartenplatz, um eine AMS-Maßnahme besuchen zu können. Umgekehrt brauchen sie eine AMS-Maßnahme, um in diesem einen Jahr Zugang zu einem städtischen Kindergarten haben zu können. Sie sind also in einer Schleife gefangen und kriegen weder das eine noch das andere. Dieser Schildbürgerstreich wäre mit der Kindergartenpflicht ab drei Jahren sofort behoben.
Warum führt man sie dann nicht gleich ein? Es gibt rund 6.000 Kinder, die von der Maßnahme betroffen wären, heißt es im Bürgermeisterbüro. Die Infrastruktur sei zwar vorhanden, das Personal aber (noch) nicht.
Miloradovic verweist in dem Zusammenhang auf die Initiative „Jobs plus Ausbildung“ des waff. Es werden 2.400 Ausbildungsplätze mit Job-Garantie geboten – unter anderem eben in der Elementarpädagogik. Die passende Ausbildung bekommt man kostenlos, währenddessen ist man versichert und erhält Geld.
Weitere Änderungen bei Mindestsicherung
Die Einführung der Kindergartenpflicht würde mit einer weiteren Änderung bei der Mindestsicherung einhergehen. Da die Kinder ganztägige Tagesbetreuung und warmes Essen erhalten werden und die Eltern dadurch Kosten sparen, ist geplant, die Leistungen als Sachleistung bei den Kindersätzen anzurechnen. Welche Einsparungen dadurch zu erwarten sind, lasse sich noch nicht beziffern.
Das letzte Wort bei der Mindestsicherung ist aber ohnehin noch nicht gesprochen. Auf Bundesebene will man einheitliche Lösungen finden – in Wien hofft man, dass diese noch im Herbst gefunden werden. In der Stadt sind auch weitere Schritte geplant. Das bestätigt auch Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling (Neos): „Wir führen intensive Gespräche mit dem Koalitionspartner.“
Kommentare