Kein Einkauf ohne Mitarbeit: Ein Supermarkt, wie es ihn noch nicht gibt

Das Team von Mila vor dem Laden in Ottakring
Preisdruck auf Produzenten, Niedriglöhne für Angestellte, Lebensmittelverschwendung und Produkte, über deren genaue Entstehungsbedingungen man als Konsument oftmals lieber nicht zu viel wissen will: Klassische Supermärkte stehen zunehmend in der Kritik.
Eine Gruppe von Menschen in Wien ist der Meinung, das geht besser und arbeitet daher seit zwei Jahren an der Vision eines Supermarkts mit hochwertigen, fair gehandelten und trotzdem günstigen Produkten.
Gelingen soll dieser Spagat durch die Organisation als Genossenschaft. Dadurch schlüpft jeder gleichzeitig in drei Rollen, erklärt Mitgründer David Jelinek: Miteigentümer, Kunde und Arbeitskraft. Jedes Mitglied muss zumindest drei Stunden pro Monat vor Ort mitarbeiten, vom Regaleinschlichten bis zum Kassieren. Nicht umsonst lautet der Name „Mila – Mitmach Supermarkt“.

In Ottakring entsteht ein Gegenmodell zum klassischen Supermarkt
Nur für gewisse Bürotätigkeiten wie Mitgliederverwaltung oder Buchhaltung sollen ein paar Mitarbeiter angestellt werden. „Das ermöglicht uns niedrige Personalkosten und dadurch eine niedrige Marge“ – und in weiterer Folge leistbare Qualitätsprodukte, sagt Jelinek.
Probelauf im Kleinen
Die Eröffnung des großen „Mila“ wird noch etwas dauern. „Vielleicht in einem Jahr“ könnte es so weit sein, sagt Jelinek. Die Standortsuche gestaltet sich als schwierig, auch, weil die Ansprüche hoch sind. Schließlich hat man keinen zweiten Versuch.
Um schon einmal zu üben, aber auch, um zu zeigen, wie das im Vollausbau aussehen soll, wird im April in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Greißlers in der Ottakringer Haberlgasse ein Minimarkt eröffnet. „Hier geht es uns darum, dass die Leute sehen, was für leiwande Produkte wir haben und dann im besten Fall Mitglieder werden“, sagt Jelinek.

David Jelinek ist einer der Initiatoren des genossenschaftlichen Supermarkt-Projekts
Apropos Produkte: Natürlich sollen diese nach Möglichkeit biologisch und regional erzeugt werden, dogmatisch will und kann man aber nicht sein – schon deshalb, weil ein Vollsortiment bis hin zur Zahnpasta angeboten werden soll. „Wir wollen aber auch nicht sagen: Du darfst das nicht essen, weil da Palmöl drinnen ist“, sagt Jelinek. Am Ende entscheiden die Mitglieder, bzw. von diesen bestimmte Einkaufsverantwortliche, was ins Sortiment kommt – und was nicht.
Internationale Vorbilde
Dass das Konzept funktionieren kann, zeigen Vorbilder von Paris über Berlin bis New York, die sich das „Mila“-Team ganz genau angesehen hat – und auf deren Erfahrungen auch der Businessplan basiert (siehe Infobox unten). Wird die Eröffnung des Minimarkts noch zum Teil über eine Crowdfunding-Kampagne finanziert, wird sich das für den großen Supermarkt nicht ausgehen. Je nach endgültigem Standort rechnet das Team mit Investitionskosten von 1 bis 1,5 Millionen Euro.
New York City
Die „Park Slope Food Coop“ ist sozusagen die Mutter der kooperativen Supermärkte. 1973 gegründet hat sie 17.000 Mitglieder. Jahresumsatz 2019: 51 Millionen Euro.
Paris
„La Louve“ eröffnete im Herbst 2016 als erster kooperativer Supermarkt Europas. 5.000 Mitglieder sorgten 2020 für einen Jahresumsatz von 8 Millionen Euro. 2019 hielt „La Louve“-Mitgründer Tom Boothe einen Vortrag in Linz – der Anfang von „Mila“.
Selbst, wenn die Genossenschaft von Anfang an die erhofften 1.000 Mitglieder erreicht, wären die Beiträge – 100 Euro wird jede Person einzahlen müssen – nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Dass es mittlerweile europaweit einige Vorbilder gibt, macht mich aber optimistisch, dass wir Kreditgeber finden, die an uns glauben“, sagt Jelinek.
Denn trotz aller Vorfreude auf die Eröffnung des Minimarkts ist eines klar: „Das ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg.“
Erstmals erschienen am 14.3.2022
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