Mehr als 20 Morde pro Jahr unentdeckt

Mehr als 20 Morde pro Jahr unentdeckt
Weniger Obduktionen im Spital und überlastete Gerichtsmediziner lassen Taten ungeklärt.

Der perfekte Mord, im Kino schon lange ein Thema, könnte bald alltäglich sein. In den Wiener Spitälern werden (aus Kostengründen) immer seltener die sogenannten sanitätsbehördlichen Obduktionen durchgeführt. Das ist quasi die Voruntersuchung für jeden nicht von vornherein klaren Todesfall. Vor zehn Jahren waren es in Wien 1425, damals noch von der Gerichtsmedizin durchgeführt, inzwischen ist die Zahl auf 500 Obduktionen pro Jahr geschrumpft. Nur bei konkretem Verdacht auf Fremdverschulden obduziert im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Gerichtsmediziner, dazwischen bleibt viel Freiraum für Ungeklärtes.

Gerichtsmediziner Christian Reiter warnt schon lange, dass 20 Morde pro Jahr übersehen werden könnten, und es werden noch mehr: "Ein alter Mann mit Genickbruch im Stiegenhaus kann gestolpert oder gestoßen worden sein." Auch die Ärztekammer fürchtet "Schlupflöcher für Kriminelle".

Verwesung

Besonders diffus bleibt die Sachlage bei Toten, die erst spät entdeckt werden. In den Spitälern verweist man darauf, dass die Pathologen dort keine Erfahrung mit Leichen im Verwesungszustand haben, und die erfahrenen Gerichtsmediziner bekommen sie gar nicht auf den Seziertisch. Der Tod der Erbtante, deren Ableben nicht gleich bemerkt wird, hat gute Chancen, als ganz natürlich zu den Akten gelegt zu werden.

Aber auch die Klärung der verdächtigen Todesfälle an der einst mit Weltruhm ausgestatteten Wiener Gerichtsmedizin ist bald nicht mehr gewährleistet. Mit der Pensionierung von Johann Missliwetz und Elisabeth Friedrich gibt es für diese Aufgabe nur noch drei Fachleute (einst waren es zehn). Sie teilen sich 400 bis 500 Obduktionen pro Jahr. In wenigen Jahren steht Prof. Reiter zur Pensionierung an, und Nachwuchs ist keiner in Sicht.

Laut Johannes Angerer, Sprecher der MedUni Wien, fehlt es an Geld zur Aufnahme von Personal. Das, was die Justiz für gerichtliche Obduktionen refundiere, reiche für Forschung, Lehre und den Betrieb nicht aus.

2012 betreuten vier Wiener Gerichtsmediziner das Gebiet Wien, Niederösterreich und Burgenland mit 3.347.365 Einwohnern. Von den 33.138 Sterbefällen in diesem Jahr
wurde für 667 eine gerichtliche Obduktion angefordert.

503 dieser Obduktionen wurden von den vier Gerichtsmedizinern durchgeführt. Im Vergleich dazu betreute die Gerichtsmedizin der Universität Graz das Gebiet Steiermark und Kärnten mit 2.056.527 Menschen. 21.023 Sterbefälle wurden 2012 gemeldet. In Graz führten fünf Gerichtsmediziner in diesem Jahr 296 gerichtlich angeordnete Obduktionen durch.

Kommentare