Medizinskandal: „Ich hatte Panik, mein Kind stirbt“

Medizinskandal: „Ich hatte Panik, mein Kind stirbt“
Eine Schwangere bekam plötzlich Sturzblutungen. Doch zwei Spitäler wiesen sie ab. Das Schicksal des Kindes ist unklar.

Blass sitzt Sandra W. auf der Couch in ihrer Wohnung in Wien-Ottakring und sucht nach Worten für etwas, das sie noch immer nicht glauben kann. In der Nacht zum 12. Jänner bekam die 26-Jährige, die zu diesem Zeitpunkt in der 13. Woche schwanger war, plötzlich Sturzblutungen. Doch sowohl das Krankenhaus Göttlicher Heiland als auch das AKH Wien verwehrten der verzweifelten Frau eine Aufnahme.

„Als ich in der Nacht aufwachte, war alles voller Blut. Die Hose, das Laken, ich hatte totale Panik um mein Kind. Ich dachte, es stirbt jetzt“, erzählt die 26-Jährige. Die Eltern ihres Freundes, die nebenan wohnen, fuhren die junge Frau sofort ins Krankenhaus Göttlicher Heiland. Eine Entscheidung, die sie heute nicht mehr treffen würden.

„Es haben mich zwar sofort zwei Ärztinnen untersucht und sie haben auch ein Ultraschall gemacht. Aber sie sagten, da sei so viel Blut, sie sehen die Ursache für die Blutung nicht“, erzählt die Schwangere. Mit den Worten „Ihr Kind lebt“ wurde sie nach der 20-minütigen Untersuchung nach Hause geschickt. Davor meinte eine der behandelnden Ärztinnen aber laut Sandra W. noch: „Passen Sie auf, dass Sie nicht ausrutschen“ – und verwies auf die Blutlache, die sich während der Untersuchung auf dem Boden gebildet habe.

Schlafen konnte die frühere Kellnerin in dieser Nacht nicht. „Ich hatte ja keine Ahnung, was los ist“, sagt Sandra W. Die Blutung – wenngleich geringer – hörte auch in dieser Nacht nicht auf.

Nächster Versuch

Am nächsten Tag startete die Schwangere einen neuen Versuch, medizinische Hilfe zu bekommen. Diesmal im AKH Wien. Sandra W.: „Ich ging zur Geburtsanmeldung in der Schwangerenambulanz und erzählte, was passiert ist. Dort sagte man mir, man habe keinen Platz, um mich aufzunehmen.“ Auch eine Untersuchung wurde Sandra W. verwehrt: Es habe niemand Zeit dafür.

Zum zweiten Mal kehrte Sandra W. ohne Diagnose, aber immer noch blutend, in ihre Wohnung zurück. Dass ihr Kind noch lebte, glaubte sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Erst am nächsten Tag fand die verzweifelte Frau die Kraft für einen dritten Anlauf. Diesmal in der Rudolfstiftung, wo ihr erstmals eine Ärztin eine Diagnose erstellte: Ein Stück vom Mutterkuchen war abgegangen, weil sich dort ein Hämatom gebildet hatte. Sandra W. wurde stationär aufgenommen – und musste drei Nächte bleiben. „Die Aufnahme war unbedingt notwendig, da bei solchen Blutungen absolute Bettruhe geboten ist“, hieß es auf Anfrage des KURIER aus der Rudolfstiftung.

Primarius Albert Mayer von der gynäkologischen Abteilung des Göttlichen Heiland ist im Nachhinein „nicht sehr glücklich darüber“, dass die Patientin nicht aufgenommen wurde. „Im Zweifelsfall hätte man sie sicher aufnehmen müssen. Möglicherweise kam es zu Kommunikationsproblemen zwischen den behandelnden Ärztinnen und der Oberärztin. Hier liegt vielleicht der Knackpunkt“, sagt Mayer. Er will den Vorfall jedenfalls einer „genauen Analyse unterziehen“.

Den Vorwurf, dass die Patientin trotz massiver Blutung nach Hause geschickt wurde, will er nicht stehen lassen. „Nach den Angaben der behandelnden Ärztinnen blutete sie nur leicht. Die Ärztinnen bestreiten, dass sie gesagt hätten, die Patientin solle aufpassen, nicht in der Blutlache auszurutschen“, sagt Mayer.

Nur Risikofälle

„Unglücklich“ über den Fall zeigt sich auch Peter Husslein, Leiter der Gynäkologie im AKH Wien, der es lieber gesehen hätte, wenn die Patientin von der zuständigen Ärztin in ein anderes Krankenhaus vermittelt worden wäre. Einen Grund, die Patientin im AKH aufzunehmen, sieht er nicht. „Wir haben nur noch Kapazitäten für Risikofälle. Wenn eine Schwangere durch Blutungen in der Frühschwangerschaft ihr Kind verliert, können wir dagegen nichts unternehmen. Es gibt keine Behandlung dagegen.“

Auch die AKH-Ärztin, die Sandra W. abgelehnt hatte, äußerte sich gegenüber dem KURIER: „Ich weiß noch, dass es ein sehr starker Tag war. Wir müssen in zwei Minuten rausfinden, ob es sich bei einer Patientin um eine Risikoschwangerschaft handelt. Nachdem sie erzählte, dass man ihr im Göttlichen Heiland gesagt hatte, das Kind sei in Ordnung, habe ich gegen die Aufnahme entschieden.“ Auch im AKH will man von schweren Blutungen nichts gehört haben: „Sie sagte, sie blutete leicht“, behauptet die Ärztin.

„Fassungslos“ reagiert Sandra W. auf diese Aussagen. „Ich habe immer davon gesprochen, dass ich stark blute und untersucht werden will.“ Sie will nun die Patientenanwaltschaft einschalten. Ob ihr Kind die Komplikationen unbeschadet überstanden hat, ist weiter unklar.

Nachgefragt: „Wir müssen täglich Schwangere abweisen“

Peter Husslein, Leiter der Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am AKH, nutzt die Kritik am AKH Wien im KURIER-Interview für einen Rundumschlag gegen die Sparpolitik in der Medizin.

KURIER: Herr Doktor Husslein, kommt es öfter vor, dass schwangere Patientinnen mit Komplikationen im AKH Wien abgewiesen werden?

Peter Husslein: Leider müssen wir täglich Schwangere abweisen. Das AKH Wien bietet Spitzenmedizin, wie etwa die Geburt von Fünflingen. Um Frauen in der Frühschwangerschaft aufzunehmen, die unter Blutungen leiden, fehlen uns die Kapazitäten. Wir können nicht alle medizinischen Probleme Ostösterreichs lösen und müssen uns gegen diese Überflutung wehren. Wenn die Gemeinde Wien will, dass wir auch Basismedizin wie in diesem Fall anbieten, muss sie uns auch Geld für das Personal bereitstellen. Derzeit sieht es aber so aus, dass uns sogar die Gemeindespitäler ihre Patienten schicken. Dafür sind wir nicht da. Wir pfeifen einfach aus dem letzten Loch, was das Personal betrifft.

Welche Maßnahmen könnten die Situation im AKH Wien verbessern?

Die Ambulanzen und OP-Säle im AKH Wien und vielen Gemeindespitälern stehen nachmittags leer. Wir nutzen nur zwei Drittel unserer Kapazitäten. Den Rest vergeuden wir. Aber anstatt dass die Gemeinde Wien uns mehr Geld für Personal zur Verfügung stellt, baut sie neue Krankenhäuser. Das ist so, als würde man zwei Fabriken nebeneinander bauen, die aber beide nur bis Mittag offen haben. Das ist Wahnsinn. Das sollen die Leute wissen.

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