Recycling trifft Catwalk: Wiener Seniorinnen bei der Vienna Fashion Week

Nelly Waroschanov, Antonia Ronniger, Margit Sedlak-Emperer, Gerda Breitenfelder, Jacqueline Franz und Gudrun Wünsch (v. li.).
Frauen der Wiener Pensionistenklubs setzen ein Zeichen für Mut und Lebensfreude: Sie führen ihre Kreationen am 16. September bei der Vienna Fashion Show auf dem Laufsteg vor.

Das Model posiert vor der Kamera des Fotografen: Kopf hoch, Schultern gerade halten, lächeln. Dann eine schwungvolle Drehung, der kunterbunte Rock flattert. Diesmal sind es nur ein paar Fotos – doch in wenigen Tagen steht der Auftritt auf dem Laufsteg bevor. Ist man da nicht aufgeregt? Die Frau lacht und erwidert souverän: „Wir machen seit Monaten unser Catwalk-Training und sind sehr gut vorbereitet.“

Die Models probieren ihre Kleider, legen Halsketten und Ohrringe an, richten ihre Haare. Es ist eine der letzten Proben vor der großen Modenschau bei der Vienna Fashion Week am 16. September. Aufregung und Vorfreude sind natürlich groß – doch ansonsten ist hier vieles anders, als man es bei so einer Probe erwarten würde.

Da wäre einmal der Ort: der Pensionistenklub in der Schmidgasse in Wien-Josefstadt. Denn die Models sind allesamt selbstbewusste Frauen ab 60. Eitelkeiten und Konkurrenzkampf gibt es nicht – stattdessen Kreativität, Zusammenhalt, Humor.

Bereits 2024 haben Mitglieder der Pensionistenklubs die Vienna Fashion Week eröffnet . Auch heuer präsentieren 20 Frauen und ein Mann Kleidung, die sie selbst entworfen und genäht haben. Und: Alle Kostüme sind aus recycelten Materialien.

Nelly Waroschanov, Gerda Breitenfelder und Jacqueline Franz (v. li.) im Klub im 8. Bezirk.

Nelly Waroschanov, Gerda Breitenfelder und Jacqueline Franz (v. li.) im Klub im 8. Bezirk. 

„Noch besser machen“

Gudrun Wünsch, 82, ist zum zweiten Mal dabei. Im Vorjahr, erzählt sie, sei sie kaum nervös gewesen. „Wir alten Hasen haben ja viel Erfahrung.“ Heuer sei die Aufregung größer: „Denn wir wollen es noch besser machen.“

Für Jacqueline Franz ist es die Premiere: „Ich wäre im Vorjahr zu jung gewesen, ich bin ja erst 60“, scherzt sie und lacht. Franz ist Kunsttherapeutin und liebt farbenfrohe Kleidung. Die Idee, aus alten Stoffen Kunstvolles zu erschaffen, habe sie begeistert: „Ich sehe einen Fleck oder eine Falte nicht als Makel – sie machen das Material erst interessant.“ Ähnlich wie bei Menschen: „Unsere Erfahrung und Eigenarten machen doch unseren Charakter aus.“ Für ihr Kleid hat sie etwa einen Wandteppich, einen Polster und eine Zierdecke verarbeitet. „Sie sieht aus wie Frida Kahlo“, sagt eine Kollegin anerkennend, als Franz in ihr Kostüm schlüpft.

Das Motto, alten Stoffen neues Leben einzuhauchen, gefällt auch Nelly Waroschanov, 72. Ein Menge Kleidung hänge ungenutzt im Schrank. „Eine Freundin hat mir ein Kleid geschenkt, das zu eng wurde.“ Nun hat sie es zu einem Ensemble umgenäht, das sie mit glitzernden Stiefeln auf dem Laufsteg präsentiert.

Antonia Ronniger arbeitet an ihrem Kleid.

Antonia Ronniger arbeitet an ihrem Kleid. 

"Alle Größen und Breiten"

Alle Kostüme sind so einzigartig wie die Frauen, die sie vorführen: „Unser Projekt beweist, dass manches immer schön ist – ohne Wenn und Aber“, sagt Irena Reichel. Sie ist Mitarbeiterin des Pensionistenklubs und leitet das Projekt. „Unsere Frauen zeigen, wie mutig, stark und kreativ man in jedem Alter sein kann.“ Daher laute ihr Motto: „Courage ist das neue Schwarz.“

Das empfindet auch Margit Sedlak-Emperer (63) so: „Das Leben hört doch nicht mit 25 auf. Kreativität, Energie und Sinnlichkeit hat man in jedem Alter.“ Die „positive Lebensenergie“ in der Gruppe begeistere sie: „Wir können hier alle so sein, wie wir sind, wir haben alle Größen und Breiten.“ Sie hat aus 60 Krawatten ihres Mannes ein Kostüm erschaffen. Er wird übrigens gemeinsam mit ihr über den Laufsteg schreiten, mit Anzug und Zylinder – er ist der einzige Herr in der Show.

Antonia Ronniger arbeitet an ihrem Kleid.

Antonia Ronniger arbeitet an ihrem Kleid. 

„Sein, wie ich möchte“

Dass Lebenserfahrung auch viel Gutes mit sich bringe, da sind sich alle Frauen einig: „Nach den vielen Berufen, die ich gemacht habe, müsste ich schon 300 Jahre alt sein“, sagt Gerda Breitenfelder und lacht. Tatsächlich sei sie „70 plus“. Nach wie vor werde man als Frau schneller als alt abgestempelt. „Dabei können wir so viel. Als junge Frau wollen wir uns eher anpassen. Jetzt darf ich so sein, wie ich möchte.“ Antonia Ronniger (66) wiederum findet den Zusammenhalt „so schön und inspirierend. Dieses Konkurrenzdenken, was man als Jüngere noch eher hat, hilft doch niemandem.“

Und es sei nie zu spät, sich zu zeigen und seine Träume zu leben: „Wollten wir als kleine Mädchen nicht alle Schauspielerinnen werden?“, sagt die 82-jährige Gudrun Wünsch. „Zumindest zu ein paar Prozent ist dieser Wunsch damit für uns in Erfüllung gegangen.“

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