Kinder vor Fernseher fixiert: Freispruch

Kinder vor Fernseher fixiert: Freispruch
Nicht nur die Eltern, auch die Oma, die zuhause das Regiment führte, kommt ohne Strafe davon.

Der vier­jährige Bub konnte noch nicht einmal allein stehen und trug noch Windeln. Außer "Schnuller" und "gemma" konnte er kein Wort sprechen. Er und seine kleineren Geschwister waren stundenlang vor dem Fernseher im Kinderwagen festgezurrt worden, damit man Ruhe vor ihnen hatte. Sie bekamen nur Brei zu essen, hatten Läuse auf dem Kopf, Grind hinter den Ohren ...

Vernachlässigung? Ohne Zweifel. Aber verurteilt wurden die Eltern und die Oma, die daheim das Regiment hatte, deshalb noch lange nicht. Der Wiener Richter Daniel Rechen­macher sagt, es könne nicht nachgewiesen werden, dass ihnen die gröbliche Vernachlässigung bewusst war. Es fehle die "subjektive Tatseite". Im Übrigen sei das Strafgericht "der falsche Veranstaltungsort", die Sache gehöre vom Pflegschaftsgericht geklärt.

Globale Störung

Das Jugendamt hatte der Familie die zwei Buben und zwei Mädchen bereits 2011 abgenommen. Als die Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter das älteste Kind – den mittlerweile fünf Jahre alten Buben – untersuchte, wies er eine "glo­bale Entwicklungsstörung auf allen Ebenen" auf.

Seine grobmotorischen Fähigkeiten entsprechen denen eines Dreijährigen, seine sprachlichen denen eines Zweijährigen, obwohl er nun in einem spe­ziellen Programm mit Nachdruck gefördert wird.

Infantil

Auch bei zwei anderen Kindern würde laut der Gutachterin "jeder Laie erkennen, dass sie nicht altersentsprechend ent­wickelt sind". Der Kindesmutter bescheinigte sie "absolute Erziehungsunfähigkeit", die 24-Jährige habe "einen infantilen Eindruck hinterlassen" und könne kindliche Bedürf­nisse nicht erkennen. Ihr Ehemann und die Großmutter hingegen wirkten auf die Sachverständige keineswegs intellektuell minder befähigt. Die dominante Person in der in Wien-Ottakring wohnhaften Familie mit Migrationshintergrund war die 53-jährige Großmutter. Deren Erziehungsmaßnahmen waren aber "zweifelsfrei nicht am Kindeswohl orientiert".

Dem Richter reichte das alles nicht für eine Verurteilung. Die Staatsanwältin hatte vergeblich plädiert: "Es gibt zahlreiche Fami­lien, wo es so zugeht. Dass das in Ordnung sein könnte, kann unmöglich ein Zeichen der Republik Österreich sein." So kann man sich irren.

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