Kaffeefahrt zu den Rolling Stones

Kaffeefahrt zu den Rolling Stones
Sonderangebot um 99 Euro: 26 Stunden im Bus nach Prag und zurück – inklusive Rheumadecken-Verkaufsshow

Mittwoch, 4.25 Uhr; Wien, Westbahnhof: Im Morgengrauen besteigen wir den Bus. Alle sind verschlafen, einige tragen Rolling-Stones-T-Shirts. Die Fahrt führt ins 300 Kilometer entfernte Prag, wo um 19 Uhr das Open Air der Rolling Stones beginnt. Der Bus hat schon bessere Zeiten gesehen: Die Sitzlehnen stellen sich von selbst wieder auf, sobald man sie nicht belastet, die Beinfreiheit erinnert an Billig-Airlines.

Das Angebot eines Salzburger Reiseveranstalters war einfach zu gut: Eine Rasenkarte für die Stones inklusive Hin- und Rückfahrt um 99 Euro – dafür nimmt man auch die angekündigte Produktpräsentation in Kauf. Bei der Buchung konnte die Dame am Telefon noch nicht sagen, wann der Bus abfährt; die Ernüchterung kam per Post: 4.25 Uhr – 14,5 Stunden vor Konzertbeginn. Linienbusse benötigen für dieselbe Strecke fünf Stunden.

6.35 Uhr; Stefanshart bei Amstetten: Nachdem in St. Pölten, Ybbs und Amstetten die letzten Teilnehmer eingesammelt wurden, beginnt im Saal des Dorfwirtshauses die Verkaufsshow: Displays bewerben „Traumbett-Vitalkissen“ und eine Sardinien-Korsika-Rundfahrt um 898 Euro.

Der eloquente deutsche Verkaufsleiter –  mit blauem Hemd, Hornbrille und Funkmikrofon könnte er auch eine TV-Show moderieren – will zu Beginn wissen, wer denn schon bei Fahrten des Veranstalters dabei war – etwa ein Drittel der knapp 40 Teilnehmer zeigt auf, der Moderator ist sich seines Heimspiels bewusst: „Lauter zufriedene Kunden, sonst würden sie ja nicht wieder mit uns fahren.“

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Abfahrt im Morgengrauen: Der Beginn einer sehr langen Busreise

Fettfreie Ölcreme

Die Angebotspalette ist groß: Etwa eine Busreise in die Schweiz (für Stammkunden ab 499 Euro), viskoelastische Kissen (zwei für 298 Euro), Matratzenauflagen aus demselben Material (ab 498 Euro), oder fettfreie Olivenöl-Creme – der Moderator wischt die eingecremten Hände demonstrativ an seinem Hemd ab. Zur doppelwandigen Bratpfanne leitet er mit einem Bonmot über den Tupperware-Gründer über; einem Linzer, der nach seinem Erfolg in den USA nach Europa zurückgekehrt sei. Ein Blick auf Wikipedia überrascht: Earl Simon Tupper wurde 1907 in Berlin, New Hampshire geboren.

Bei der Kaffeepause sagt eine Teilnehmerin, bei einem schwedischen Möbelriesen gebe es die viskoelastischen Kissen viel billiger. Stimmt: „Memoryschaum“ heißt das Material hier, die Kissen sind ab 14,99 Euro zu haben.

10.15 Uhr: Die Show ist zu Ende; während die anderen Teilnehmer mittagessen, wird der Moderator wieder zum Verkäufer und bittet zu Einzelgesprächen. Durchaus erfolgreich: Viele – vor allem Herren – gehen mit Sackerln zum Bus, die Kissen und Bettauflagen werden geliefert.

16.50 Uhr, Prag: Der Busfahrer verschwindet „für zehn Minuten“ in einem Hotel, um unsere Tickets zu holen, und kommt eine Stunde später kreidebleich zurück: Der Schalter war nicht mehr besetzt. Wir fahren ohne Tickets zum Konzert.

18.50 Uhr: Erst am Parkplatz treffen wir den Mann mit dem erlösenden Kuvert. Das Konzert kann beginnen.

Donnerstag, 6.10 Uhr, Wien Westbahnhof: nach fast 26 Stunden verlassen wir den Bus, todmüde, verschwitzt, manche fahren direkt zur Arbeit. Trotzdem: Die Stones waren es wert!

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Eloquent und professionell: Verkaufsshow im Dorfwirtshaus.

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