Judensterne auf Coronademo: Geschichtsunterricht im Gericht

Der 35-jährige Wiener war frustriert. Er wollte sich nicht impfen lassen. "Dann hab ich Angst um meinen Job gehabt, und hab einige Freunde verloren", erklärt er. Also griff er in die Bastelkiste der kleinen Tochter, holte gelben Filz heraus und schnitt Sterne aus. "Ungeimpft", schrieb er darauf und befestigte seinen Stern mit Stecknadeln an seiner Jacke. So ging er am 11. September des Vorjahres zu einer Coronademo in Wien. Einen zweiten selbstgebastelten Stern gab er einem ehemaligen Arbeitskollegen.
Am Donnerstag sitzen die beiden Männer vor einem Geschworenengericht in Wien. Der Staatsanwalt wirft ihnen vor, den NS-Völkermord grob verharmlost zu haben. "Es geht nicht darum, wie man zu den Corona-Maßnahmen steht. Auch nicht darum, ob man demonstriert. Es geht darum, dass hier NS-Verbrechen verniedlicht worden sind."
Die beiden unbescholtenen Angeklagten, der zweite ist 50 Jahre alt und lebt im Burgenland, präsentieren sich geknickt. Sie hätten nicht nachgedacht, erklären sie. Und sie seien "nicht schuldig".
Schlampig
Richter Ulrich Nachtlberger begutachtet die selbstgebastelten Judensterne. "Auf der Seite geht der ein bissl auseinander. Das ham'S auch net schön gemacht", sagt er zum Bastler. "Ich hab's mit freiem Auge ausgeschnitten", rechtfertigt sich der 35-Jährige.
Richter: "Hätten'S rosa Filz auch genommen?" - "Ja" - "Aber Sie haben gelb genommen. Das hat eine gewisse Bedeutung."
"Ich habe schon gewusst, dass Juden das damals tragen mussten", erklärt der 35-jährige Angestellte. Der andere Angeklagte unterstrich das sogar noch bei der Befragung durch die Polizei: "Die Juden wurden damals genauso behandelt wie wir Ungeimpften."
Mauthausen-Besuche
Ob man das tatsächlich vergleichen könne, hakt der Richter nach und gibt eine kurze Nachhilfestunde in Geschichte. "Nein, überhaupt nicht", sagt der 35-Jährige heute. "Haben Sie davon gehört, dass Ungeimpfte keine Geimpften heiraten dürfen?" - "Nein." - "Weil es das nicht gibt."
"Haben Sie von einer systematischen Vergasung von Ungeimpften gehört?" - "Nein." - "Auch die gibt es nicht. Erkennen Sie den Unterschied, wie es damals den Juden gegangen ist?" - "Nie wieder würde ich so etwas machen", beteuert der jüngere Angeklagte.
Er sei vor dem Prozess in Mauthausen gewesen. Auch der 50-Jährige betont, schon öfters in das ehemalige Konzentrationslager gefahren zu sein. "Ich habe auch jüdische Freunde. Das war ein unbedachter Blödsinn", erklärt der Burgenländer.
Und auch die Anwälte betonen die Unbedarftheit ihrer Mandanten. "Er ist ein einfacher Mensch. Er wollte den politischen Maßnahmen widersprechen. Das ist mit der Aktion in die Hose gegangen", sagt Rechtsanwalt Florian Höllwarth.
"Geschmacklos", nennt der Richter die Aktion. Und setzt nach: "Geschmack hat man, oder nicht."
Die Geschworenen sind sich nach kurzer Beratung einig: Die Männer sind schuldig. Sie werden zu je 15 Monaten bedingter Freiheitsstrafe verurteilt; nicht rechtskräftig.
Kommentare