IS: Anwalt klagt Jugendamt an
Der Lehrling Oliver N., der Mitte März ohne Milz, mit nur einer Niere und der halben Lunge aus dem Terrorkrieg des "Islamischen Staates" (IS) in Syrien zurückgekommen ist, strebt den (straffreien) Kronzeugenstatus an (mehr dazu). Allerdings fehlen dem 16-Jährigen konkrete Verdächtige, gegen die er aussagen könnte. Sein Verteidiger Werner Tomanek meint, Oliver N. könnte als Aussteiger dennoch Milderungsgründe für sein eigenes Verfahren sammeln, indem er Hintergründe aufdeckt.
Vorerst aber wurde am Freitag die Untersuchungshaft um vier Wochen verlängert. Der Lehrling ist von der Krankenabteilung in eine normale Zwei-Mann-Zelle übersiedelt. In der Zwischenzeit soll die Jugendpsychiaterin Gabriele Wörgötter feststellen, ob von dem angeblich geläuterten Burschen noch eine Gefahr ausgeht und ob er durch seine Erlebnisse traumatisiert wurde.
Warnungen
Im Sommer 2014 war das Heimkind in die IS-Hochburg Raqqa gereist. Vor den Augen des Jugendamtes, wie Tomanek sagt. Die Behörde hatte seit der Trennung der Eltern, als Oliver N. fünf war, die Obsorge über den Burschen. Der Anwalt wirft den Betreuern vor, die Aufsichtspflicht vernachlässigt und die Reise des 16-Jährigen in den Dschihad ("Heiliger Krieg") überhaupt erst ermöglicht zu haben. Man hatte ihm nämlich seinen Reisepass ausgehändigt, den er unter dem Vorwand herausgelockt hatte, das Dokument für den Empfang einer Postsendung zu brauchen.
Tomanek sagt, Olivers Vater habe das Jugendamt damals davor gewarnt, dass sein Sohn in radikalen Islamisten-Kreisen verkehrt. Der Bursche suche ständig die vom Staatsschutz als IS-Anlaufstelle eingeschätzte und Ende August 2014 geschlossene Omar-al-Faruk-Moschee auf. Das Jugendamt – am Freitag war dort niemand für eine Stellungnahme erreichbar – aber stufte die Moschee laut Tomanek als harmlos ein.
Drohbotschaften
Bei einem Bombenangriff wurde Oliver N. schwer verwundet, notdürftig zusammen geflickt, kehrte freiwillig heim und landete in U-Haft. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er von Syrien aus in einem IS-Propagandavideo zum Terror aufgehetzt haben soll. Außerdem verschickte er gemeinsam mit dem laut N. inzwischen getöteten 19-jährigen Terror-Söldner Firas H. aus Wien-Donaustadt Audio- und SMS-Nachrichten mit Drohbotschaften an ehemalige Mitbewohner und Betreuer in seinem Heim sowie Ex-Kollegen und Ex-Chefs an seinem Lehrplatz (einer Versicherung): "Du dreckiger Hund, ich schlachte hier gerade Menschen wie dich ab. Du wirst in der Hölle brennen. Ich komme bald nach Österreich, dann sehen wir uns wieder, den Weg musst du mir nicht zeigen. Grüße aus Syrien."
"Damals fand ich das lustig", sagt Oliver N. heute.
Soslan D. geriet rein zufällig ins Visier des Landesamtes für Verfassungsschutz in Niederösterreich. Der 27-Jährige war am 12. September des Vorjahrs in Bayern in eine Verkehrskontrolle geraten. Als die bayerischen Polizisten das Handy des gebürtigen Tschetschenen aus Krems an der Donau sichteten, wurde daraus eine brisante Terrorcausa.
D.s Mobiltelefon war ein Fundstück für die Beamten: Ein Foto zeigt ihn mit einem AK-47-Maschinengewehr und in Uniform in Syrien; D. hatte auf seinem Smartphone auch Propagandamaterial der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) und die Kontaktdaten hochrangiger IS-Dschihadisten abgespeichert – darunter jene des IS-Militärkommandeurs Abu Omar al Shishani. Das Bild vom angeblichen Dschihadisten vervollständigt laut Behörde eine ältere Aussage D.s, in der er davon gesprochen hatte, im Dschihad sterben zu wollen.
D., gegen den wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird, sitzt in U-Haft. Er erzählte von einer humanitären Mission für die Organisation „Ansaar International“ in Syrien, die er nach nur drei Tagen abgebrochen hat. „Ich bin dort nicht hingefahren, um zu kämpfen. ... Ich habe keine einzige Patrone verschossen“. Der 27-Jährige spricht heute von einem „Fehler“, dass er sich zu dem Foto in Kämpfer-Pose habe überreden lassen. Auf anderen Fotos, die die Beamten über Google aufgetrieben haben, will er sich nicht erkennen. Bestätigt hat er ein Treffen mit einem hochrangigen Kommandeur, den IS-Militärchef will er nicht kennen.
Da die humanitäre Organisation in diesem Gebiet nicht aktiv sei, hält der Staatsanwalt D.s Aussagen für unwahr. Sein Anwalt, Wolfgang Blaschitz, hält den Vorwurf hingegen „für Humbug. Die würden nie mit so einer kleinen Nummer telefonieren.“
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