Immer mehr Opfer melden sich

Der Ansturm auf die Hilfseinrichtungen für Heimopfer ist enorm. Alleine diese Woche meldeten sich rund 150 Betroffene.

Es ist bestürzend, was in dem Moment alles hochkommt", sagt die Wiener Psychotherapeutin Monica Fritsch. Sie betreut für die Opferschutz-Organisation Weisser Ring Missbrauchsopfer aus Kinderheimen. Für Fritsch ist es "erschütternd, was da über Jahrzehnte unter der Bettdecke lag." Ja, sie meine das durchaus im doppelten Wortsinn.
Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) und der Verein Weisser Ring (WR) werden diese Woche von Hilfesuchenden regelrecht gestürmt. "Wir haben Notmaßnahmen gesetzt und das Personal für die nächsten Tage aufgestockt", sagt Marianne Gammer, WR-Geschäftsführerin. Während in den vergangenen eineinhalb Jahren bis einschließlich vergangenen Freitag 343 ehemalige Heimkinder vorgesprochen haben, meldeten sich seit Montag dieser Woche bereits rund 150 Personen.

Auch die KJA hilft, die zumeist neuen Fälle aufzuarbeiten. Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits fordert Aufklärung: "Alle Schränke müssen aufgesperrt werden."

Sexuelle Übergriffe

Im Sommer hatte die KJA einen ersten Zwischenbericht der Aufarbeitung des Heimskandals abgeliefert. Damals waren rund 200 ehemalige Heimkinder, darunter auch welche, die im Schloss Wilhelminenberg waren, befragt worden. In dem Bericht heißt es, dass bei 40 Prozent zu "teilweisen schweren sexuellen Übergriffen" gekommen sei.

Auch beim KURIER gehen immer mehr Anfragen von Opfern ein, die schreckliche Erlebnisse aus ihrer Zeit in Kinderheimen erzählen wollen. Die meisten Fälle liegen 30, 40, 50 Jahre zurück - oder noch länger.

Eine der Betroffenen ist Maria F. aus Wien. Der KURIER besuchte sie am Donnerstag in ihrer Wohnung. "Ich habe mir jetzt alle Unterlagen schicken lassen", sagt die Frau, die 1967 im Alter von 18 Monaten von ihrer Mutter an die Jugendfürsorge übergeben worden ist. Und auch sie gibt Erschütterndes preis: "Ich bin schon im Heim in der Liebhartstalgasse vergewaltigt worden." Dorthin kam sie mit eineinhalb Jahren und musste bleiben, bis sie 5 war. Heute sieht sie sich noch als Kind im Keller des Heimes sitzen. "Dann taucht ein Mann auf." Der Rest ist für sie nicht mehr erinnerbar.
Am Wilhelminenberg - dort war sie 1973 - sei ihr dann Ähnliches widerfahren. Sie habe sich "vor Männern unter dem Bett versteckt..."

Der KURIER hat Psychotherapeutin Fritsch mit den Erinnerungsstücken von Frau F. konfrontiert: "Es ist durchaus möglich, dass sexueller Missbrauch oder Gewalt dahinterstehen". Eine Ferndiagnose sei aber nicht möglich, und die Hintergründe könnten nur in einer Therapie geklärt werden. Fritsch stellt aber klar: "Beweise liefern kann man nicht."

Hotlines: Hier gibt es kostenlos Hilfe

Experten Der KURIER rät allen Opfern, sich bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft (01/7077000) oder bei der Opfer-Hotline des "Weissen Rings" (01/4000-85918) zu melden. Die Experten der beiden Organisationen können rasch und unbürokratisch Unterstützung und Hilfe anbieten.

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