Keine U-Haft: Justiz ließ Neonazis frei
Sonntag, 13.30 Uhr im Ernst-Kirchweger-Haus in Wien-Favoriten: Im ersten Stock lädt der linke türkische Verein ATIGF zum Brunch, daneben tagen die kommunistischen Gewerkschafter der KomIntern. Rudi F. stellt sich den Schlägern unabsichtlich in den Weg. Im schmalen Stiegenhaus trifft F. auf ungebetene Gäste. Rund zehn rechtsradikale Schläger waren im Haus, geschätzte 20 davor. Einer „mit rund 140 Kilo Fleisch“ prügelt auf F. ein, der die Anwesenden im ersten Stock noch warnt: „Nazis, Nazis, Hilfe“.
Die Angreifer sind keine Unbekannten. Sie gehören dem – bereits von der Austria Wien ausgeschlossenen – Fanclub „Unsterblich Wien“ an. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hält die rechte Clique für „die derzeit gefährlichste Gruppierung in Wien“. Dokumentiert sind tätliche Übergriffe und Auftritte mit nationalsozialistischer Symbolik. Im April durchsuchten Staatsschützer das Vereinslokal.
Neun Verdächtige setzte die Polizei am Sonntag fest. Sie sind allesamt polizeilich vorgemerkt: Sieben wegen Gewaltdelikten, zwei wegen Wiederbetätigung. Derzeit ermittelt wieder einmal der Staatsschutz. Der schwerwiegendste Vorwurf: Schwere Körperverletzung – gegen F.
„Verabredet“
Zwar sind F.s Verletzungen – eine Platzwunde, Prellungen im Gesicht und des Schädels sowie eine Gehirnerschütterung – laut Polizei als „leicht“ zu qualifizieren. Doch die Exekutive geht davon aus, dass sich die Täter dazu „verabredet“ hätten. Das erhöhe die Schwere des Delikts.
Für die Verhängung der U-Haft reicht dies aber nicht. Sie wurden „nur“ auf freiem Fuß angezeigt. Weshalb? Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, erklärt: „Die Voraussetzung für eine U-Haft war nicht gegeben.“
Angesicht der Augenzeugen-Berichte verwundert dies. Die AK-Kammerrätin Selma Schacht berichtet dem KURIER, dass die Angreifer mit „Schleudern, Flaschen und Holzprügeln“ bewaffnet gewesen seien. „Die Glassplitter der Flaschen sind noch in der Tür.“ Der Angriff sei kein Zufall, sondern wohlüberlegt gewesen. „Das war ein gezielter, politischer Angriff auf uns“, erklärt Nadir Aykut, ATIGF-Sprecher und KomIntern-Vorstandsmitglied. Die Grüne-Menschenrechtssprecherin Alev Korun mahnte die Behörden, den „rassistischen Vorfall“ ernst zu nehmen. Dass es anfangs hieß, man müsse erst prüfen, ob ein „politischer Hintergrund“ vorliege, kommentiert sie so: „Da muss man beide Augen schon sehr fest zudrücken.“ Austria Wien distanzierte sich von der Fangruppe.
F. lässt sich hingegen nicht unterkriegen. Mit Gleichgesinnten demonstrierte er gestern am Viktor-Adler-Markt gegen rechte Gewalt.
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