Warum nach Grinzing wieder die Wiener und keine Touristenbusse mehr kommen

Wenn der Wiener zum Heurigen geht, dann fährt er nach Neustift, nach Stammersdorf, vielleicht nach Mauer. Aber sicher nicht nach Grinzing! Diese Formel galt seit Jahrzehnten, weil sich der einst liebliche Heurigenort zu einem Auflaufplatz für Massentourismus verwandelt hatte, der jeden gemütlichen Buschenschank-Besuch zu einem Horrortrip für Einheimische verwandelte; bei dem die Gäste zu Schunkelmusik mit billigem Fusel und fettem Kümmelbraten abgefüllt, vollgestopft und letztlich nur ausgesackelt wurden.
Ein Image, das nur schwer abzustreifen ist. Obwohl es nun nicht mehr stimmt: „Gott sei Dank hat sich das massiv geändert. Grinzing ist jetzt wieder für die Wiener.“
Der das sagt, muss es wissen. Denn er selbst hat mit seinem Betrieb eine Radikalkur hinter sich, die gleichsam alternativlos war. Für Linus Schaber, eingeheiratet in den Traditionsheurigen Maly in der Sandgasse, war die Pandemie mit dem plötzlichen Wegbrechen der Kernkundschaft Krise und Chance zugleich: „Corona war eigentlich ein willkommener Schlussstrich. Wir haben dann gesagt, wir wollen diesen Bus- und Schiffstourismus, auf den wir spezialisiert waren, nicht mehr. Wir wollen für die Leute aus der Region da sein.“ Und wenn heute eine Agentur anruft? „Dann sagen wir ab. Wir müssen uns immer noch dagegen wehren“, sagt Schaber.
Blick zurück in die 1990er-Jahre: Als Schaber und seine Frau Claudia Maly den Familienbetrieb übernehmen, ist Grinzing längst das, was Hans Moser, Anton Karas, Peter Alexander und Co. (unfreiwillig) aus ihm gemacht hatten: Ein Rebensaft-Disneyland für Touristen aus aller Welt, das bei jedem Wien-Besuch Pflichtprogramm ist; und ein goldener Boden für Heurigenwirte, die mit immer größeren und immer lauteren Gaststätten dieses Heimatfilm-Image nicht achterl-, sondern dopplerweise verkaufen.
Das Klischee Grinzing
„Für mich war das aber von Anfang an nicht befriedigend. Es war eine Mords-Marketing-Maschinerie, aber ein Klischee und nicht authentisch“, sinniert Schaber. Statt Stammgäste und Freude zu begrüßen, hieß es, im Akkord Busladungen abzufertigen. So wie es damals alle in Grinzing machten. Ein Modell, das Fluch und Segen zugleich war. Und allen zu denken geben sollte, die heute an Übertourismus leiden. Denn die Nachkommen der großen Winzerdynastien waren entweder davon angewidert und/oder vom Betongold geblendet, da die Marke Grinzing noch viel besser auf dem Luxuswohnungsmarkt zog.
Viele sperrten zu
Aus der langen Liste der ehemaligen (Groß-)Heurigen ließe sich ein eigener Ort zimmern: Reinprecht, Passauerhof, Liebstöckl, Weinbottich, Ruckenbauer, Lenikus, … Geblieben ist nur eine Handvoll Buschenschanken: „Die Guten sind noch da, die aber an Qualität stark zugelegt haben“, sagt Schaber, der aber auch ein „leider“ anfügt. Denn der Charme des Ortes würde darunter natürlich schon leiden.
Das zeigt sich im Ortsbild überdeutlich: Ohne Heurigen keine schmucken Fassaden, auf denen der Wein rankt; keine Fässer, keine Laternderln. Wird der Föhrenbuschen für immer eingeholt, werden stattdessen die Rollos der neuen Wohnungen runtergelassen. Tote Augen allerorts. Wo früher durch das breite Tor der Steyr-Traktor gerumpelt ist, zwängt sich jetzt der Porsche-Cayenne heraus. Verfallserscheinungen auch bei den einst liebevoll gestalteten Info-Tafeln: Teils zerstört, vergilbt, nicht mehr aktuell, weil noch alles so wie früher. Das Grinzing von damals gibt es aber nicht mehr.
Fuchs und Reblaus
Doch nicht nur die Touristen-Busse sind verschwunden, auch die Jugend: Trummelhof-Bar und das Terrassencafé haben dichtgemacht, das Nino’s steht zum Verkauf. Fuchs und Reblaus sagen sich jetzt gute Nacht in Grinzing.
Gut gefüllt ist hingegen der lauschige Gastgarten beim Maly. Dass hier auch der Bürgermeister samt Entourage seine Angelobung gefeiert hat, ist gewiss ein Signal – statt Grinzing hätte es ja auch ein Innenstadt-Lokal sein können. Ohne Qualität beim Wein und beim Essen wird das aber nichts mit den Wienern – das Heurigenbuffet mit dem vertrockneten Schweinskarree und dem drei Tage alten Liptauer ist niemandem mehr zuzumuten: „Bei uns kann man nur noch à la carte bestellen, dafür ist alles frisch“, sagt Schaber. Und man gibt sich Raum für Innovationen: Der Schweinsbraten-Burger von Junior Oskar mag zwar manche irritieren, ein Renner ist er aber allemal. Ob Hans Moser deshalb so streng von der Wand schaut? Auch muss man die Kundschaft ab und zu bespaßen, um auch im Gerede zu sein: Am Sonntag gibt es die Heurigenmesse samt Frühschoppen, im Weinherbst folgen Wienerlieder-Abende zum Mitsingen, vor Weihnachten das Adventkranzbinden.
„Als Kinder haben wir die Busse gezählt"
Dass sich Grinzing quasi gesundgeschrumpft hat, goutiert auch Winzer-Obmann Martin Obermann, der mit seinem kleinen Bio-Betrieb an der Cobenzlgasse nie auf Touristen gesetzt hat. „Als Kinder haben wir die Busse gezählt – und bei 50 aufgehört“, erzählt er. Das sei nun komplett anders, weil es auch die Betriebe dafür nicht mehr gebe. „Dass man als Wiener Grinzing meidet, ist aber immer noch in den Köpfen. Aber die Leute kommen eh von selbst drauf, dass es jetzt nicht mehr so ist.“ Letztlich könne man seine Klientel – Stammgäste und kleine Touristengruppen – nur mit hochwertigen Weinen und feinem Essen gewinnen. Klasse statt Masse. „Dann findet man uns auch“, so Obermann.
Weindorf Grinzing
Erstmals urkundlich erwähnt wurde Grinzing 1114 als Grinzigan. 1892 wurde die bis dahin eigenständige Gemeinde ein Teil von Wien.
Weinbau
Seit dem Mittelalter gibt es in Grinzing Weinbau, seit 1784 (Josef II.) sind Heurige erlaubt. Schon damals wurden „Promis“ wie Mozart und Schubert magisch angezogen. Zur Hochblüte in den 1970er-Jahren gab es knapp 200 Heurige in Grinzing – derzeit nur noch eine Handvoll.
Heurigenmesse
Sonntag, 11 Uhr, Heuriger Maly.
„Jetzt wieder Normalität“
Auch im „Club der Grinzingfreunde“, der sich dem Erhalt des Ortsbilds verschrieben hat, ist man überzeugt, dass der Massentourismus geschadet hat. „Für Grinzing war das nicht gut. Jetzt ist wieder Normalität, die Touristen sind gerne willkommen, aber sicher nicht massenhaft in Bussen“, sagt Obmann Florian Ryba. Nun brauche es die Wiener und bestenfalls „sanften Tourismus“: „Das ist der einzige Weg.“ So erfindet sich Grinzing gerade neu. Damit nicht irgendwann gesungen wird: „Es wird a Wein sein/und Grinzing wird nimmer sein.“
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