Heumarkt: Wie nahe eine Lösung sein könnte

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12 Fragen – 12 Antworten. Wien wird diese Woche beim Welterbe-Kongress auf der „Roten Liste“ der UNESCO verbleiben. Dabei könnte ein Kompromiss näher sein als der jahrzehntelange Streit glauben macht.

Am Sonntag hat im UNESCO-Hauptquartier in Paris die 47. Sitzung des Welterbekomitees begonnen. Wie alle Jahre wieder seit 2017 – als „Wiens historisches Zentrum“ auf die „Rote Liste“ gesetzt wurde – wird dort das umstrittene Heumarkt-Projekt Thema sein. Wie steht es derzeit um das Projekt?

Was wird bei der Sitzung in Paris passieren?

Nicht viel. Anders als zuletzt wird der Fall Wien nicht zur Diskussion „geöffnet“, wie es im Fachjargon heißt. Damit wird der Entscheidungsentwurf vom Mai („Draft Decision“) wohl ohne breite Debatte angenommen werden. Und der Entwurf sieht vor, dass Wien ein weiteres Jahr auf der roten „Danger List“ verharren muss. Die Welterbehüter stören sich vor allem am Hochhausprojekt am Heumarkt, das aus ihrer Sicht nicht mit den Weltkulturerbe-Richtlinien kompatibel ist.

Warum gibt es in der Frage keine Bewegung?

Das hat damit zu tun, dass der Projektwerber – Michael Tojners Wertinvest – kein weiteres, adaptiertes Projekt vorgelegt hat, das zu diskutieren wäre. Er hat bereits mehrfach umgeplant – aber nie in so großem Umfang, dass die UNESCO zufrieden war. Damit gilt das Vorhaben als „auf Eis gelegt“. Auch politisch läuft das Projekt nach der Wien-Wahl derzeit auf Sparflamme.

Steht eine Aberkennung des Prädikats „Weltkulturerbe“noch zur Debatte?

Sollte die aktuelle Planung von den nationalen Behörden grünes Licht erhalten und der Bau beginnen, könnte die UNESCO tatsächlich den Titel aberkennen. Das hat die UN-Organisation immer betont. Da Bürgermeister Michael Ludwig stets die Bedeutung des Welterbes hervorgehoben hat, ist dieses Szenario realpolitisch eher unwahrscheinlich. Auch wenn sich bereits Stimmen in der SPÖ gemehrt haben, denen in der Causa der Geduldsfaden reißt.

Wäre eine Aberkennung nicht eine Blamage für die Stadt Wien?

Ja, sagen Bürgerinitiativen, Denkmalschützer und unter anderem die Wiener ÖVP. Schon die Eintragung auf der „Roten Liste“ galt vielen als internationale Blamage. Andere in der Stadt sehen keinen konkreten Wert des Titels. Zusätzliche Touristen etwa bringt er laut Verantwortlichen nicht in die Stadt. Wobei man beachten muss, dass das UNESCO-Prädikat dafür auch nicht gedacht ist. Es ist kein Marketing-Tool für den Tourismus – sondern soll dem Schutz der außergewöhnlichen, universellen Werte des Erbes der Menschheit dienen, auf Basis völkerrechtlicher Verträge. Kritiker bemängeln, dass das Weltkulturerbe die Weiterentwicklung der Stadt bremse und sie „unter einen Glassturz stellt“. Was man nicht vergessen darf: Wien hat das Prädikat einst selbst angestrebt.

Was ist Stand der Dinge beim Heumarkt-Projekt?

Es sind mehrere Varianten offiziell und inoffiziell im Rennen. Die ursprüngliche Variante auf Basis der Flächenwidmung von 2017 (mit 66-Meter-Wohnturm) ist ebenso zur Baugenehmigung eingereicht wie Versionen mit Maximalhöhen von 56,5 bzw. 49,95 Metern. Diese Varianten werden allesamt von der UNESCO als zu hoch abgelehnt. In Österreich prüft derzeit das Bundesverwaltungsgericht, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig ist, bei der die Welterbe-Verträglichkeit untersucht wird.

Sind das alle Varianten?

Nein. Es gibt Vorschläge, die nicht visualisiert und nur der UNESCO unterbreitet wurden. Kurz vor der Welterbesitzung 2024 wurde etwa ein Projekt aus dem Hut gezaubert, das einen Hotel-Neubau mit 48 Metern und einen Wohnturm mit 44 Metern vorsieht. Für die Welterbehüter erfüllt dieser Vorschlag aber „immer noch nicht die Anforderungen“, wie es im Vorjahr hieß.

Was wünscht sich die UNESCO genau?

Entgegen anders lautenden Meldungen hat die UNESCO schon 2013 klargemacht, dass sie am Heumarkt – in der Welterbe-Kernzone – keine Höhenentwicklung über den Bestand des Intercontinental (rund 38 Meter) wünscht. Dennoch wurde 2014 ein Siegerprojekt mit 73-Meter-Turm gekürt und vorangetrieben. Im Vorjahr unterbreitete die UNESCO der Stadt vier mögliche Varianten: Bei der für den Investor „günstigsten“ vierten Variante müsste der Wohnkomplex aber niedriger als die Interconti-Höhe ausfallen. Die UNESCO hält neben dem Heumarkt auch andere Bauprojekte (etwa das Belvedere-Besucherzentrum und die Palais Schwarzenberg-Erweiterung) in der Innenstadt unter Beobachtung.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

So verfahren der Jahrzehnte währende Streit scheint, so nah könnte ein Kompromiss sein. Im Grunde geht es nur noch um wenige Geschoße – und es brauche auch keinen völligen Neustart, wie manche meinen. Welterbe-Experte Michael Kloos hat in einem Gutachten schon einen klaren Vorschlag deponiert, mit dem man sich „ohne Gesichtsverlust“ quasi in der Mitte treffen könnte: 44 Meter der Wohnturm, 42 Meter das Hotel. Dabei wäre der sogenannte Canaletto-Blick vom Belvedere nicht mehr gestört.

Lässt sich die UNESCO auf Kompromisse ein?

Zumindest beim Hochhausprojekt Wien-Mitte war es vor fast 25 Jahren so: Dort galt die Hilton-Höhe von 66 Metern als das Maß – am Ende wurden über dem Landstraßer Bahnhof dann aber bis zu 70 Meter erlaubt.

Wird das Projekt damit nicht unwirtschaftlich?

Unklar. Manch einer sieht es nicht so: Das Heumarkt-Areal – mit dem Eislaufverein als Pächter – habe Tojner einst zum Schnäppchenpreis von 4,2 Millionen Euro erworben, das Intercontinental für 50 Millionen Euro. Immobilienexperten sehen eine attraktive Rendite – egal, wie das Projekt letztlich aussieht. Zum Vergleich: Auch bei Wien-Mitte wurde um jeden Meter gefeilscht, weil das Projekt sonst angeblich „unwirtschaftlich“ gewesen wäre. Kaum fertig, wurde es um 500 Millionen verkauft.

Hat das Heumarkt-Projekt nicht einen großen öffentlichen Nutzen?

In der Tat bekäme der Eislaufverein eine moderne Anlage, es entstehen eine Sporthalle sowie Freiflächen und Durchgänge. Allerdings: Dass das Areal schon so sanierungsbedürftig ist, daran sind alle Beteiligten des Endlos-Streits zumindest mitschuld.

Wann wäre Baubeginn?

Selbst im günstigsten Fall nicht vor 2028, mit einer Eröffnung wäre dann 2030 zu rechnen. Zu erwarten ist, dass die aktuell eingereichten Projekte noch jahrelange Gerichtsprozesse nach sich ziehen und wahrscheinlich doch noch eine UVP (Dauer: circa ein Jahr) erfordern. Gibt es ein von der UNESCO abgesegnetes Projekt, könnte wesentlich rascher gebaut werden.

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