Heumarkt-Projekt: Wie auf die Gutachterin Einfluss genommen wurde

So sieht die Initiative Stadtbildschutz das Projekt Heumarkt-neu von oben.
Im Zuge des UVP-Verfahrens änderte die Gutachterin ihre kritische Haltung - nachdem die Rathaus-Behörde Änderungen verlangt hatte.

Am Ende setzte  SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig seine Unterschrift unter den Bescheid. Damit war mit Amt und Siegel festgestellt, dass das Hochhausprojekt am  Heumarkt keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) benötigt, da das UNESCO-Welterbe „Wiens historisches Zentrum“ „nicht erheblich“ beeinträchtigt würde.

Zuvor hatte auch der pinke Juniorpartner seinen Widerstand aufgegeben, da ein „unabhängiges Gutachten“ dies  so festgestellt habe. Das war im August 2024 (der KURIER berichtete).

Brisanter Heumarkt-Akt

Nun gibt es aber gravierende Zweifel, dass besagtes Gutachten wirklich "unabhängig" zustande gekommen ist – denn Recherchen des KURIER lassen anderes erkennen. Der vorliegende, mehrere Hundert Seiten starke Heumarkt-Akt aus dem UVP-Verfahren offenbart nicht nur eine verheerende Optik, sondern auch ein mutmaßlich unsauberes Verfahren. Denn die  Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 hat nachweislich Einfluss auf das städtebauliche Gutachten genommen. 


Dass Wien das umstrittene Vorhaben von Michael Tojners Wertinvest politisch gutheißt, ist bekannt. Dennoch hat die Behörde den Sachverhalt unabhängig zu prüfen – schließlich ist die UVP der Schlüssel zur Baugenehmigung (siehe Kasten). Die Entscheidung Wiens basierte letztlich auf dem Gutachten der nicht amtlichen Sachverständigen Christa Reicher, die Städtebau-Professorin an der Universität Aachen ist. 

Erstes Gutachten kritisch

Sie liefert am 24. Februar 2023 zunächst eine über viele Passagen kritische Stellungnahme ab: Die barocke Sichtbeziehung vom  Belvedere aus („Canaletto-Blick“), die für die UNESCO immer entscheidend war, würde durch die 56,5 und 47,85 Meter hohen Gebäude „insofern drastisch verändert, als dass sich ein wesentlich höherer Baukörper im Hintergrund des unteren Schlosses auftürmt“.

Heumarkt-Projekt: Wie auf die Gutachterin Einfluss genommen wurde

Vorher, nachher: Im Gutachten von Februar 2023 ist der entscheidende Canaletto-Blick noch „drastisch verändert“. Nach einer Aufforderung der MA 22 ist er im Gutachten von April 2023 nur noch „verändert“.


Der vorgesehene Wohnturm sei  „im Kontext der Umgebung“ eine „übertriebene städtebauliche Geste“; den geplanten Abriss des Hotels Intercontinental (zugunsten eines höheren Hotel-Neubaus) sieht Reicher ebenfalls kritisch, da  das Gebäude „baukulturellen Wert“ besitze, nämlich  in seiner Eigenschaft als „Zeitzeuge der Wiener Moderne“.

"Als erheblich zu bezeichnen"

In Summe sieht die Expertin in  gleich fünf Bereichen – Stadtmorphologie, Stadtansichten,  barocke Schloss- und Gartenanlagen,  gründerzeitlicher Städtebau und  Wiener Moderne – Probleme, weshalb sie festhält: „Die genannten zu erwartenden Beeinträchtigungen (...) können auf den ersten Blick durchaus als erheblich bezeichnet werden.“ Und: „Es ist zu erwarten, dass   (...) starke Beeinträchtigungen auf die funktionale, strukturelle und visuelle Integrität hervorgerufen werden.“


Am Ende ihrer Expertise, die Reicher nur als „ein Baustein im Kontext weiterer Untersuchungen“ sieht, schwenkt sie aber um und findet: Die „zu erwartenden Beeinträchtigungen des Schutzzwecks der UNESCO-Welterbestätte“ seien „nicht als erheblich einzustufen“. 

Die Wünsche des Rathauses

Dann passiert Folgendes: Zunächst bespricht sich Reicher in Wien mit den Beamten der MA 22, ehe sie von dort beauftragt wird, das Gutachten „zu überarbeiten bzw. zu ergänzen“, da es in einigen Punkten „nicht nachvollziehbar“ sei. Konkret geht es um die  „Ableitbarkeit des Ergebnisses“, wonach die  zu erwartenden Beeinträchtigungen „nicht als erheblich einzustufen sind“. Heißt im Klartext: Die kritischen Anmerkungen Reichers verwässern das Endergebnis – oder wie es im Schreiben heißt: Ein Gutachten muss „zu einem abschließenden Ergebnis kommen“. Bemerkenswert ist auch, dass der Umweltschutz-Beamte der Städtebau-Professorin Nachhilfe in Sachen Intercontinental  gibt und dessen baukulturelle Bedeutung bezweifelt.

Zweites Gutachten: Plötzlich alles anders

Die Bearbeitung der Gutachterin trägt jedenfalls Früchte:  Denn in der  neuen Expertise vom 13. April 2023 sind die zitierten Passagen entweder deutlich abgeschwächt oder ganz eliminiert.  Der „Canaletto-Blick“ ist nur noch  „verändert“ und nicht mehr „drastisch verändert“,  die Beeinträchtigungen sind  nicht mehr „stark“ oder gar „erheblich“. Das Plädoyer für das Intercontinental entfällt ebenso wie die Kritik am Wohnturm. Somit steht nur das finale Fazit, wonach das Projekt für das Welterbe „nicht erheblich“ sei.

Beschwerde bei Bundesverwaltungsgericht

Das freut auch die Anwälte Tojners, die in einem Schreiben das nunmehr „schlüssig hergeleitete Ergebnis“ begrüßen, da es ein „klares rechtliches Ergebnis“ kontra UVP gäbe. Und auch die Umweltanwaltschaft begrüßt das „schlüssige Gutachten“.


Spannend wird sein, wie das Bundesverwaltungsgericht diese Art des Verfahrens würdigt: Die  Umweltorganisationen „Alliance for Nature“ und „Virus“ haben bereits Beschwerde  eingelegt. 

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