Dass Wien das umstrittene Vorhaben von Michael Tojners Wertinvest politisch gutheißt, ist bekannt. Dennoch hat die Behörde den Sachverhalt unabhängig zu prüfen – schließlich ist die UVP der Schlüssel zur Baugenehmigung (siehe Kasten). Die Entscheidung Wiens basierte letztlich auf dem Gutachten der nicht amtlichen Sachverständigen Christa Reicher, die Städtebau-Professorin an der Universität Aachen ist.
Erstes Gutachten kritisch
Sie liefert am 24. Februar 2023 zunächst eine über viele Passagen kritische Stellungnahme ab: Die barocke Sichtbeziehung vom Belvedere aus („Canaletto-Blick“), die für die UNESCO immer entscheidend war, würde durch die 56,5 und 47,85 Meter hohen Gebäude „insofern drastisch verändert, als dass sich ein wesentlich höherer Baukörper im Hintergrund des unteren Schlosses auftürmt“.
Der vorgesehene Wohnturm sei „im Kontext der Umgebung“ eine „übertriebene städtebauliche Geste“; den geplanten Abriss des Hotels Intercontinental (zugunsten eines höheren Hotel-Neubaus) sieht Reicher ebenfalls kritisch, da das Gebäude „baukulturellen Wert“ besitze, nämlich in seiner Eigenschaft als „Zeitzeuge der Wiener Moderne“.
"Als erheblich zu bezeichnen"
In Summe sieht die Expertin in gleich fünf Bereichen – Stadtmorphologie, Stadtansichten, barocke Schloss- und Gartenanlagen, gründerzeitlicher Städtebau und Wiener Moderne – Probleme, weshalb sie festhält: „Die genannten zu erwartenden Beeinträchtigungen (...) können auf den ersten Blick durchaus als erheblich bezeichnet werden.“ Und: „Es ist zu erwarten, dass (...) starke Beeinträchtigungen auf die funktionale, strukturelle und visuelle Integrität hervorgerufen werden.“
Am Ende ihrer Expertise, die Reicher nur als „ein Baustein im Kontext weiterer Untersuchungen“ sieht, schwenkt sie aber um und findet: Die „zu erwartenden Beeinträchtigungen des Schutzzwecks der UNESCO-Welterbestätte“ seien „nicht als erheblich einzustufen“.
Die Wünsche des Rathauses
Dann passiert Folgendes: Zunächst bespricht sich Reicher in Wien mit den Beamten der MA 22, ehe sie von dort beauftragt wird, das Gutachten „zu überarbeiten bzw. zu ergänzen“, da es in einigen Punkten „nicht nachvollziehbar“ sei. Konkret geht es um die „Ableitbarkeit des Ergebnisses“, wonach die zu erwartenden Beeinträchtigungen „nicht als erheblich einzustufen sind“. Heißt im Klartext: Die kritischen Anmerkungen Reichers verwässern das Endergebnis – oder wie es im Schreiben heißt: Ein Gutachten muss „zu einem abschließenden Ergebnis kommen“. Bemerkenswert ist auch, dass der Umweltschutz-Beamte der Städtebau-Professorin Nachhilfe in Sachen Intercontinental gibt und dessen baukulturelle Bedeutung bezweifelt.
Zweites Gutachten: Plötzlich alles anders
Die Bearbeitung der Gutachterin trägt jedenfalls Früchte: Denn in der neuen Expertise vom 13. April 2023 sind die zitierten Passagen entweder deutlich abgeschwächt oder ganz eliminiert. Der „Canaletto-Blick“ ist nur noch „verändert“ und nicht mehr „drastisch verändert“, die Beeinträchtigungen sind nicht mehr „stark“ oder gar „erheblich“. Das Plädoyer für das Intercontinental entfällt ebenso wie die Kritik am Wohnturm. Somit steht nur das finale Fazit, wonach das Projekt für das Welterbe „nicht erheblich“ sei.
Beschwerde bei Bundesverwaltungsgericht
Das freut auch die Anwälte Tojners, die in einem Schreiben das nunmehr „schlüssig hergeleitete Ergebnis“ begrüßen, da es ein „klares rechtliches Ergebnis“ kontra UVP gäbe. Und auch die Umweltanwaltschaft begrüßt das „schlüssige Gutachten“.
Spannend wird sein, wie das Bundesverwaltungsgericht diese Art des Verfahrens würdigt: Die Umweltorganisationen „Alliance for Nature“ und „Virus“ haben bereits Beschwerde eingelegt.
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