Herzstillstand ist kein Todesurteil
Rhythmisch presst der Notfallsanitäter die Hände in den Brustkorb der Frau, ein anderer bedient gleichmäßig den Beatmungsbeutel. Die 67-Jährige liegt entkleidet am Boden, ihr Mann kniet daneben mit zum Gebet gefalteten Händen und murmelt vor sich hin. Die Frau ist in diesem Moment dem Tod näher als dem Leben.
Drei Sanitäter der Wiener Berufsrettung sind schon da, als Henrik Maszar, 42, eintrifft. Er ist ein Kollege, gleichzeitig auch Ausbildner und einer von neun Qualitätsmanagern. Sie rücken aus, wenn es kritisch ist, um die 650 Sanitäter zu unterstützen. Maszar sammelt dabei Erfahrungen für die Ausbildung und Daten für die Wissenschaft. "Ich beobachte, greife aber ein, wenn Hilfe benötigt wird."
Das ist gerade der Fall. Maszar öffnet seinen Rucksack und zieht "Lucas II" heraus. Es ist ein handliches "Gerät zur Thoraxkompression", eine Herzdruck-Maschine. Die Sanitäter hieven den Oberkörper der Frau hoch und schieben eine Platte unter ihren Rücken. Dann platzieren sie "Lucas II" über der Brust der Leblosen. Monoton, hundert Mal pro Minute, drückt sich eine Platte in die Brust der Frau. Es sieht aus wie ein riesiger Stempel, der nun die Sanitäter entlastet.
In Wien sterben rund 3000 Menschen jährlich an Herzstillstand. Durchschnittlich sind sie erst 66 Jahre alt. Der Großteil ist schon tot, wenn die Notärzte und Sanitäter eintreffen. Doch bei 700 können die Retter noch zur Reanimation ansetzen. Von ihnen schaffen es 220 in Spitäler. Dreißig Personen überlebten bisher ohne bleibende Schäden.
Zu wenig Erste Hilfe
Dieser Wert könnte viel besser sein. Das betont Fritz Sterz, stellvertretender Leiter der Notfallambulanz des Wiener AKH, unermüdlich. In der Rettungskette schwächelt vor allem ein Glied – der Laie. "Mehr Hilfe durch Ersthelfer würden die Überlebenschancen drastisch erhöhen", erklärt Sterz.
Die Berufsrettung ist im internationalen Vergleich zwar schnell: Vom Abheben des Telefons in der Notrufzentrale bis zum Eintreffen braucht sie durchschnittlich acht bis zwölf Minuten. Dazwischen weist der Disponent am Telefon den Helfer genau an, was er zu tun hat. Die Erste Hilfe kann aber niemand ersetzen. Bleibt sie aus, beginnen nach drei Minuten Zellen abzusterben.
Seit acht Minuten arbeitet "Lucas II". "Zurücktreten" – der Defibrillator "schockt" die Patientin. Der Notarzt ist nun eingetroffen. Noch eine Minute "hämmert" der überdimensionierte Stempel weiter, ehe das Herz der 67-Jährigen zu schlagen beginnt.
Kühlmatten
Einst wurde das Sterben mit dem letzten Herzschlag gleichgesetzt. Heute weiß man, dass erst der Hirntod das Ende markiert. Seit Jahren arbeitet Sterz daran, den Prozess des Sterbens hinauszuzögern. Ein Rezept dafür klingt banal – Kühlung. Sie verlangsamt das Zell-Sterben. Mit solchen Techniken gelang es, die Überlebensrate jener, die es ins Spital schaffen, von 30 auf 60 zu erhöhen.
Maszar und seine Kollegen decken die Patientin mit kleinen Kühlmatten zu. Dann klärt er kurz die wartenden Verwandten auf. Der 42-Jährige ist ein Routinier mit 15.000 Einsätzen am Buckel. "Sie können jetzt nichts tun. Kommen Sie in zwei Stunden ins AKH." Mit Blaulicht rasen drei Rettungswagen in Richtung des Spitals davon.
Der Einsatz der Kühlmatten klingt simpel, der Aufwand dahinter ist groß. Die Wiener Berufsrettung unterhält eine eigene Ausbildungsakademie. Hier lernen Sanitäter das Wissen von Experten wie Professor Sterz in der Praxis einzusetzen. Derzeit läuft ein Feldversuch: Patienten bekommen über die Nase Flüssigkeit injiziert, um das Hirn zu kühlen. "Wir wenden neueste wissenschaftliche Erkenntnisse an. Damit spielen wir weltweit in der ersten Liga mit", erzählt Rainer Gottwald, der Chef der Wiener Berufsrettung.
Die Bindeglieder zwischen Praxis und Forschung sind Qualitätsmanager wie Maszar. Er wertet die Daten des Defibrillators und der Herzdruck-Maschine aus: Wie oft "Lucas II" presste? Welchen Herzrhythmus hatte die Patientin?
Am Rennweg hält der Rettungswagen an. Maszar sprintet nach vorne. Erneut steht das Herz der Frau still.
"Wir geben immer das Beste", sagt er später. Doch man müsse erkennen, wenn die Grenze erreicht sei. Bei der Patientin ist sie es nicht. Im Wagen wird "Lucas II" aktiviert. Dann geht es ins AKH. Auf der Station hat die Frau einen stabilen Kreislauf. Sie ist dem Tod entkommen.
Lesen Sie am Dienstag: Professor Fritz Sterz fordert im Interview "Erste Hilfe" als Schulfach und eine eigene Facharztausbildung für Notfallärzte.
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