Jeff Schreiner muss von den Riesenschildkröten Abschied nehmen, sie übersiedeln
Wie die ersten sechs Monate für den neuen Direktor und Veterinärmediziner Jeff Schreiner verlaufen sind - und warum es wichtig ist, loslassen zu können.
In der Mangrovenabteilung herrscht ein tropisches Klima. Jeff Schreiner krempelt einen Ärmel hoch, holt einen kleinen Pfeilschwanzkrebs aus dem Wasser und inspiziert ihn. "Ah, ihm geht’s wunderbar", sagt Schreiner zufrieden und setzt ihn vorsichtig wieder zurück ins Mangroven-Aquarium.
Schreiner darf das. Schließlich war er hier, im Haus des Meeres, schon seit 2022 als Tierarzt tätig – und ist seit Anfang 2025 Geschäftsführer und Direktor des Zoos im ehemaligen Flakturm.
Der 30-Jährige tritt damit die Nachfolge von Michael Mitic an, der diese Funktion 18 Jahre lang innehatte.
Knapp ein halbes Jahr hat der gebürtige Luxemburger nun also hinter sich. Sein bisheriges Fazit? "Großartig, unglaublich herausfordernd und auch anstrengend", sagt er.
Aber es mache auch viel Spaß, den Tiergarten so zu formen, wie er sich einen modernen, wissenschaftlich geführten Zoo vorstelle.
Meeresschildkröte "Puppi" lebt seit den 1980er Jahren hier
Dazu gehört auch, loslassen und Abschied nehmen zu können. Konkret von den vier Aldabra-Riesenschildkröten, die in diesen Tagen in ihr neues Zuhause im Wüstenhaus des Tiergartens Schönbrunn mit einem deutlich größeren Gehege umgezogen sind.
Der Fokus liegt auf kleineren Tierarten
"Die Pfleger sind traurig, ich bin traurig, wir sind alle traurig. Aber ich bin überzeugt, dass es den Tieren dort besser geht", sagt Schreiner und krault eine Schildkröte am Kopf.
Denn der Fokus im Haus des Meeres liegt nun stärker auf kleineren Tierarten – und das aus gutem Grund. "Wir sind ein Erfolgsmodell. Es gibt keinen anderen Zoo, der ohne Panda, Nashorn und Co. so erfolgreich ist. Aber wir müssen uns eben auch fragen, welche Tiere wir hier nicht so gut halten können", sagt er. "Ich möchte zu 110 Prozent und mit gutem Gewissen hinter unserem Zoo stehen können."
Dazu gehört auch, den schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Bildungsauftrag zu meistern. "Ganz klar, die Leute kommen zu uns, um Tiere zu sehen und sich einen schönen Tag zu machen", sagt er. Das sei für ihn aber fast schon der unwichtigste Punkt.
Es geht um die Balance
"Ich möchte Leute bilden, ich möchte die Arterhaltung vorantreiben."Es gelte also, die Balance zu halten: Die Besucher sollen einerseits eine spannende Zeit erleben, andererseits aber auch gescheiter hinausgehen, als sie hereingekommen sind.
"Ich selbst sehe mich auch als Zooskeptiker", sagt Schreiner, der sich schon seit seiner Kindheit für exotische Tiere begeistert. "Aber genau das ist meine Verantwortung: Wie kann ich die Menschen für das Thema sensibilisieren?"
Haus des Meeres, Fritz-Grünbaum-Platz 1, 1060 Wien. Täglich geöffnet von 9 bis 20 Uhr.
10.000 Tiere leben hier auf 11 Stockwerken und einer Fläche von ca. 5.000 Quadratmetern. Darunter Haie, Rochen, Echsen, Schlangen, Vögel, Äffchen und Insekten.
Sommer-Workshops: Forscher-Safari und Ozean-Atelier für Kinder von vier bis zwölf Jahren.
Er bekommt oft Nachrichten von Zoogegnern – "das geht bis zu Morddrohungen", sagt Schreiner abgeklärt. Doch noch nie hat ein vehementer Zookritiker, wie er sie immer wieder einlädt, das Haus des Meeres auch als Zookritiker verlassen.
Artenschutz beginnt vor der Haustür
Der Großteil der Arten im Haus ist bedroht – aber nicht alle sind Exoten. In einem großen Aquarium kann man beispielsweise heimischen Stör-Jungtieren zuschauen, deren Aufgabe es einmal sein wird, die vom Aussterben bedrohte Störpopulation in der Donau zu erhalten. "Damit wollen wir auch zeigen, dass der Artenschutz vor der eigenen Haustür beginnt", erklärt Schreiner.
Als Sprachrohr für diese Botschaft nutzt der neue Direktor schon seit Jahren sehr erfolgreich Social Media. Hier könne man, sagt er, auch junge Menschen gut abholen und ihnen auf unterhaltsame Art vermitteln, welchen Beitrag sie selbst zum Artenschutz leisten können.
Von seinem Vorgänger konnte Schreiner, wie er sagt, viel lernen.
Ultraschall bei einem Koi
"Er hat vorgelebt, dass man als Direktor mit anpackt und dass man sich für viele Aufgaben nicht zu fein sein sollte. Ich habe nachher einen Anzugtermin und dann ziehe ich die kurze Hose an, springe in den Teich und mache einen Ultraschall bei einem Koi", sagt Schreiner und lacht.
Die Liebe zu Tieren endet für den jungen Direktor übrigens nicht an der Zootüre. In seiner Wohnung hält er Krokodilschwanzechsen, Pazifikboas und Baumwarane. "Wir führen aber eine sehr einseitige Beziehung. Ich liebe sie, aber sie wollen nur gefüttert werden."
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