Die Gezeichneten von Gumpendorf: Unterwegs mit mobilen Sozialarbeitern

U6 Haltestelle Gumpendorfer Straße
Rund um die Beratungsstelle „Jedmayer“ am Gürtel warten jene, die „Stoff“, also Drogen brauchen. Mobile Sozialarbeiter sollen im Auftrag der Stadt helfen. Der KURIER begleitete sie.
Von Uwe Mauch

Vor dem Eingang zur U-Bahn-Station Gumpendorfer Straße zeigt sich seit vielen Jahren das scheinbar immer gleiche Bild: Hier wartet eine Gruppe von Menschen, die irgendwann den Anschluss an die Mitte der Gesellschaft verloren haben, die deshalb mehr oder weniger dringend Stoff benötigen, um zumindest für kurze Zeit sich in eine andere Welt zu flüchten, die von ihrer Sucht und ihrer Abhängigkeit gezeichnet sind.

Mittwoch, kurz vor 14 Uhr: Die Grätzlpolizisten scheinen Herr der Lage zu sein. Ohne Hektik unterhalten sich die Hüter des Gesetzes mit den Wartenden, von denen keine Aggression ausgeht. Zu sehr ist hier jeder mit sich selbst beschäftigt.

„Die, die mit dem Tempo unserer Gesellschaft nicht mehr mitkommen, die Abgehängten, werden sichtbarer in der Stadt“, berichtet Martin Tiefenthaler, der schon seit 2010 als Sozialarbeiter der Suchthilfe Wien arbeitet. Die führt im gelben Haus schräg gegenüber von der U6-Station das Tageszentrum „Jedmayer“, vulgo „das Jedmayer“. Wie der Name deutlich machen soll, kann hier jeder Mayer, Müller oder Mustermann reinkommen und um Unterstützung bitten.

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Ein Angebot: Haus der Suchthilfe Wien am Gumpendorfer Gürtel.

Das Spektrum des Angebots reicht vom Tausch von Einweg-Spritzen über Rückzugsorte bis hin zu Suchttherapien.

Unterwegs auf den Straßen von Wien

Darüber weit hinaus sind der Sozialarbeiter Tiefenthaler und seine Kollegen auf den Straßen und in den Parks von Wien regelmäßig unterwegs. Aufgabe der „SAM“-Teams für „mobile soziale Arbeit im öffentlichen Raum“ ist es, auf die oft prekär lebenden Klienten zuzugehen und möglichst auf Augenhöhe Hilfe anzubieten.

Zudem sollen sie, so der Auftrag der Stadt, die Ängste und Sorgen der Anrainer ernst nehmen, ihnen zuhören und – sofern möglich – gemeinsam an Lösungen arbeiten. Nicht jeder Wunsch könne erfüllt werden, betont Tiefenthaler. „Es gibt halt Phänomene in einer Großstadt, die können wir nicht einfach wegdiskutieren.“

Immer weniger Räume ohne Konsumzwang

Berichte, wonach die Lage im Grätzl rund ums „Jedmayer“ eskaliert, möchte einer, der es als Augen- und Ohrenzeuge am besten wissen muss, nicht bestätigen. Faktum sei viel mehr: „Die Räume ohne Konsumzwang werden weniger.“

Eine Visite im Fritz-Imhoff-Park belegt diese These. Der ruhige Park befindet sich am Ende einer Sackgasse und wird auch sonst gut von der Hektik abgeschirmt: von einer Lärmschutzwand zum Gürtel und auf der einen Seite von den Wänden einer Wohnhausanlage.

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Ein Rückzugsort: Der Fritz-Imhoff-Park am Ende einer Sackgasse.

Man wartet in dieser Grünoase mitten in Gumpendorf auch am helllichten Tag nicht lange, um auf Menschen zu treffen, die den Schatten und nicht die Öffentlichkeit der Großstadt suchen. 

Muss man daher im Fritz-Imhoff-Park von dramatisch mehr Drogensüchtigen sprechen? Der Bereichsleiter tut sich schwer mit schnellen Urteilen. Martin Tiefenthaler macht lieber auf das Faktum aufmerksam, dass zuletzt die „Stadtwildnis“ zwischen den mehrspurigen Asphaltbändern des Gürtels teilweise verbaut wurde. Weil damit ein Rückzugsort verloren ging, ist es möglich, dass nun in den kleinen Park ausgewichen wird.

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Sozialarbeiter Martin Tiefenthaler: „Die Räume ohne Konsumzwang werden weniger. Die, die mit
dem Tempo unserer Gesellschaft nicht mehr mitkommen, die Abgehängten, werden sichtbarer.“

Großstadtphänomene, die auf Armut und Ausgrenzung schließen lassen, dürften sich in Wien nach der Pandemie verändert haben. Noch Mitte der 2010er-Jahre sprachen Armutsforscher von „versteckter Armut“. Heute zeichne sie sich im Stadtbild viel deutlicher ab, befindet Martin Tiefenthaler.

Er wiederholt am Ende die Einladung an alle, die sich Sorgen machen: „Reden Sie mit uns, das hat auch nichts mit Vernaderung zu tun. Gemeinsam suchen wir eine Lösung.“

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