Geheimakte Christkindlmarkt: So intransparent ist das System
Seit zwanzig Jahren steht Helene Mayer auf der Warteliste. Damals hat sie sich für einen Gastro-Stand am Christkindlmarkt auf dem Rathausplatz beworben. „Ich hab’ mir eh gedacht: ,Heuer sollt’ ich einmal nachfragen, ob’s vor der Pension noch was wird’.“
In Wirklichkeit hat Frau Mayer den Traum vom Stand auf dem Rathausplatz natürlich längst aufgegeben. Inzwischen betreibt sie ihren Punsch-Stand auf einem anderen Wiener Christkindlmarkt.
Mit Jägermeisterhut und Weihnachtskatzenpullover schiebt sie dort eine Wuchtel nach der anderen. Wenn Kontrollore des Marktamts aufmarschieren, murmelt sie „No, haben’s denen den Petersil verhackt?“. Und wenn drei Hackler im Arbeitsgewand drei Langos bestellen, sagt sie: „Jetzt hob i mit drei Turbo-Punsch grechnet.“
Bei all den Scherzen bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn nicht nur der Fall von Frau Mayer zeigt: Das Geschäft mit den Christkindlmärkten ist nicht nur millionenschwer, sondern auch undurchsichtig. Wer mehr zur Praxis der Standvergabe wissen will, stößt auf Schweigen oder Unverständnis. Konkrete Zahlen gibt es nur auf mehrmaliges Drängen.
Auch Frau Mayer will ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie ist zu lange im Geschäft, um nicht zu wissen, dass Kritik an den Veranstaltern Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Denn die Wiener Christkindlmärkte sind in der Hand einiger weniger. Von den 20 Weihnachtsmärkten, die es heuer in Wien gibt, betreibt fünf der Verein zur Förderung des Marktgewerbes in Österreich (Details siehe Grafik). Vier veranstaltet die Event- und Promotion-Agentur MagMag. Die restlichen elf sind in der Hand von einzelnen Firmen und Vereinen.
Selbst eine parteipolitische Aufteilung orten manche: Der Rathausplatz gilt als SPÖ-nah, der Weihnachtsmarkt auf der Freyung wurde einst von einem ÖVP-Gemeinderat gegründet, der am Spittelberg gilt als grün.
Doppelfunktion
Alle Jahre wieder im Zentrum der Kritik: der Christkindlmarkt auf dem Rathausplatz – und sein Betreiber Akan Keskin.
Dass ihm SPÖ-Nähe vorgeworfen wird, kommt so: Keskin ist nicht nur Obmann des Vereins, der den Markt ausrichtet, sondern auch Vizepräsident im Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband Wien (SWV).
Außerdem ist er Kammerfunktionär, nämlich stellvertretender Obmann der Sparte Handel in der Wiener Wirtschaftskammer. Als Veranstalter ist Keskin für die Vergabe der Stände auf dem Rathausplatz zuständig – spätestens hier könnte es zu Unvereinbarkeiten kommen.
Ein Standler, der unerkannt bleiben will, sagt: „Jeder hat Angst, gegen ihn zu sprechen. Er regelt das wie ein Diktator.“
„Ich bin direkt, aber ich bin kein Diktator. Ich geh’ sogar den Müll aufsammeln auf dem Rathausplatz.“
Stand gegen Stimme
„Was für mich so verwerflich ist, ist, dass Keskin seine Stärke am Markt für seine Funktion in der Wirtschaftskammer ausnutzt“, sagt Doris Knor vom Club der Wiener Marktfahrer und Mitglied im
ÖVP-nahen Wirtschaftsbund. Er agiere nach dem Motto „Wählst du mich, dann kriegst du den Platz“. Keskin kontert: „Das ist eine Lüge.“ Von 152 Rathausplatz-Standlern seien „vielleicht 30“ stimmberechtigt in der Kammer.
Knor ist mit ihrer Kritik nicht alleine: Schon in den vergangenen Jahren monierten im KURIER vor allem Neos und FPÖ „Freunderlwirtschaft“ bei der Standvergabe. Um die Vorwürfe zu entkräften, wurde im Vorjahr sogar ein Punktesystem bei der Bewerbung eingeführt.
Seitdem vergibt eine Jury für jede Bewerbung Punkte. Wer die meisten hat, erhält den Zuschlag. Bei Punkte-Gleichstand ist jener Standler im Vorteil, der schon ein Mal auf dem Rathausplatz verkauft hat. Von Transparenz kann trotzdem keine Rede sein: Die Jury besteht ausschließlich aus Vorstandsmitgliedern von Keskins Verein.
Und die vergeben die Stände eben nicht nur an externe Bewerber, sondern auch an Keskin selbst – und an sein persönliches Umfeld. 18 Gastro-Stände gibt es auf dem Rathausplatz, 7 davon betreiben Keskin und seine Leute selbst. Das hat auch die Rechercheplattform Dossier kürzlich berichtet.
Konkret: Stand Nummer 150 betreibt Keskin mit seinem Geschäftspartner, mit dem er das Orient & Occident am Naschmarkt führt. Keskins Tochter hat die Stände 79 und 152. Drei Stände werden von Familie Strobl, Wiener Marktfahrer-Urgestein, bespielt. Fritz Strobl ist Präsident im sozialdemokratischen SWV und damit in diesem Gremium der Vorgesetzte von Keskin.
Schanzt er also sich und seinen Lieben selbst die Stände zu? Keskin verneint. Sobald über seine Stände oder die seiner Familie entschieden wird, ziehe er sich aus der Jury zurück. Freilich: Seine Vereinskollegen bleiben.
„Es braucht endlich klare Richtlinien für die Vergabe“, sagt der Neos-Wirtschaftssprecher Markus Ornig. Keskins Verein sei „dubios“, der Bürgermeister in der Pflicht.
Denn, pikantes Detail am Rande: Die rot-grüne Stadtregierung überlässt Keskin den öffentlichen Rathausplatz alljährlich gratis. (Selbiges gilt übrigens für alle Veranstaltungen auf dem Platz.) Zahlen muss Keskin nur die Marktgebühr. Pro Stand sind das gerade mal 6,30 Euro am Tag.
Erfahrung zählt
Auf den anderen Märkten verhält es sich ähnlich: Welche Standler auf welchem Markt stehen, bestimmen die Veranstalter selbst. Nach eigenem Ermessen, niemand mischt sich ein. Wer sich erstmalig bewirbt, ist im Nachteil.
Auch beim Art Advent vor der Karlskirche ist das so. Dort entscheidet die Jury des Vereins, der den Markt veranstaltet, wer ausstellen darf.
Die Zuschreibung „Christkindlmarkt“ hört man dort nicht gern. Beim Art Advent wird keine übliche Handelsware verkauft, sondern ausschließlich von den Standlern produziertes Kunsthandwerk, sagt Renate Jindra-Matel, als der KURIER mit ihr über die Vergabe sprechen will.
Auf dem Spittelberg ist es ähnlich. Eine Jury des Betreiber-Vereins entscheidet, wer zum Zug kommt. „Wir haben nie jemanden abgelehnt“, sagt Pius Strobl zum KURIER. Der ORF-Manager ist Veranstalter des Weihnachtsmarktes. Wer die Kriterien erfüllt, für den finde man Platz, sagt Strobl. Viele würden den Anforderungen eben nicht entsprechen.
„Mir wurden schon Unsummen geboten für Punsch-Stände“, sagt Pius Strobl – vergeblich. Gastro-Stände dürfen am Spittelberg nur die Spittelberg-Gastronomen betreiben.
Auch auf dem Rathausplatz kennt man das Gerangel: Für knapp 150 Stände gibt es jedes Jahr bis zu 400 Bewerber. Für Klein-Produzenten ist es so quasi unmöglich, einen Stand zu bespielen.
„Egal, wo Sie in Wien stehen wollen, für Kleine ist es zu teuer“, sagt Gabriele Prosser. Sie betreibt die Bio-Honigmanufaktur in Kärnten. Gerne hätte sie ihren Honig in Wien verkauft. Aber die Wartelisten sind lang – und selbst wenn: 42 Tage lang mehr als 8 Stunden täglich an einem Stand zu stehen, das geht sich für kleine Betriebe nicht aus. Zu wenig Personal, zu wenig Geld für die Miete, zu wenig Ware.
Geld mit Gastro
Dabei wäre das Geschäft lukrativ. Besonders für Punsch-Stände. Die Kosten für 42 Tage bewegen sich zwischen 4.000 Euro (Donau-City) und 50.000 Euro (Schönbrunn).
Die rund 30.000 Euro, die in der Inneren Stadt verlangt werden, haben Gastronomen schon nach einem „starken Samstag“ wieder erwirtschaftet, wie ein Wirt dem KURIER erzählt. Wie viel die Gastronomen genau verdienen, will niemand sagen. Aber: „Natürlich verdient man gut. Wir machen das ja nicht aus purer Menschlichkeit“, sagt Franz Schmitsberger, der auf dem Karlsplatz einen Bio-Punsch-Stand betreibt.
Wie viel die Veranstalter selbst einnehmen, bleibt ebenfalls ein Geheimnis. Für die Flächen müssen sie jedenfalls in den meisten Fällen keine Benützungsgebühr bezahlen. Die Stadt gibt – wie erwähnt – ihre Flächen kostenlos (gegen Auflagen) her, eine Ausschreibung sei nicht notwendig. Die Burghauptmannschaft, auf deren Flächen ebenfalls Märkte stattfinden, beruft sich auf den Datenschutz.
Manche Veranstalter führen nicht einmal öffentliche Listen der Aussteller – ebenfalls aus „Datenschutzgründen“, wie die Sprecherin von MagMag sagt. „Unsere Standler wollen das nicht.“
Übrigens: Einen Christkindlmarkt kann jede und jeder veranstalten. Man muss nur mit dem Grundstückseigentümer eine Vereinbarung treffen und bei der Bewerbung der Erste sein.
Für den Rathausplatz gab es jedenfalls noch nie einen zweiten Bewerber.
Exakt 20 Weihnachtsmärkte mit insgesamt 1.086 Ständen gibt es heuer in Wien. Das ist viel, keine Frage, aber nicht zu viel. Zumindest nicht, wenn man den Zahlen der Wiener Wirtschaftskammer Glauben schenkt. Denn laut einer Umfrage für die Wirtschaftskammer besuchen 80 Prozent der befragten Wienerinnen und Wiener ab 15 Jahren in diesem Winter zumindest ein Mal einen Christkindlmarkt.
Im Durchschnitt gehen sie sogar mehr als drei Mal auf den Weihnachtsmarkt; am liebsten zum Schloss Schönbrunn, auf den Spittelberg, zum Rathausplatz, Karlsplatz und zum Alten AKH (welche
die unbeliebtesten Christkindlmärkte sind, wurde leider nicht erhoben). Drei von vier Befragten gaben an, mit dem Angebot auf den Märkten zufrieden zu sein. 12 Prozent kann das Gebotene wenig überzeugen und 9 Prozent sind damit nicht zufrieden.
Man kommt zum Trinken Wer jetzt denkt, die Wienerinnen und Wiener gehen wegen der romantisch-weihnachtlichen Stimmung auf den Adventmark, irrt: 38 Prozent der von der Wirtschaftskammer Befragten wollen auf dem Weihnachtsmarkt vor allem eines: trinken. Und zwar am liebsten Punsch, gefolgt von Glühwein und heißer Schokolade.
Erstaunlicherweise ist aber nicht das Essen der zweitwichtigste Grund für einen Besuch auf dem Christkindlmarkt, sondern das angebotene Kunsthandwerk. 30 Prozent gaben das als Grund für den Besuch an.
Zum Essen kommt knapp ein Viertel – 24 Prozent – der Besucherinnen und Besucher auf den Weihnachtsmarkt. Am beliebtesten sind Maroni, auf den Plätzen zwei und drei landen Ofenkartoffeln und Langos.
Was auch immer sie konsumieren, die Wienerinnen und Wiener geben im Durchschnitt 22 Euro pro Weihnachtsmarktbesuch aus. Bei insgesamt 4,6 Millionen Besuchern entspricht das heuer knapp 101 Millionen Euro, die die Wienerinnen und Wiener beim Christkindlmarkt auf den Kopf hauen.
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