Gegen das Vergessen: Wirtschaftsstadträtin Novak gedenkt in Auschwitz

Besuch in Auschwitzt mit Barbara Novak und Franz Vranitzky
Die erste Auslandsreise von Wiens neuer Wirtschaftsstadträtin führte zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Ein Reiseziel mit Symbolcharakter.

Bruder, stehst du auch des Tags mit der Schaufel in der Hand, wird es nicht Mittag? Nimmt denn kein End’ der Sand? Oder schleppst auch du wie ich große, schwere Steine? (...) Werden Schläge, Strafblock stets als Drohung schweben? Und dann geht es weiter doch, im Herzen Hoffnung und Halt: Ich in Ravensbrück, du in Sachsenhausen, in Dachau oder in Buchenwald.

Die Wände sind grau, das Licht ist schummrig, die Atmosphäre beklemmend. Ganz hinten im Raum der Österreich-Ausstellung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau steht Barbara Novak (SPÖ). Wiens neue Wirtschaftsstadträtin verantwortet auch die internationalen Agenden der Stadt Wien und hat sich als erste Auslandsreise Krakau ausgesucht.

Das liegt einerseits an der langjährigen Partnerschaft mit der polnischen Stadt, andererseits aber eben auch an der Gedenkstätte im hier gelegenen ehemaligen Konzentrationslager, dem größten deutschen Vernichtungslager während der NS-Zeit, in dem mehr als eine Million Menschen ermordet wurden.

Novak hat sich schon in ihrer früheren Funktion als Landesparteisekretärin dafür eingesetzt, die Gräueltaten des NS-Regimes als Gesellschaft niemals zu vergessen. Auschwitz-Birkenau als ihr erstes Reiseziel hat darum Symbolcharakter.

Wieder eine Stimme

In der Ecke mit den grauen Wänden hat Novak mehrere A4-Zettel in der Hand, auf ihnen ein Gedicht von Käthe Leichter. Novak bezeichnet die 1895 geborene Pionierin der österreichischen Frauen- und Sozialpolitik als ihr politisches Vorbild und hat ihr in ihrem eigenen Soziologie-Studium viele Arbeiten gewidmet. Leichter wurde 1938 verhaftet und 1942 im Konzentrationslager Ravensbrück umgebracht.

Besuch in Auschwitzt mit Barbara Novak und Franz Vranitzky

Die Wege durch das ehemaligen Konzentrationslager

Vor ihrem Tod hat Leichter zahlreiche Gedichte verfasst, die sie vor den Mitgefangenen rezitierte, aber aus Sicherheitsgründen nie aufgeschrieben hatte. „An meine Brüder“ (ein Auszug am Anfang des Artikels) ist das einzige in Ravensbrück entstandene Gedicht Leichters, das überliefert wurde. 

Zu verdanken ist das der Ravensbrück-Überlebenden Viktoria Fila, die dieses auswendig gelernt hatte. Auf dem Areal eines anderen Konzentrationslagers in der Gegenwart, eben in Auschwitz-Birkenau, bekommt Leichter durch Novak abermals eine Stimme.

Erlebbar machen

Sowohl die Zettel in ihren Händen als auch ihre Stimme zittern leicht. Der Emotionalität der Worte und auch des Ortes selbst kann man kaum entfliehen. „Wir leben in einer Zeit, in der antisemitische Glaubenssätze wieder aufbrechen“, sagt Novak in einer ruhigen Minute zum KURIER.

An den Holocaust zu erinnern und Fakten so aufzubereiten, dass sie auch junge Menschen anspreche und abhole, sei aber schwierig. „Besuche in Gedenkstätten wie Mauthausen oder jährliche Erinnerungsrituale helfen dabei, es erlebbar zu machen.“

Novak in Auschwitz liest gedicht vor

Wirtschaftsstadträtin Novak rezitierte ein Gedicht. 

Dass das stimmt, zeigt sich auch beim Gang durch Auschwitz-Birkenau. Auch außerhalb der grauen Wände ist es erdrückend. Die Wege sind sauber, die aus Ziegel erbauten Baracken sind gut erhalten, doch das Grauen der vergangenen Tage weht schon fast körperlich spürbar durch die Zwischenräume.

Dinge, die man schon weiß, werden am Ort des früheren Geschehens noch greifbarer und damit schlimmer. Erzählungen, die man nicht kannte, machen die Vergangenheit vorstellbarer – und damit die Verbrechen noch unvorstellbarer.

Verantwortung

Erzählungen von konkreten Schicksalen von in Gaskammern ermordeten Kindern, von Hunderten zusammengepferchten Menschen, von stundenlangem Rapport in der Kälte, von Hunger, Vergewaltigung, Experimenten an Menschen, vom Tod.

„In stiller Trauer und Verantwortung“ steht auf dem Blumenkranz, den Novak vor der „Schwarzen Wand“ niederlegt, hier wurden zwischen 1941 und 1943 Todesurteile vollstreckt.

Besuch in Auschwitzt mit Barbara Novak und Franz Vranitzky

Ex-Bundeskanzler Vranitzky mit Enkelin Olivia Knehs-Vranitzky

Die Verantwortung Österreichs wird auch in der bereits erwähnten Ausstellung erwähnt. Und einer hat schon in den 1990er-Jahren davon gesprochen: Franz Vranitzky hat als erster Bundeskanzler die Mitverantwortung von Österreichern an den Verbrechen der Nazizeit eingestanden. Auch er ist zur Kranzniederlegung mitgekommen.

Viele Gruppen sind an diesem Tag zu sehen. Wenn viele junge Menschen herkommen, dann sei das ein gutes Zeichen, meint Vranitzky, weil sich die jüngere Generation für ein Thema interessiert, das Gegenwart ist und Zukunft sein wird. Und dann sagt er einen Satz, der simpel ist und dennoch alles ausdrückt: „Ich bin hier, und ich sage das mit Traurigkeit, sehr berührt“.

Die Reise erfolgte auf Einladung der Stadt Wien.

Kommentare