Mariahilfer Straße neu: Noch kein Liebkind aller Wiener

Die neue Mariahilfer Straße mit Fußgänger- und Begegnungszonen gefällt vielen, aber nicht allen.
Bei der Eröffnung schien es so, als seien alle auf der Einkaufsmeile einander wieder grün. Ist das so?

Dort, wo früher der Taxistand war, essen Männer in Anzügen g’schwind ein paar Asianudeln; vor dem Generali Center steht ein Mercedes mit slowakischem Kennzeichen an, der gar nicht hier fahren dürfte; auf einem neuen Bankerl gegenüber starren drei Schülerinnen unentwegt auf ihre Smartphones.

Willkommen auf der neuen Mariahilfer Straße in Wien. Chaos sieht anders aus. Doch genau das wurde von verschiedensten Seiten vorhergesagt, seit am 7. März 53,2 Prozent der Anrainer in einer heiß umkämpften Befragung entschieden haben: Ja, die Mariahilfer Straße soll umgestaltet werden, verkehrsberuhigt. Der Verkehr in den umliegenden Bezirken würde kollabieren, hieß es. Die Kunden würden ausbleiben, wenn sie nicht mehr mit dem Auto direkt vor die Geschäfte fahren könnten – und die paar wenigen, die dann noch kämen, würden den rasenden Radfahrern in der Fußgängerzone zum Opfer fallen.

Mariahilfer Straße neu: Noch kein Liebkind aller Wiener
Doch die Grünen blieben stur und zogen ihr Prestigeprojekt trotzdem durch. Am Freitag wurden schließlich zwei Drittel der "Mahü neu" nach mehrmonatigen Bauarbeiten, die die Nerven der Anrainer, Kunden und Unternehmer arg strapaziert hatten, von der grünen Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou feierlich eröffnet.

Von Chaos oder Kritik war rund um dieses Grätzlfest nichts mehr zu hören.

Vielleicht, weil die Gegner des Umbaus mittlerweile tatsächlich einen großen Bogen um die Mariahilfer Straße machen?

"Das schaut aus wie Wuppertal"

Mariahilfer Straße neu: Noch kein Liebkind aller Wiener
Mahü Götz Schrage
Verstummt oder gar umgestimmt sind die Kritiker von damals jedenfalls nicht. Götz Schrage etwa, der im Frühjahr die Aktion "Mrs. Vassilakou – Tear Down This Wall!" initiiert hat, findet es noch heute "entsetzlich, dass hier eine künstliche Mauer zwischen zwei Bezirken geschaffen wurde". Noch schlimmer findet der 53-jährige Fotograf und Autor, der im 6. Bezirk lebt und im 7. arbeitet, dass "sich eine Weltstadt hier durch den Kniefall vor dem Shoppingwahn provinzialisiert. Zu einer Weltstadt gehören Boulevards und Straßen einfach dazu", meint Schrage. "Türken, die mit ihren Autos angeben, ja, sogar parkende Autos. Aber das hier? Das ist eine gruselige Wüste geworden. Das hier schaut aus wie Wuppertal."

Wären Galerien oder andere Kultureinrichtungen auf der Mariahilfer Straße, "könnte man ja sagen, dazwischen kommen die Leut’ zusammen und reden drüber", sagt Schrage. "Aber hier hetzt jeder nur mit Sackerln herum, soziale Interaktion kommt zwischen McDonald’s und H&M nicht zustande."

Auch als frisch gebackener Großvater kann Schrage der neuen Ruhe auf der verkehrsberuhigten Mahü nichts abgewinnen. "Wenn ich in einer Weltstadt wohne, wohne ich in einer Weltstadt. Wenn ich das nicht will, wenn ich lieber in einem Vorort von Himberg bin, ziehe ich in einen Vorort von Himberg."

Mariahilfer Straße neu: Noch kein Liebkind aller Wiener
Mahü Gegner Christian Weissinger
Ganz so weit führt uns unser Spaziergang auf der Mahü nicht, nur ein paar Meter weiter stadtauswärts, in die bereits umgebaute Begegnungszone. An der Ecke zur Schottenfeldgasse zuckelt ein Vater mit seiner kleinen Tochter auf dem Rad vorbei, zwei Burschen probieren Go, das asiatische Brettspiel, aus; eine alte Dame wirft Tauben altes Brot aus ihrer Handtasche zu, während ihr Hund einem Skateboarder nachbellt. Und ein Autofahrer schafft es, relativ friktionsfrei, die Mariahilfer Straße zu überqueren und in die Webgasse zu biegen. Anrainer Christian Weissinger beobachtet das Treiben mit Argusaugen. Er hat vor Monaten die Bürgerinitiative "Gegen Mariahilferstraßenumbau" gegründet und hat seinen Kampf bis heute nicht aufgegeben.

"Von den Politikern angeschmiert"

Warum? "Weil ich aufzeigen will, dass man von den Politikern nur angeschmiert wird", sagt der 34-Jährige. Genauso angeschmiert wie die neuen Sitzbänke in der neuen FuZo. "Die alten haben’s vor ein paar Jahren weggeräumt, weil nur mehr Alkoholleichen darauf herumgelegen sind", echauffiert sich Weissinger. "Und jetzt stellen wir neue auf?! Wos des kost’... Zwei Jahre geb’ ich der Straße, dann schaut’s aus wie in den Slums."

Noch viel mehr als die angeschmierten Bankerln regt den Eisenbahner aber auf: "Wo ist das Versprochene? Sie begrünen, haben sie gesagt. Und was ist passiert? Es ist alles zubetoniert. Wo sind die Querungen? ,So viele Sie wollen‘, hat die Vassilakou zur (ehemaligen Wirtschaftskammerchefin) Jank gesagt. Und – wo sind s’?" Weissinger vermutet ja, "dass da schon bald eine totale Fußgängerzone draus gemacht werden soll, ganz ohne Querungen".

Das Allerschlimmste sei aber: "Egal, in welches Geschäft Sie hineinschauen – leer. Ich weiß von 120 Leuten, die seit der Umgestaltung ihren Job verloren haben. 120 Leute! Die Geschäfte haben extreme Umsatzeinbußen. Alle. Da können Sie fragen, wen Sie wollen", sagt Weissinger.

Ist das so? Ja, das Geschäft sei viel schlechter geworden, sagen die einen. Nein, wir können überhaupt nicht klagen, die anderen. Beinharte Fakten, Zahlen, hat niemand – nicht die Grünen, nicht die Wirtschaftskammer. "Wenn ein Unternehmen über weniger Umsatz klagt, liegt das wohl eher an der allgemeinen Wirtschaftslage", glaubt ein Sprecher der Grünen. "Es wäre unseriös gewesen, wenn wir schon während der Umbauarbeiten Erhebungen durchgeführt hätten", erklärt ein Sprecher der Wirtschaftskammer.

Und was sagen die Kunden? "Es ist doch auch vor dem Umbau kein normaler Mensch mit dem Auto auf die Mariahilfer Straße gefahren", sagt Studentin Jutta, der beim Shoppen auf der Mahü "die Fußgängermassen reichen, da brauch’ ich nicht auch noch Autos". Silvia Klingsbichl, die in der Kaiserstraße, Ecke Kandlgasse, das Café Journal betreibt, schon: "Mit meinem Mann kann ich nicht zu Fuß gehen, der schafft das nimma. Und wenn ich zum Beispiel jetzt von hier ins Reisebüro in der Zollergasse will, müsst ich ja sieben Mal ums Karree fahren! Nein, mich können S’ gern haben, ich fahr’ da nicht mehr runter."

Flucht vor dem 13a

Mariahilfer Straße neu: Noch kein Liebkind aller Wiener
Mahü Blumengeschäft Windmühlgasse
Auch unten in der Windmühlgasse im 6. Bezirk ist man nicht gut auf die Mahü neu zu sprechen. Dominik Rosenauer gefällt zwar die Fußgängerzone. Allerdings fährt ihretwegen jetzt der 13A durch seine Gasse. Obwohl die Anrainer laut dagegen protestiert und den Bus sogar blockiert haben. "Genutzt hat das alles leider nichts", sagt Rosenauer – der sich jetzt eine neue Wohnung suchen will. "Fünf Parteien in unserem Haus sind schon ausgezogen. Hier ist es einfach nicht mehr auszuhalten. Der Bus ist so laut, da glaubst, der fährt dir durchs Wohnzimmer."

Gebracht hat der 13A außer Lärm nicht viel. "Eine einzige Kundin hat einmal gesagt, dass sie uns entdeckt hat, weil sie immer mit dem Bus vorbeifährt", sagt Anna-Elisabeth Krismer von der BlumenRaumGestaltung.

Apropos vorbeifahren. "Schaun S’, da ist der (Grüne Christoph) Chorherr!", ruft Mahü-Gegner Weissinger oben in der FuZo aufgeregt. "Mit dem Radl, eh klar, in der FUSSGÄNGERzone!" Aber im Schritttempo – das darf er doch...? "Ja, aber die eine Frau hätt er jetzt fast zsammg’führt. Haben S’ das nicht g’sehn?"

Mariahilfer Straße neu: Noch kein Liebkind aller Wiener
Mahü Cafe Ritter Kellner Herr Roland
Herr Roland, der als Ober im Café Ritter schon viel gesehen hat, meint zu alledem nur: "Der Wiener raunzt halt gern. Die Leute haben mittlerweile vor so vielem Angst, selbst vor dem Umbau einer Straße. Das wiederum macht mir Angst – wo soll das noch hinführen?"

Der lange Weg zur neuen Mahü

Diskussionen

Seit 2011 wurde über eine Umgestaltung und Verkehrsberuhigung der größten Einkaufsstraße Österreichs diskutiert. Im August 2013 begann die Testphase, am 7. März 2014 stimmte eine knappe Mehrheit der Anrainer dann für den Umbau. Geschäftsleute beklagten, dass sie nicht mitstimmen durften.

Was ist neu?

Jetzt gliedert sich die Mariahilfer Straße in eine zentrale Fußgängerzone zwischen Kirchen- und Andreasgasse, an die jeweils eine Begegnungszone grenzt (siehe Grafik), die untere, Richtung Ring, wird erst 2015 umgebaut. Die Begegnungszonen dürfen von Fußgängern und Fahrzeugen gleichermaßen benutzt werden. Höchstgeschwindigkeit für Letztere ist allerdings 20 km/h. Radeln ist in angemessenem Tempo auch in der Fußgängerzone erlaubt. Gekostet hat der Umbau rund 25 Millionen Euro.

Viel wurde über Umsatzeinbußen in den Nebenstraßen der Mariahilfer Straße spekuliert. Als über deren Umgestaltung abgestimmt wurde, befürchtete so mancher Unternehmer herbe finanzielle Verluste – auch in der Neubaugasse. Wenn die Kunden nicht mit dem Auto kommen könnten, blieben sie gleich ganz aus, meinten viele.

Mittlerweile hat sich die Situation entspannt. „Eigentlich geht’s uns ganz gut. Die Lage hat sich trotz Mariahilfer Straße eingespielt. Mit den Leerständen sind wir nicht unzufrieden, Umsatzeinbußen sind kein Thema und an den Zufahrten hat sich eigentlich nichts geändert. Der Verkehr ist bloß weniger geworden“, sagt der Sprecher der Kaufleute, Karl Hintermayer. Zwar hätten seit Jahresbeginn drei Betriebe zugesperrt, dafür seien zehn neue dazugekommen.

Einer davon ist die „Lingeria Macchiato“ in der Neubaugasse 51. Inhaberin Kristina Purzner eröffnete das Dessous-Geschäft – ihr erstes eigenes Unternehmen – just im Sommer, als der Umbau der Mariahilfer Straße voll im Gang war. Die Diskussionen rund um das Politikum des Jahres beobachtete sie sehr genau. Letztlich sprach das Image als „Straße der Spezialisten“ für die Neubaugasse.

Fuzo als Bereicherung

„Ich halte eine Fußgängerzone vor der Haustür für aufwertend“, sagt die 33-jährige Geschäftsfrau, die exklusive Wäsche-Marken und Sonderanfertigungen für Frauen nach Brustamputationen vertreibt. Das Besondere an ihrem Laden ist, dass die Kunden während des Aussuchens Kaffee kredenzt bekommen.

Das ist für Purzner das Besondere an der Neubaugasse. „Hierher kommt ein spezielles Publikum: Kundinnen, die etwas Besonderes suchen und sich gern beraten lassen.“

In dieselbe Kerbe schlägt Hintermayer: Das Motto der hiesigen Unternehmer sei „Qualität vor Quantität“. Dass der Einzelhandel punktuell vor Problemen stehe, habe eher mit der Konkurrenz durch Amazon und Co. sowie der allgemeinen Konjunkturschwäche zu tun als mit der Mariahilfer Straße.

Das bekräftigt auch Werner Sopper, Geschäftsführer des Bürobedarf-Geschäfts Mastnak. Während das Hauptunternehmen zweistellige Zuwächse verzeichne, sehe man sich gezwungen, das übernommene „Sax & Co.“ zu schließen. Exklusive Geschenke seien kein Alleinstellungsmerkmal mehr, die Konkurrenz durch den Online-Versand sei zu dominant. Mit der „Mahü“ stehe die Schließung des Traditionsunternehmens in keinem Zusammenhang.

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