Nachfolge gesucht: Freie Bühne Wieden steht vor neuem Kapitel

Bretter, die die Welt bedeuten, sind in Wien großzügig verlegt. Sie liegen an prominenten Adressen wie dem Wiener Burgtheater, dem Theater in der Josefstadt oder dem Volkstheater. Sie befinden sich aber auch im ersten Stock eines Alt-Wiener Zinshauses auf der Wiedner Hauptstraße 60b. Hier hebt sich seit der Gründung im Jahr 1976 der Vorhang der Freien Bühne Wieden.
16 Jahre rund um die Uhr
Die Geschicke lenkt hier seit dem Jahr 2010 die Schauspielerin, Chansonnière und Regisseurin Michaela Ehrenstein. Doch ihre Ära geht in wenigen Monaten zu Ende, wie sie im Gespräch mit dem KURIER bestätigt – mitten im Probenstress: „Nach 16 Jahren mit 70 Uraufführungen und großem Idealismus werde ich mit Ende des Jahres die Direktion zurücklegen.“
Die Entscheidung dazu fiel bereits im Mai. „Ich möchte wieder mehr Zeit haben, mich meiner Kunst zu widmen“, sagt Ehrenstein. Denn die kam in den vergangenen 16 Jahren zu kurz. Die Leitung des Privattheaters nahm sie „rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche“ in Anspruch.

Michaela Ehrenstein wird sich Ende des Jahres von der Freien Bühne Wieden verabschieden.
Neue Leitung gesucht
Hinzu komme, dass die Zeiten für Kulturinstitutionen wie die Freie Bühne Wieden nicht einfacher werden. „Ende 2026 steht zudem eine Sanierung des Hauses an – und ich möchte meinen Nachfolgern die Möglichkeit geben, sich noch davor gut einarbeiten zu können“, sagt Ehrenstein. Derzeit gibt es zwei Interessenten, die sich vorstellen können, ihre Nachfolge anzutreten. Auch sie werden, so die Direktorin mit Blick auf die angespannte Budgetlage, für und um das Theater kämpfen müssen.
Eines steht fest: Das Theaterhaus wird Michaela Ehrenstein fehlen. „Ich weiß gar nicht, wie ich das aushalten soll.“ Hat sie Hoffnung für die Zukunft „ihres“ Theaters? „Eine vage Hoffnung, ja. Die Freie Bühne Wieden ist aus der Wiener Kulturszene einfach nicht wegzudenken“, sagt sie überzeugt.
Theatergeschichte
Dieser Meinung dürften sich zahlreiche Theaterfreunde anschließen, wie der Blick auf die Rezensionen der Bühne zeigt: „Sehr feines, kleines Theater mit familiärer Atmosphäre“, „hervorragend ausgesuchte Stücke“, „ein entzückendes, kleines Theater, das auch Laien eine grandiose Bühne verleiht“.
Gegründet wurde die Bühne von der Schauspielerin und Sängerin Topsy Küppers, die im vergangenen Juni im Alter von 93 Jahren verstorben ist. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagte sie einst, es sei ihr ein Anliegen gewesen, „die einzige deutschsprachige Bühne zu sein, die sich ausschließlich dem Erhalt jüdischer Literatur und jüdischer Autoren – verstorbener wie zeitgenössischer – widmet. Es ging uns darum, diese Stücke und Lieder zu erhalten und sie wieder aufzuführen.“
Die gebürtige Aachenerin führte das Theater 25 Jahre lang ehrenamtlich, bis sie im Jahr 2001 an den Autor und Regisseur Gerald Szyszkowitz verkaufte. Von ihm übernahm Michaela Ehrenstein. Wer das Theaterhaus ab 2026 in die Zukunft führt, ist noch ungewiss. Die Bühne ist jedenfalls frei.
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