Folteropfer klagt die Republik
Bakary J. ist ein Opfer polizeilicher Willkür. WEGA-Beamte folterten den gebürtigen Gambier 2006 in einer Lagerhalle in Wien-Leopoldstadt.
Opfern wie J. steht in Österreich ein Schmerzensgeld zu. Doch wie entschädigt man jemanden, dessen Leben wie jenes von J. „verpfuscht“ ist? J. ist traumatisiert, arbeitsunfähig, erst kürzlich stellte ein Arzt fest, dass vermutlich eine damals erlittene und unbehandelte Schulterfraktur für seine Rückenschmerzen verantwortlich sein könnte.
Eine Antwort auf die Frage nach einer Entschädigung wird ein Richter am Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien geben. Rechtsanwalt Nikolaus Rast übermittelte dem KURIER am Donnerstag eine Amtshaftungsklage, die er bei Gericht eingebracht habe. 16 Monate seien verstrichen, ohne einer akzeptablen Lösung für seinen Mandanten nähergekommen zu sein. Seinem Gegenüber, der als Anwalt der Republik auftretenden Finanzprokuratur, wirft er „Hinhaltetaktik“ vor.
Rast zieht nicht nur für Bakary J., sondern auch für dessen Kinder und Frau vor Gericht. „Alle haben gelitten“, sagt Rast. Mit 384.000 Euro beziffert er die Ansprüche, zuzüglich einer monatlichen Rente von 1000 Euro brutto für J., und der Feststellung, dass auch für zukünftige Therapien die Kosten übernommen werden. Noch immer plagen J. die Bilder in seinem Kopf – die Scheinhinrichtung, die Schläge, Tritte, die Drohungen.
Rast hat Abstriche gemacht. Im November 2012 war er mit einer für österreichische Verhältnisse enorm hohen Schadenersatzsumme vorgeprescht. 750.000 Euro verlangte er. Ohne es auszusprechen, war der Betrag als Verhandlungsbasis gedacht. Doch das Drehbuch verlief anders als geplant. Ein Gegenangebot blieb aus. Stattdessen schoss die Finanzprokuratur in Tranchen 110.000 Euro vor. (Anm. Vor Gericht geht es damit um offene Ansprüche von 274.000 Euro.)
J. und die Republik – das ist eine aufwühlende Geschichte. Beamte versuchten, die Misshandlung zu vertuschen; seine Peiniger fassten nur milde Haftstrafen aus; es dauerte lange, bis sie ihre Uniform an den Nagel hängen mussten; und das Ministerium ließ Jahre verstreichen, ehe man sich zu einer offiziellen Entschuldigung aufraffen konnte.
Rast sagt: „Eigentlich müsste die Republik auf ihn zugehen.“ Das Gegenteil sei der Fall.
Dieses Bild will der Präsident der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, so nicht stehen lassen. Das Argument, „die Republik will nicht entschädigen“, lässt er nicht gelten. Ein Beleg seien die Akontozahlungen. Von der Klage erfuhr er vom KURIER. „Eingelangt ist noch nichts.“
Bisher spießte es sich an den Berechnungsgrundlagen für die Schadenersatzsumme. Rast beauftragte eine Psychologin und einen renommierten Gerichtsmediziner. Anhand ihrer Gutachten berechnete er die Schmerzperioden, rechnete sie mit den üblichen Tagesätzen für (schwere) Schmerzen hoch. Doch rechtlich bindend sind solche Privatgutachten nicht – weder vor Gericht noch für die Finanzprokuratur. Nach monatelanger Verfahrensdauer hieß es zurück an den Start. Die Prokuratur bestellte einen neuen Sachverständigen. Die Behörde benötige eine „objektive Basis zur Messung des entstandenen Schadens“, erklärt Peschorn. Das Gutachten steht noch aus.
Rast hat für J. Verfahrenshilfe beantragt. Das vorgeschossene Geld hätten die Schulden der Familie aufgefressen.
Ein Sprecher des Innenministeriums hat überdies angekündigt, sich das Geld im Regressweg von den vier ehemaligen Beamten zurückzuholen.
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