Ex-Capo Richard Steiner im Interview

Richard Steiner Rotlicht
Der Erste von hundert Zeugen wird am Montag gegen Ex-Capo Richard Steiner aussagen. Im KURIER spricht der Angeklagte.

Das kurz geschorene Haar ist ergraut, die Haut dezent gebräunt, der maßgeschneiderte, schwarze Designer-Anzug sitzt perfekt: Richard Steiner, 42, einst Wiens mächtiger „Gürtelkönig“ und Schutzherr über Bordelle, nimmt Platz beim Nobelitaliener in der Wiener City. Er schiebt ein weißes A4-Blatt über den Tisch: „27 stoisch buddhistische Imperative. Zu meiner täglichen Geisteshygiene“, steht darauf. Ein Leitfaden aus 27 Weisheiten, angefertigt während der U-Haft. „Danach lebe ich“, sagt der Buddhist, Veganer und Vielleser. Die Staatsanwaltschaft Wien interessiert sich vielmehr dafür, wovon der 42-Jährige gelebt hat. Schutzgelderpressungen, Körperverletzung, Sachbeschädigungen, betrügerische Krida und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation wirft die Justiz ihm und fünf Kompagnons vor. Seit 13. Mai steht der Kroate, der einst Söldner in der Fremdenlegion war, als Hauptangeklagter vor Gericht – und gibt sich unbeeindruckt. Bei Tisch zeigt er Videos von seinen sechs Tigern, deren Pate er ist, bestellt vegane Pizza, wirbt für seinen Wodka, den er vertreibt, und referiert über sein Amulett, eine Münze des Kaisers Marc Aurel, dem „gekrönten Apostel der Menschenliebe“.

KURIER: Sind Sie ein Mafia-Boss?

Richard Steiner: In keinster Weise. Mafia und Österreich korrelieren nicht. Medien erfinden das, weil sie sich verkaufen müssen. Es gibt die Bettel-Mafia, die Tierschutz-Mafia. Das hat nichts mit Mafia zu tun.

Die Anklage lässt doch diesen Schluss zu.

Die Anklage ist ein Nonsens, der vom Bundeskriminalamt konstruiert worden ist. Die Staatsanwältin dürfte selbst getäuscht worden sein. Ihr sind ja von den Ermittlern falsche Zeugen vorgeführt worden.

Die Justiz hält Sie für den Kopf einer kriminellen Organisation, Sie präsentieren sich als Obmann eines Nachbarschaftshilfevereins.

Wie der Name schon sagt, haben wir den Nachbarn, die durch Banden oder ungute Gäste gestört wurden, geholfen.

Wurden jene, die ihren „Vereinsbeitrag“ nicht bezahlt haben, erpresst?

Überhaupt nicht. Es gab ein Kommen und Gehen. Das war ein Produkt für jeden nicht kriminellen Bordell-Betreiber, der keine Drogen und keine Waffen hatte, und keine Gewalt gegen Prostituierte ausgeübt hat.

Wozu brauchte man den Verein?

Die Polizei kam nicht auf den Gürtel. Die brauchten bis zu 45 Minuten.

Sie haben vor Gericht das Wort „Watsch’n“ verwendet. In der Anklage ist dann von „Trümmerbrüchen“ zu lesen.

In meiner Gegenwart gab es keine Verletzungen. Halten Sie bitte fest, dass es während meiner 13 Jahre im Wiener Rotlicht nur zwei Körperverletzungen in meinem Umfeld gab. In jeder Disco passiert wochenends mehr.

Einst hatten Sie gute Polizei-Kontakte, zu Ostern 2010 wurden Sie inhaftiert. Wie passt das zusammen?

Ich hatte nie Polizei-Kontakte. Das Bundeskriminalamt hat jahrelang ermittelt und nichts gegen mich gehabt. Die haben bei meiner Verhaftung nicht gewusst, dass ich kroatischer Staatsbürger bin. Die Ermittlungen, der größte Lauschangriff in der Zweiten Republik, haben Millionen verschlungen. Hunderte Leute wurden abgehört, auch Herr Lugner und Frau Petrovic. Polizisten des Jahres werden sie so nicht. Das ist ein Fall fürs Parlament.

Die Polizei berichtete von 56 angeblich erpressten Bordellbetreibern. Nur sieben finden sich in der Anklageschrift.

Ein paar von den sieben sind von der Polizei erpresst worden, einer wurde überhaupt erfunden. Die wurden in ihrer Existenz oder mit Freiheitsstrafen bedroht, damit sie mich belasten.

Gibt es dafür Beweise?

Natürlich, die Wahrheit lässt sich nicht zur Gänze entstellen. Es wurde ja noch gar kein Zeuge gehört.

Sie zitieren permanent Philosophen, haben aber im Rotlicht Karriere gemacht. Wie kam das?

Damals, Anfang der 1990er, als ich ins Milieu kam, war ich kein Philosoph. Ich war ein gewalttätiger, zur Gänze pervertierter, junger Mann, der von Kriegsschauplätzen direkt ins Zivilleben gewechselt ist.

Sie verkaufen jetzt Wodka. Warum haben Sie die Branche gewechselt?

Ich hab’ mit dem Rotlicht nie eine seelische Verbindung gehabt. Seit 2004 habe ich diese Ambivalenz nicht mehr ertragen.

Welche Ambivalenz?

Das Philosophieren zu Hause, und dann auf der Straße für Ordnung zu sorgen. Ich hab’ einen Richter spielen müssen, bin aber bald draufgekommen: „Richte nicht, damit dir nicht gerichtet wird.“ Diesen Widerspruch hab’ ich nicht mehr länger ertragen.

Sie könnten in den Flieger steigen und abhauen. Warum tun Sie das nicht?

Ich bin mir keiner Schuld bewusst, bis auf eine Sachbeschädigung und etwas bei der betrügerischen Krida. Wenn der Richter, wie ich annehme, ein gerechter Mensch ist, dann wird die Strafe nicht höher sein als die Schuld.

Es gab Startschwierigkeiten: Zu Ostern 2012 wurde Richard Steiner aus der U-Haft entlassen. Die maximal zulässige Haftdauer von zwei Jahren war verstrichen, ohne dass Anklage erhoben worden war. Und dies, obwohl der Ermittlungsakt imposant ist. Vier Jahre lang wurde nach allen Regeln der Kunst gegen den Nokia-Club, der das Wiener Rotlicht beherrscht haben soll, ermittelt. Übrig blieb nicht so viel.

Der Hauptbeschuldigte ist Steiner, neben ihm sitzen fünf weitere „Club-Mitglieder“ auf der Anklagebank. Die Wiener Staatsanwaltschaft wirft ihnen schwere Erpressung, Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, Sachbeschädigung, schwere Körperverletzung und betrügerische Krida vor.

Steiner soll eine Truppe aus Boxern und Ringern befehligt haben. Wer Schutz brauchte, zahlte in einen Fonds. „Freiwillig“, beteuert Steiner. Die Anklage spricht von Schutzgelderpressung. Überdies sollen in Lokalen Gewinne und Abgaben abgezweigt worden sein. Zu zwei Punkten ist Steiner geständig. Christian Werner, sein renommierter Anwalt, vermisst „ein Mindestmaß an Objektivität“ seitens der Ermittler. „Entlastendes wurde ignoriert.“ Urteil: im August.

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