EU-Wahl in Floridsdorf: Die Stimmung im Bürgermeister-Bezirk
Noch weiß Thomas nicht, ob er seine Stimme abgeben wird. Wenn, dann wird er die FPÖ wählen. „In guten wie in schlechten Zeiten“, sagt er und zieht an seiner Zigarette. Als er das Ibiza-Video gesehen habe, sei es ihm nicht gut gegangen, räumt er ein. Aber: Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache und Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus hätten ja die Konsequenzen gezogen.
Außerdem fehle die Alternative zu den Blauen, sagt Thomas. Zwar habe er auch schon die SPÖ gewählt, aber die sei keine Option mehr.
Thomas sitzt im Schatten der Markise eines Cafés in Wien-Floridsdorf. Er ist braun gebrannt, hat eine getönte Brille auf der Nase und trägt eine dicke Goldkette um den Hals. Mit seiner Frau Karin und einem befreundeten Ehepaar diskutiert er über die Europawahl.
Floridsdorf – der Heimatbezirk von SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig – ist einer jener Stadtteile, der zwischen Rot und Blau besonders hart umkämpft ist. 2015, bei der Bezirksvertretungswahl, konnte die SPÖ etwa nur mithilfe der Briefwähler den Bezirksvorsteher-Posten halten.
Ehe-interne Opposition
Thomas' Frau Karin ist am Kaffeehaus-Tisch die einzige, die sicher weiß, dass sie wählen wird - und wen. „Die Grünen. Ich bin sozusagen die Opposition zu ihm“, sagt sie und deutet auf ihren Mann. Einig sind sich die beiden zumindest darin, dass die Ibiza-Affäre ihre Wahlentscheidung nicht beeinflusst habe.
„So richtig wird sich das erst bei der Nationalratswahl zeigen“, glaubt Manfred, der den beiden gegenübersitzt. Er und seine Frau werden später nicht ins Wahllokal mitkommen: „Wir gehen heute nicht wählen, weil wir uns mit Europa nicht auskennen.“
Im Café flimmern Musikvideos über einen Flachbildschirm, ein Pensionist liest die Schlagzeile „Stürzt morgen Kurz als Kanzler?“.
Thomas hält nichts von dem Misstrauensantrag, über den der Nationalrat am Montag abstimmen wird: „Die FPÖ sollte nicht zustimmen. Es bringt nichts, wenn alles noch instabiler wird.“
Wiedereintritte nach Ibiza
Zwei Gehminuten weiter am Franz-Jonas-Platz hat sich das ortsübliche Publikum eingefunden. Mehrere Frauen und Männer sitzen auf den Bänken vor dem Bahnhof und trinken Bier. Eine Gruppe junger Frauen in roten T-Shirts quert gerade den Platz. Sie sind allerdings keine SPÖ-Wahlhelferinnen, sondern Teilnehmerinnen des Frauenlaufs.
Die Parteiarbeit findet ein paar Stockwerke höher statt. In der fünften Etage eines Geschäftsgebäudes am Platz sitzt seit halb sechs Uhr früh SPÖ-Gemeinderat Gerhard Spitzer. Mit zwei Mitarbeiterinnen unterstützt er die Wahlbesitzer von der Bezirksparteizentrale aus bei etwaigen organisatorischen Problemen.
Den Wahlausgang zu prognostizieren, sei schwierig, sagt Spitzer. Aber es gebe Grund zur Zuversicht: „Seit Ibiza hatten wir einige Wiedereintritte“.
ÖVP als Profiteur
Auf der anderen Seite des Bahnhofs, im Gymnasium Franklinstraße, haben Anja und Patrick im gerade ihre Stimme abgegeben – für die Grünen. Die Ibiza-Affäre habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt, sagen sie. „Wir wählen ja sonst auch nicht FPÖ.“
Ihrer Meinung nach profitiere am ehesten die ÖVP von dem Skandal – und auch vom anstehenden Misstrauensantrag. „Kurz ist beliebt als Person. Die Bevölkerung sucht Stabilität und dafür steht er“, sagt Patrick.
Peter, der vor dem Gymnasium mit seiner Tochter Klara spielt, hat ebenfalls schon gewählt. Und zwar, um seine Vertreter im Europäischen Parlament zu bestimmen, betont er. Denn: „Innenpolitische Watschen teilt man bei der Nationalratswahl aus.“
Bei den FPÖ-Sympathisanten in seiner Nachbarschaft nehme er eine gewisse „Jetzt-Erst-Recht“-Mentalität wahr, erzählt Peter. „Die Trotzhaltung ist ganz stark. Die FPÖ hat ein Opfer-Narrativ aufgebaut.“ Daher glaube er nicht, dass die Blauen viel verlieren werden.
Neugierig ist auch Walter. „Es könnte sein, dass wegen des Ibiza-Videos manche FPÖler daheim bleiben. Dafür gehen vielleicht andere zur Wahl“, sagt er. Walter wird – wie bei vorherigen Wahlen auch schon – die SPÖ unterstützen.
"Spannend wie eine Fußball-WM"
Der Ibiza-Affäre kann er auch Positives abgewinnen: „Ich glaube, dass sie das Interesse für Politik geweckt hat. Es ist spannend wie eine Fußball-WM.“
Mit Fußball werden jedenfalls die beiden Ehepaare aus dem Kaffeehaus den Wahltag ausklingen lassen. Am Nachmittag gehe es aufs Fußballfeld, erzählen sie. „Zu den wirklich wichtigen Dingen im Leben.“
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