Ein Haus mit reichlich Hüftspeck

Ein Haus mit reichlich Hüftspeck
Politik, Geldwirtschaft und Architektur streiten über das Großprojekt

Wien-Mitte ist ein Monstrum, sagt Architekturprofessor Christian Kühn. Wuchtig wirkt, was nach 25 Jahren Planung aus dem größten innerstädtischen Bauvorhaben Wiens wurde. Auf dem unter­irdischen Bahnhof thront ein Gebäudekomplex mit 62.000 Bürofläche und dem gerade teileröffneten größten Shoppingcenter der Stadt.

„Hier ging es um die Immobilienrendite und sonst gar nichts“, sagt Architekturzentrum-Chef Dietmar Steiner im KURIER-Gespräch. Politiker und Stadtplaner hätten versagt, sodass am Ende zu viele Quadratmeter verbaut wurden. Und die sieht man dem Shopping- Büro-Bahnhof-Megaprojekt Wien-Mitte auch an.
Die ursprünglich geplanten Bürotürme wurden wegreklamiert, da mit Wien als Weltkulturerbe unverträglich. Die Reduktion der Höhen führte zu einem Haus mit viel Hüftspeck. „Wenn man oben drauftritt, wird der Knödel halt unten breiter“, sagt Steiner. „An jeder Straßenecke des Blocks hat man das Gefühl, er platzt bald.“

Shopping ist für Meinhard von Gerken, Architekt des Berliner Hauptbahnhofes, „immer eine Sekundär- und keine Primärfunktion wie auf manchen Flughäfen, wo man die Flugzeuge fast nicht mehr findet“. Und die vielen Büronutz­flächen? Sie seien notwendig, damit es sich rechnet, heißt es oft. Nur: Was rechnet sich?

„Da gibt es auch eine Verantwortung der Stadt“, sagt Steiner. „Denn nicht alles, was sich rechnet, ist auch gut. Außerdem gibt es Büro­flächen europaweit im Überangebot. Die Immobilienbranche ist ja eine der dümmsten der Welt: Kaum ist irgendwo ein Boom angesagt, bauen alle und wissen genau, dass nur die ersten drei gewinnen.“

Komprimierte Urbanität

Für Architekt Laurids Ortner ist Wien-Mitte „ein kantiges Stück komprimierte Stadt, aber auch ein Stadt-Foyer, das einen gewissen stadtkulturellen Anspruch erfüllt. Hans Dichand hat mir schon beim MuseumsQuartier vorgeworfen, es sei monströs. Und das steht heute nicht schlecht da. Ich wette, die intellektuellen Animositäten jetzt bei Wien-Mitte werden sich auch legen.“

Aber wenn Politiker, Stadtplaner, Investoren, Banker, Bürgerinitiativen etc. bei großen öffentlichen Auf­trägen jahrzehntelang mit­reden, bleiben die künstlerischen Intentionen der Architekten zwangsläufig auf der Strecke. So konnten Henke & Schreieck in den Flächenwidmungsplan nur noch geringfügig gestaltend eingreifen. Die Architekten suggerierten „Leichtigkeit und Transparenz, die nie zu erzielen ge­wesen wäre, etwa mit einem Schaubild, bei dem man durch vier Bauten durchgesehen hat“, so Steiner, „aber das ist halt physikalisch nicht möglich. Und manche Architekten glauben bis heute nicht, dass Glas am Tag schwarz ist, wenn es nicht von innen beleuchtet wird.“

Wien hat zuletzt mit enormen Investitionen Infrastrukturbauten initiiert und errichtet: Flughafen, Praterstern, Westbahnhof, Hauptbahnhof, Wien-Mitte ... Bahnhöfe repräsentieren auch die kulturelle Qualität einer Stadt – oder sollten es. „Aber architektonisch ist kein Einziges dieser Objekte wirklich von Belang“, so Steiner. „In dieser Hinsicht haben wir große Chancen verpasst.“

1985 entwickelten Roland Rainer und Hermann Knoflacher im Auftrag der Stadt einen Plan zur Sanierung des Areals. Ihre Vorgabe: 94.000 in Blockrandbebauung. Daraus wurden 1990 im 1. Wettbewerb, gewonnen von den Architekten Laurids und Manfred Ortner, 110.000 , verteilt auf mehrere schlanke Türme. 1998 ließen die Projektentwickler die Nutzfläche auf 136.000 und die Türme auf bis zu 120 m wachsen. Trotz massiver Proteste von Bürgerinitiativen wurde im Mai 2000 im Gemeinderat ein Bebauungsplan beschlossen. 2001 erklärte die UNESCO Wiens City zum Weltkulturerbe. 2003 kam es zum städtebaulichen Wettbewerb: Die Vision der Architekten Henke & Schreieck als Gewinner, den bulligen Komplex luftiger zu gestalten, erfüllte sich nicht.

130.000 Nutzfläche entsprechen 18 Fußballfeldern. 90 % der Büros sind vermietet, so Thomas Jakoubek vom Bauträger Austria Immobilien (BAI). Noch zu haben sind die teuersten Flächen: im Turm 19 bis 22 €/ .

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