Die Widersprüche in der Causa Wien Energie

Beachtliches Sitzfleisch werden die Mitglieder der U-Kommission zur Causa Wien Energie bei der sechsten Sitzung am Mittwoch brauchen. Sind doch mit Christoph Maschek (Finanzdirektor), Gerhard Mörtl (Dezernatsleiter MA 5) und Erich Hechtner (ehemaliger Magistratsdirektor) gleich drei Zeugen geladen, die zur Aufklärung der Finanzmisere des Unternehmens im vergangenen Sommer beitragen sollen.
Es geht dabei vor allem um jene 1,4 Milliarden Euro, die Bürgermeister Michael Ludwig per Notkompetenz bereitgestellt hat, um Liquiditätsengpässe aufgrund der Verwerfungen auf dem Energiemarkt abzufangen. Ende August half auch der Bund mit (letztlich nicht benötigten) zwei Milliarden Euro aus.
Exakt drei Monate nach Beginn der U-Kommission ist es Zeit für eine erste Zwischenbilanz: Die bisherigen Zeugenbefragungen und die gelieferten Akten brachten eine Reihe von Details zutage, die nicht ganz mit den Erklärungen der handelnden Personen seit Spätsommer 2022 zusammenpassen. Ein Überblick.
Wann war der Bürgermeister über die Probleme der Wien Energie informiert?
Auf eine entsprechende Frage antwortete Ludwig am 21. September im Gemeinderat: „Die Höhe, die Notwendigkeit und die Dringlichkeit wurde mir am 15. Juli mit diesem Geschäftsstück vermittelt.“ Gemeint ist damit der Antrag auf Bewilligung der ersten 700 Millionen Euro für die Wien Energie. Magistratsdirektor Dietmar Griebler hat jedoch in der U-Kommission ausgesagt, schon am 8. Juli Ludwig „sehr rudimentär“ aber doch über die Liquiditätsprobleme informiert zu haben. Und laut einem nun bekannt gewordenen Aktenvermerk war der Bürgermeister, wie berichtet, spätestens am 12. Juli schon mit dem für die Finanzierung nötigen Antrag befasst. Für die ÖVP ein Indiz dafür, dass die Dringlichkeit nicht besonders groß gewesen sein kann und man Stadtsenat und Gemeinderat sehr wohl hätte informieren können. Klarheit sollte die Befragung Ludwigs am 31. März bringen.

Wie dringend war die Kreditvergabe?
Wiederholt wurde die Bereitstellung der Finanzierung per Notkompetenz damit begründet, dass extrem rasches Handeln erforderlich gewesen sei. Nun spricht man aber seitens der Stadtwerke von einer „vorsorglichen Maßnahme“. Und tatsächlich wurde der Vertrag zu den von Ludwig am 15. Juli freigegebenen ersten 700 Millionen Euro erst am 4. August zwischen Stadt Wien und Stadtwerke unterzeichnet, wie aus den Akten hervorgeht. Nach der Zusage durch den Bürgermeister musste „die rechtlich erforderliche Beschlusslage in den zuständigen Gremien intern hergestellt werden“, lautet die Begründung der Stadtwerke, zu denen die Wien Energie gehört. Dort verweist man auch darauf, dass sich nach dem 15. Juli die Lage auf den Energie-Märkten wieder entspannt habe. Bei kurzfristigerem Finanzbedarf wäre „eine Beschleunigung durch eine Ausnahmebeschlussfassung möglich gewesen“, betont ein Sprecher.
24. Februar 2022
Überfall Russlands auf die Ukraine
Anfang März
Martin Krajcsir, Generaldirektor der Wien-Energie-Mutter Wiener Stadtwerke, fragt beim Finanzdirektor nach, ob die Stadt im Bedarfsfall finanziell aushelfen kann, um die Liquidität zu sichern. Er erhält eine Zusage
Ende Juni
Wachsende Nervosität bei den Stadtwerken wegen der explodierenden Zahlungen zur Besicherung der Börsengeschäfte (Marginzahlungen)
4. Juli
Gespräche zwischen Krajcsir und der MA 5 (Finanzen) aus Sorge um die Liquidität der Wien Energie. Erörtert wird der mögliche Einsatz der Notkompetenz des Bürgermeisters
5. bis 7. Juli
Konzernintern wird ein Finanzierungsbedarf von zwei Milliarden Euro berechnet
8. Juli
Krajcsir informiert Magistratsdirektor Dietmar Griebler, dieser spricht kurz mit Bürgermeister Michael Ludwig
15. Juli
Nach mehrtägigen Verhandlungen zwischen MA 5 und Stadtwerken bewilligt Ludwig die Freigabe einer Kreditlinie über 700 Millionen Euro per Notkompetenz – mit der Option auf weitere Mittel
4. August
Der entsprechende Vertrag zwischen Stadtwerke und MA 5 wird unterzeichnet
23. August
Nach einem sprunghaften Ansteigen der Margins werden von der Kreditlinie 350 Millionen Euro ausbezahlt
24. August
Griebler informiert Ludwig über einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf
26. August
Wien Energie verfügt einen temporären Handelsstopp bei langfristigen Termingeschäften. Banken lehnen die Vorfinanzierung von Sicher-heiten für Börsengeschäfte über 2,5 Milliarden Euro ab
27. August
Die von der Wien Energie bis 29. August bereitzustellenden Sicherheiten belaufen sich auf 1,77 Milliarden Euro. Peter Weinelt, Vize-Chef der Stadtwerke, informiert die Bundesregierung
28. August
Am Abend tagt im Bundeskanzleramt ein Krisengipfel mit Vertretern des Bundes und des Unternehmens. Erst danach werden die Probleme der Wien Energie öffentlich bekannt
29. August
Finanzstadtrat Peter Hanke beantragt beim Bund eine Finanzhilfe über zwei Milliarden Euro innerhalb von 24 Stunden. Insgesamt wird der Bedarf mit sechs Milliarden Euro angegeben. Vom Kredit der Stadt werden die zweiten 350 Millionen Euro abgerufen. Abermals per Notkompetenz bewilligt Ludwig ein weiteres Darlehen der Stadt über 700 Millionen Euro. Beide werden später zurückbezahlt, jenes des Bundes wird nie benötigt
Wann war klar, dass die Wien Energie mehr Geld benötigen könnte?
Hier orten die Grünen Widersprüche in den Aussagen der zuständigen Manager. So hatte Peter Weinelt, Vizechef der Wiener Stadtwerke, bei seiner ersten Befragung angegeben, erst im Juli von den Entwicklungen am Energiemarkt alarmiert gewesen zu sein. Stadtwerke-Chef Martin Krajcsir betonte hingegen in der U-Kommission, schon von Jahresbeginn 2022 an einen erhöhten Finanzbedarf bei der Wien Energie gesehen zu haben.
Naturgemäß völlig konträr bewertet indes die SPÖ den bisherigen Verlauf der U-Kommission. Der elektronische Akt würde bestätigen, was auch die Zeugen ausgesagt hätten: „Das Handeln war korrekt und rechtens“, sagt Gemeinderat Kurt Stürzenbecher. Vier Abteilungen hätten die umstrittene Ausübung der Notkompetenz als wörtlich „alternativlos“ empfohlen.
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