Die Schattenstadt: Auf den Spuren der Spione in Wien

Eine Frau in Mantel und Mütze lehnt an einem Geländer vor blauem Himmel.
In Wien leben rund 7.000 Agenten. Warum die Hauptstadt Spionage-Hochburg ist und was der Wiener Schmäh damit zu tun hat, zeigt der Audiowalk „The Invisible Tour“.

Weiße Bluse, dunkelblaue Hose, grauer Hut und schwarze Laptoptasche – die unscheinbare junge Frau, die in einer Telefonzelle am Schwedenplatz lehnt, verschwimmt in der Menschenmenge, die an ihr vorbeizieht.

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Dutzende Menschen hasten an ihr vorbei, würdigen sie keines Blickes. Die perfekte Tarnung.

Unsichtbar für die Öffentlichkeit

Sie fällt erst auf, als sie sich zu einer Gruppe umdreht und zu sprechen beginnt. Die junge Schauspielerin Nora Jacobs ist Teil der „Invisible Tour“ – einer Tanzperformance, die das WUK derzeit organisiert.

Eine Woche lang veranstaltet das Kulturzentrum einen Stadtspaziergang, bei dem interessierten Besuchern eine Seite von Wien gezeigt wird, die für die Öffentlichkeit praktisch unsichtbar ist.

Eine Schattenseite, die Wien bereits seit Jahrhunderten innewohnt. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass in Wien derzeit etwa 7.000 Agenten leben und arbeiten. Die Zahl wurde erstmals von dem Spionageforscher Siegfried Beer veröffentlicht, der das vor allem mit der überdurchschnittlich hohen Zahl an in Wien stationierten Diplomaten erklärt.

Zentrum im Kalten Krieg

Bereits während des Kalten Krieges etablierte sich Wien als eines der internationalen Zentren der Spionage.  „Österreich war und ist ein idealer Treffpunkt, weil es zentral in Europa liegt und für alle leicht erreichbar ist“, berichtet Jacobs.

Neben britischen und amerikanischen Agenten nutzten speziell russische Spione Österreich beziehungsweise Wien für verdeckte Aktivitäten. 
 

Eine Frau in historischem Kleid und Perücke lehnt an einer Wand mit Graffiti.

Während des Audiowalks durch die Innenstadt ändert Schauspielerin Nora Jacobs mehrfach ihr Outfit.

Als Treffpunkt wählten viele den Donaukanal. „Dort fanden schon einige Agenten ihr nasses Grab“, sagt Jacobs, während sie auf der Aspernbrücke steht und auf das trübe Wasser blickt.

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So wie vor zehn Jahren wohl Hunderte Wiener, als ein mysteriöser Todesfall die Bundeshauptstadt erschütterte. Shukri Ghanem, ehemaliger libyscher Ministerpräsident und Gaddafi-Gefolgsmann, wurde leblos im Wasser treibend in der Neuen Donau gefunden.

Der Fall gab den Ermittlern insofern Rätsel auf, als dass die Familie des Toten zunächst angab, seine Leiche in seiner Wohnung gefunden zu haben.

Ein Obduktionsbericht brachte nicht wirklich viel mehr Licht ins Dunkel: Offiziell hieß es, Ghanem sei ertrunken. Es habe damals keine Hinweise oder Verdacht auf Fremdverschulden, sagte ein Polizeisprecher vor zehn Jahren.

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„An dieser Version kamen aber schnell Zweifel auf, es gab Gerüchte, dass der ehemalige Ministerpräsident vergiftet worden sein könnte. Restlos aufgeklärt wurde der Fall definitiv nicht“, schildert Jakobs.

Eine Gruppe von Menschen geht mit Kopfhörern unter einer Eisenbahnbrücke entlang.

Die Tour startet am Schwedenplatz und endet im Prater. 

Neben der Donau galten auch Hotels, Bars und Kaffeehäuser als beliebte Treffpunkte für Spione.„Im Hotel Imperial trafen sich vor allem die russischen Agenten, das Bristol war eine Hochburg für die Amerikaner und in der Roten Bar im Sacher saßen die Briten.“ 

Wiener Verhörmethode

Auch bei geschäftlichen Gesprächen ändere sich der Ton der Wiener selten. „Dieses doppelbödige, indirekte, andeutungsweise Verbal-Getänzel des Wienerischen ist auch ein politischer Slang“, so die Schauspielerin. 

Ein Mann liest Zeitung in einem eleganten, roten Speisesaal mit gedeckten Tischen.

Die Rote Bar im Hotel Sacher galt als Treffpunkt für britische Spione.

Nach 80 Minuten Gehweg endet die „Invisible Tour“ im Prater. Das Business-Outfit hat Jacobs mittlerweile gegen Rollschuhe getauscht. Im Prater-Trubel verschwimmt sie erneut in der Masse. Anpassung ist schließlich immer schon die beste Tarnung gewesen. 

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