Steinhof-Kinder: In der Psychiatrie zu Tode vernachlässigt

APAART07 - 18022004 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA 410 CI - FEATURE - Das Otto Wagner Spital im Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Hoehe, aufgenommen am 18. Februar 2004.GUENTER R. ARTINGER
Schwerbehinderte Kinder sollen noch in den 1980er-Jahren in der Wiener Psychiatrie durch Vernachlässigung gestorben sein.

Ich habe ein Kind in die Prosektur bekommen, das unbeaufsichtigt in der Badewanne ertrunken war, eines ist am eigenen Erbrochenen erstickt“, sagt Walter R. (Name von der Redaktion geändert). R. arbeitete von den 1970er- bis vor etwa zehn Jahren in der pathologischen Abteilung des Otto-Wagner-Spitals am Steinhof in Wien.

Aus der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie seien regelmäßig verstorbene Patienten – Kinder und Jugendliche eben – auf seinem Tisch gelandet. „Anfangs etwa eines pro Monat, etwa ab 1983 hat es Gott sei Dank nachgelassen“.

Walter R. erinnert sich: „In allen Obduktionsbefunden stand, dass die Kinder unterernährt waren. Richtiggehend kachektisch (krankhaft abgemagert, Anm.).“ Er spricht von Vernachlässigung durch das Pflegepersonal und die behandelnden Ärzte. Die häufigste Todesursache, erinnert sich R., sei Lungenentzündung gewesen. „Das ist ganz klar. Wenn die Kinder den ganzen Tag ans Bett gefesselt sind und sich nie bewegen dürfen, bekommen sie rasch eine Lungenentzündung.“ Die Kinder wurden durch Vernachlässigung zu Tode „gepflegt“, berichtete der ehemalige Pathologie-Mitarbeiter.

Keine Zäsur nach 1945

Steinhof-Kinder: In der Psychiatrie zu Tode vernachlässigt
Steinhof, Schwester, Pohl
„Das stimmt, das stimmt“, sagt auch Elisabeth Pohl, die ab 1981 am Steinhof tätig war. Als Krankenschwester in der Kinderabteilung. Sie hat kürzlich in der Wochenzeitung Falter über den Pflegenotstand vor 30 Jahren berichtet. Im KURIER spricht sie davon, wie nach der Nazi-Euthanasie (im Pavillon 15) die Pflegearbeit am Steinhof fortgesetzt wurde. „Nach 1945 gab es keinen Schnitt. Die Strukturen haben weiter bestanden.“

Noch Anfang der 1980er-Jahre seien auch mehrfachbehinderte Kinder vom Pflegepersonal geprügelt worden. „Sie wurden in der kalten Badewanne untergetaucht. Wenn sie nicht essen konnten oder wollten, wurde ihnen die Nase zugehalten, damit sie schlucken.“ Sie erzählt von Kindern, die sich in die Toilette des Schlafraumes begaben, um aus der Klomuschel Wasser zu trinken. „Die Wasserleitung war ja abgedreht.“ Damals, als junge Krankenschwester, hätte sie „keine Ahnung gehabt, wie man mit Menschen mit Behinderung umgeht“. „Niemand hat es uns gezeigt.“ Heute arbeitet sie nach wie vor in diesem Bereich.

Die behinderten Kinder und Jugendlichen seien oft ans Bett gefesselt oder in Netzbetten gesteckt worden. „Da gab es welche, die haben dann mit ihrem eigenen Kot gespielt, oder ihr Essen wieder raufgewürgt, um damit zu spielen“, sagt Pohl. Die Kinder wurden vom Personal dafür bestraft. „Das waren eigentlich kluge Kinder. Die hat man ohne Spielzeug eingesperrt. Na klar suchen sich die etwas, das sie angreifen können.“ Zuneigung oder Empathie habe es in der Kinderpsychiatrie am Steinhof kaum gegeben. Damals sei sie „hilflos“ gewesen, sagt Pohl.

Ärzte und Psychiater? „Da sind täglich welche durchgegangen und haben das alles gesehen. Wenn es ein Problem gab, wurden die Kinder einfach niedergespritzt.“ Jetzt verlangt sie Gerechtigkeit für die mittlerweile Erwachsenen ehemaligen Patienten der Psychiatrie. „Für die ist niemand zuständig.“

Arbeitsgruppe

Nach der Aufarbeitung der Ereignisse im Kinderheim Wilhelminenberg, befindet sich auch in der Causa Steinhof eine Arbeitsgruppe in Gründung. Mit dabei: Susanne Drapalik vom Wiener Krankenanstaltenverbund. „Wir versuchen als ersten Schritt an Daten und Unterlagen von damals heranzukommen. Die Vorwürfe gehen ja bis in die 1960er-Jahre zurück.“ Auf die Todesfälle angesprochen meint sie: „Das muss man prüfen. Derzeit ist uns nichts bekannt.“ Betroffene können sich via Telefon (☎ 01/40409-70970) oder eMail (servicemail@wienkav.at) an die Arbeitsgruppe wenden.

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