Tatsächlich haben aktuelle Vorkommnisse in Amerika die Debatte auch in Österreich neu entfacht. Seit April dürfen Drag Queens im US-Bundesstaat Tennessee nicht mehr an Orten auftreten, die von Kindern besucht werden können (siehe hier).
Kurz nach dem Bekanntwerden im März griff die FPÖ das Thema auf. Wien müsse ebenfalls „solche kinderschädlichen Veranstaltungen“ verbieten, ließ der blaue Wien-Chef Dominik Nepp via Aussendung wissen.
Empörung
„Karnevalskostüme, in der sich Männer als Frauen kleiden, gibt es schon lange, die vermeintliche Kinderschädlichkeit ist also wenig belastbar. Das spielt für die Mobilisierung aber keine Rolle“, sagt Soziologe Kenan Güngör. Es gehe viel mehr, um eine „instrumentalisierte Empörung darüber, dass Geschlechterunterschiede infrage gestellt werden.“
„Dass die FPÖ es verstehe, auf solchen Themenwellen zu surfen, wissen wir“, sagt Hofer. Aber auch die Wiener ÖVP unter Karl Mahrer versuche, inhaltlichen Sprengstoff zu nutzen, um weiter zu emotionalisieren.
Unbehagen
Die Proteste am Sonntag hätten einen überschaubaren Rahmen gehabt, die generelle Entwicklung betrachte er aber mit Sorge, erklärt Güngör. Denn: „Das rechte Lager hat einen guten Instinkt dafür, was in Teilen einer Gesellschaft für Unbehagen sorgt.“
Geschlechteridentität sei eines der Trend-Themen der vergangenen Jahre. Und diese „Überdominanz“ in der öffentlichen Diskussion führe bei vielen zu eben diesem Unbehagen. „Wenn rechtsextreme Gruppen sich dagegen einsetzen, zielen sie darum nicht nur auf ihr eigenes Lager ab“, so Güngör. Auch viele aus der bürgerlichen Mittelschicht könnten sich damit identifizieren, frei nach dem Motto „Na, wenigstens die sagen was dagegen.“
Das sei gefährlich, weil sich „Rechtsextreme so als Stimme für das bürgerliche Lager inszenieren können.“
Internationale Auswirkungen
Auch international gesehen habe die Debatte Auswirkungen: Autoritäre Staaten wie Russland, Türkei, China würden sie dazu nutzen, um gegen westliche Werte wie Demokratie oder Geschlechtergleichheit zu agitieren, sagt Güngör.
Und die Linken seien hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. „Der Korridor, was links und progressiv ist, wird immer enger definiert. Jeder, der da nicht mitgeht, wird als transfeindlich abgestempelt.“ Dass in Österreich bald amerikanische Verhältnisse herrschen, glaubt Güngor dennoch nicht. „In den USA fußt vieles auf evangelikalem Fundamentalismus, den es bei uns nicht gibt.“
Sowohl FPÖ als auch ÖVP kritisierten die Drag-Lesung mit scharfen Worten via Presseaussendung. An den Protestkundgebungen, zu denen von den Identitären aufgerufen wurde, beteiligten sich aber beide Parteien nicht.
Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) erklärte auf Twitter, dass „extreme Rechte und extreme Konservative eine Kinderbuchlesung für ihre Zwecke instrumentalisieren.“ Auch SPÖ und Grüne kritisierten die Kundgebungen. Allen voran Vizekanzler Werner Kogler, der ein Foto von sich mit Drag Queen Candy Licious postete – versehen mit dem Spruch „Drag is not a crime“
"Mehr Gelassenheit"
Wie Politiker auf die aufgeheizte Stimmung reagieren sollen, will Hofer nicht pauschal beantworten. „Das hängt davon ab, was das Ziel der jeweiligen Partei ist. Aber aus demokratiepolitischer Sicht würde ich sagen, Empörung haben wir schon genug, mehr Gelassenheit wäre darum ein guter Ansatz.“
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