Die 103-Euro-Kunden aus der U-Bahn

Die 103-Euro-Kunden aus der U-Bahn
In 5 Stunden und 33 Minuten 104 U-Bahn-Stationen abgefahren. Die Wiener Linien schäumen.

Sie stellten ihren Schwarzfahrer-Rekord mit Fotos und Videos ins Netz. Die Facebook-Community feierte die Truppe als Helden und in der Chef-Etage der Wiener Linien war Feuer am Dach.

Die Männer im Alter zwischen 25 und 35 Jahren fuhren vor wenigen Tagen in fünf Stunden 33 Minuten und 36 Sekunden alle 104 Stationen des U-Bahnnetzes ab – ohne gültigem Fahrschein. Der KURIER begleitete (mit gültigem Ticket) Wiens erste Schwarzfahrer-Gang.

Die Blicke der Fahrschein-Ignoranten gleiten über den vollen Bahnsteig der U1-Station Praterstern. Ein Mitglied der Truppe kontrolliert den einfahrenden Silberpfeil. Ein Nicken signalisiert Entwarnung: Kein Kontrollor in der Nähe, auch nicht im Zug. Die neun dunkel gekleideten, jungen Männer steigen in die U1-Garnitur ein.

Strategische Planung

"Hinter der Aktion stand strategische Planung. Denn es galt, möglichst selten umzusteigen, wenig Stationen doppelt anzufahren, Standzeiten einzurechnen, sowie die Zeit der kürzesten Intervalle zu wählen. Und wir hatten riesigen Spaß dabei", erklärt der Chef des Schwarzfahrer-Teams Michael.

Weniger lustig fanden die Wiener Linien diese Idee. Unternehmenssprecher Answer Lang kündigte Maßnahmen an: "Dank der veröffentlichten Fotos versuchen wir die Männer jetzt zu identifizieren. Juristen überlegen ein rechtliches Vorgehen." Nachsatz: "Einige kennen wir ja bereits. Denn sie wurden schon beim Schwarzfahren erwischt. Wir nennen sie 103-Euro-Kunden." Tatsächlich kann das Unternehmen wahrscheinlich nur über die Hausordnung vorgehen, denn ein strafbarer Tatbestand liegt nicht vor.

Wegen der "angekündigten Maßnahmen" wollte die Truppe – alle Mitglieder sind berufstätig – nicht namentlich genannt werden. Tenor der jungen Wutbürger: "Wir wollen es den Wiener Linien nicht zu leicht machen."

Wie aber erkennt die Schwarzfahrer-Truppe ihre Jäger? Michael, er kauft sich seit 20 Jahren kein Ticket (fährt aber täglich), schmunzelt: "Ich kenne den Großteil vom Sehen. Aber auch die Körpersprache verrät diese Zunft. Sie zeigen beim Einsteigen keinerlei Hektik." Sein Kollege Norizz (Künstlername, Anm.) ergänzt: "Die meisten Kontrollore haben einen Bauchansatz. In der Regel ist auch die fade Kleidung verräterisch." Auffällig sei auch das Zusteige-Schema. Die zivilen "Schwarzkappler" steigen im letzten Moment ein. Kontakt unter www.theschwarzfahrer.com

Vorbild

Tatsache ist, dass der Schwarzfahr-Rekord ein Vorbild hat. Nach der Fertigstellung der U2-Trasse fuhr ein Passagier alle 104 U-Bahn-Stationen ohne Pause ab. Er brauchte knapp unter fünf Stunden, jedoch mit gültigem Ticket. Norizz, Ćoban und Michael kündigten an, die Marke zu unterbieten – ohne Ticket. "Dann machen wir halt weniger Pinkelpausen."

Die Schwarzfahrer-Tour startete vergangenen Samstag um 15 Uhr. "Auf der U3 und der U6 sahen wir jeweils Kontrollore. Sie stiegen aber in andere Waggons ein." Und die ungewöhnliche Truppe fiel während der Rekord-Fahrt vielen Passagieren auf. "Wir wurden gefragt, ob ein Polterabend gefeiert wird. Als wir von unserer Aktion erzählten, war das Echo immer positiv. Den Leuten gefiel das Spitzbuben-hafte. Alle wünschten uns mit einem Lächeln im Gesicht viel Glück." Somit haben die Kontrollore der Wiener Linien jetzt ein erklärtes Feindbild.

"Das ist unser Protest"

Bleibt die Frage nach dem Warum. Die Antwort kam prompt: "Das ist unser Protest. In Zeiten der Grassers und Strassers, des Hypo-Desasters und des Eurofighter-Ankaufs muss man den Ärger zeigen."

Die Wiener Linien machen seit etwa vier Jahren verstärkt Jagd auf Schwarzfahrer. Laut dem Unternehmen sind 100 Kontrollore pro Tag im Öffi-Netz auf Streife.

Und die Kontrollen zeigen Wirkung: Die Zahl der Schwarzfahrer geht kontinuierlich zurück. Wurden im Vorjahr 138.000 Passagiere (2,41 Prozent der Gesamt-Fahrgastzahl) ohne Ticket erwischt, waren es 2012 noch 2,69 Prozent. Vor zehn Jahren fuhren gar noch 4,55 Prozent aller Wiener Öffi-Nutzer "schwarz". Wer überführt wird, berappt bei sofortiger Bezahlung oder über Erlagschein (binnen drei Werktagen) satte 103 Euro. Die Wiener Linien wollen die Kontrollen noch intensivieren. Aktuell, so die Bilanz des Unternehmens, werden pro Tag 16.000 Kontrollen durchgeführt.

Geschäftsführerin Alexandra Reinagl: "Schwarzfahren zahlt sich nicht aus. Es ist definitiv die teuerste Form der Öffi-Nutzung. Die günstige Jahreskarte trägt sicher dazu bei, dass immer weniger Fahrgäste das Risiko des Schwarzfahrens eingehen."

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