Der Würstel(zu)stand
Der treueste Gast vom „kleinen Sacher“ heißt Bruce. Er sitzt oft auf dem Auto neben dem Würstelstand am Fasanplatz im 3. Bezirk. Bruce hält sich brav an den Mindestabstand von zwei Metern. Wenn er seine Wurst bekommen hat, entfernt er sich sogleich vom Stand – sogar weiter weg als die vorgeschriebenen 50 Meter. Und doch unterscheidet ihn etwas von den anderen Gästen: Bruce beschwert sich nicht. Er ist nämlich ein Rabe.
Die Nacht fehlt
Der Asphalt am Fasanplatz ist noch nass vom Regen. Unweit des Würstelstands steht eine Männerrunde bei den Mistkübeln beisammen. Diese wurden kurzerhand zu Stehtischen umfunktioniert. Männer trinken Bier aus der Dose, essen Debreziner, Käsekrainer und Frankfurter. In der Mitte des Platzes wächst ein Baum, rundherum blühen Veilchen. Auch hier stehen Männer.
Es ist 16 Uhr. „Was wirklich derzeit fehlt am Würstelstand, ist die Nacht“, sagt ein angetrunkener Gast wehmütig. „Am Würstelstand versumpert man, um 4 Uhr geht es dann heim. Das fehlt uns.“ Am kleinen Sacher liebt der Mann die Bosna. Und „die Sandra“.
Zum kleinen Sacher
Der Würstelstand befindet sich im dritten Bezirk am Fasanplatz.
Würstel
Das Angebot ist groß: Debrezina, Bosna, Waldviertler, Burenwurst, Bratwurst oder Frankfurter.
Der Würstelstand ist eine Institution
Rudolf H., ein 63-jähriger Würstelstandgeher, wie er sich selbst bezeichnet, ein technischer Leiter einer Druckerei in Pension, sagt dass der Wiener Würstelstand auf jeden Fall als Institution erhalten bleiben sollte.
Käsekrainer und Bosna
Was schmeckt am Besten? Käsekrainer und Bosna, laut Chefin Sandra Bauer.
Freunde am Würstelstand
Ein Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Bürgermeister hat, nähert sich. „Einen Spritzer krieg ich hier nimmer“, sagt er. Der ehemalige Hotelier trifft sich mit seinem Freund, den ehemaligen Chef des Fasanlwirts vom Fasanplatz. „Uns fehlen die Leute und das beinander sein, hier finden wir es, zumindest ein bisserl“ sagt er.
Gemeint ist jene Frau, die hinter der Theke des Würstelstandes steht. Seit acht Jahren ist die 43-Jährige Geschäftsführerin des kulinarischen Kiosks – und Teil des skurrilen Alltags am Würstelstand. Der hat sich, wie es scheint, durch Corona auch nicht wirklich verändert. Oder doch?
Bier mit Maske, Wurst mit Abstand
„Viel bleibt nicht übrig. Häuser kaufen können wir uns jedenfalls nicht“, sagt die Chefin dazu. Ein guter Würstelstand kann am Tag 2.000 Euro verdienen. Derzeit seien es aber nur 200 bis 300 Euro, ist aus der Branche zu hören. Mit den Beschränkungen sei es eben nicht einfach: Es herrscht Maskenpflicht, man darf keinen offenen Alkohol verkaufen.
Einige Gäste des „kleinen Sacher“ wurden bereits gestraft, weil sie es mit den Regeln nicht so genau nahmen: Etwa als sie nach 19 Uhr beim Bartisch vor dem bereits geschlossenen Würstelstand Bier tranken. „Ich war nicht mehr da, aber man hat mir erzählt, dass sie 260 Euro Strafe zahlen mussten“, sagt Bauer.
Die Frankfurter
Als ihr Schöpfer gilt der deutsche Fleischhauer Johann Georg Lahner, der den Brühwürsten 1805 als Erinnerung an die Stadt, in der er seine Ausbildung absolviert hatte, den Namen Frankfurter gab. In Deutschland heißen sie Wiener Würstchen. In der Schweiz nenn man sie "Wienerli".
Weniger Standln
Derzeit gibt es laut Wiener Wirtschaftskammer 180 Würstelstände in der Stadt. Vor gut zehn Jahren waren es mehr als 500.
Der älteste Wiener Würstelstand ist der Würstelstand „Leo“ am Döblinger Gürtel 2. Er wurde im Jahr 1928 eröffnet
Spazieren ist gratis
Der Kult-Satz: "Ich gehe am liebsten Spazieren, weil das kostet nichts" wurde am Würstelstand gesagt. (Alltagsgeschichten von Elisabeth Spira, 1995)
Eine Anlaufstelle
Alles, was einen Würstelstand ausmache, sei derzeit verboten, so die Chefin. Daher hätten auch nicht alle Würstelstände der Stadt offen. „Die Stammkunden sind aber unendlich dankbar, dass ich aufsperre“, sagt sie. Der Würstelstand sei eben eine Anlaufstelle. Auch die Polizisten und Rettungssanitäter würden oft vorbeikommen.
Der Würstelstand war schon immer ein Anziehungspunkt für ganz unterschiedliche Menschen.Die Liebe zur Wurst verbindet offenbar – und zwar seit vielen Jahren. Um 1800 waren es die sogenannten Bratelbrater, die warme Würstel verkauften.
Vor allem Gassenjungen und das Fußvolk gehörten zu ihren Kunden. Nach der Erfindung der Frankfurter im Jahr 1805 wurde auch der Kaiser zum Wurst-Liebhaber. Die Vorläufer des Würstelstandes im engeren Sinn sollen mobile Garküchen gewesen sein, die Kriegsinvaliden ein Einkommen sicherten. Heute ist der Würstelstand ein Wahrzeichen.
Würstelstand am Südtiroler Platz
Am Südtiroler Platz steht der Südtiroler Platz Würstestand. Gleich neben dem Parklpatz und dem Busterminal. Rund um den Stand ist eine rote Absperrung angebracht. Es erinnert an einen VIP-Club.
Überzeugend
Die Deko-Spiralkartoffeln beim Würstelstand am Südtiroler Platz zeigen, was man bestellen kann.
Markus Kreuzinger
Der Inhaber liebt seinen Job und seinen Stand. Die Absperrbänder hat er von Events, wie dem Brunnerwiesenfest oder Bierfest am Hof. Es soll die Leute auf Distanz halten zwecks Einhaltung der Corona-Maßnahmen.
Nur Take-Away
Es gibt nur Take-Away und Barzahlung. Interessant ist auch das Angebot: Gekochtes Ei um 0,90 Euro.
Fünf Freunde trinken Bier
Der Mistkübel wird zu einem Stehtisch umfunktioniert. Fünf Männer trinken, mit Distanz zum Stand ihr Feierabendbier.
Die Menschen brauchen ihren Würstelstand
Kreuzungen ist guter Dinge: "Wenn man in der Nacht wieder raus kann, wird viel los sein", sagt er.
Ortswechsel: Rund um den Würstelstand am Südtirolerplatz im 4. Bezirk ist ein rotes Band angebracht. Es ähnelt jener Art von Absperrung, die man bei VIP-Eingängen von Clubs findet. „Es schaut vielleicht nobel bei uns aus“, sagt Inhaber Markus Kreuzinger. „Das ist es aber nicht“. Zweck des Bands sei, dass die Gäste nicht direkt beim Stand essen. Und das funktioniert: Ein Stück entfernt erblickt man wieder eine Männerrunde. Die Gruppe gönnt sich ein Feierabendbier. Auch hier ist der Mistkübel der Tisch.
Bei Kreuzinger holt sich ein Kunde Mannerschnitten, ein anderer einen Hotdog. Der eine geht weiter, der andere setzt sich ins Auto. „Siehst du, wie brav meine Gäste sind?“, fragt Kreuzinger. Er hat viele Tätowierungen: „Forza Viola“ steht auf seinem Hals. Die Zeiten sind schwierig – für den Fußballklub und für den Würstelstand. Doch Kreuzinger hat Hoffnung für beide.
Neues Konzept
Wegen des Lockdowns falle man zwar um die Autofahrer um, die zu später Stunde einen Mitternachtssnack holen. „Aber ich freue mich schon, wenn es wieder losgeht“, sagt Kreuzinger. Er macht seit Jahren freiwillig hier die Nachtschicht. Etwas Schöneres kann er sich nicht vorstellen.
Andere Standler haben in der Krise andere Geschäftsideen entwickelt. Etwa René Kachlir vom „Scharfen René“ am Schwarzenbergplatz. Er kann nur schwer sicherstellen, dass das Konsumationsverbot direkt beim Stand eingehalten wird – und lässt ihn daher geschlossen.
Noch im Mai bringt er seine Würstel aber (natürlich entsprechend gebrandet) in den Handel. Frischen Wind dürfte der Szene der „Alles Wurscht“-Stand am Börseplatz bringen. Dort werden ab Juli Würstel mit Fermentiertem serviert.
Sperrstunde im Mat’s
Am Praterstern wäre so etwas unvorstellbar. Hier sind die urigen Wiener, man hört Sätze wie: „Ich hab sogar noch das Tröpferlbad erlebt.“ Zwischen Tegetthoff-Statue und Riesenrad ist Rush Hour bei „Mat’s“.
Der Mitarbeiter hat zu tun: Würstelbraten, Müll raustragen. Georg Stöber, Stammgast der ersten Stunde mit langen Haaren und Stirnband, wirkt wie ein Hippie. „Ich bin aber Börsenmakler“, sagt er.
Blick in den Stand
Der Mitarbeiter des Standls freut sich, dass er in der Nacht auch mal Zeit zuhause verbringen kann.
Kneipenersatz
Die Stammkneipen haben derzeit zu. Heidrun Wallner findet beim Mats ab und zu auch Freunde aus dem Beisl.
Stammgast erster Stunde
Georg Stöber weiß, dass der Ursprung des Würstelstandes aus der Kaiserzeit kommt. Für ihn ist es das Wahrzeichen Wiens, Kulturgut und eine Art zweites zuhause.
Gearbeitet hat er bereits als Techniker, Schauspieler und Fabrikant, er hat viel zu erzählen. Das ist eine wichtige Eigenschaft am Würstelstand: Man kommt her, um zu reden.
Der Mitarbeiter zählt die Münzen. Wegen der früheren Sperrstunde kann er seine eigene Familie jetzt auch am Abend sehen. „Das ist schon super“, sagt er und schließt ab. Nur Stöber bleibt noch – und genießt die Abendstimmung beim letzten Würstel.
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