Der Würstel(zu)stand

Die letzte Wurst: Bei Mat’s am Praterstern ist Sperrstunde. Pünktlich um 19 Uhr geht der Rollladen runter.
Eine Momentaufnahme beim Würstelstand: Wiens inoffizielles Wahrzeichen ist eine Anlaufstelle – in Zeiten von Corona mehr denn je.

Der treueste Gast vom „kleinen Sacher“  heißt Bruce. Er sitzt oft auf dem Auto neben dem Würstelstand am Fasanplatz im 3. Bezirk. Bruce hält sich brav an den Mindestabstand von zwei Metern. Wenn er seine Wurst bekommen hat, entfernt er sich sogleich vom Stand – sogar weiter weg als die vorgeschriebenen 50 Meter. Und doch unterscheidet ihn etwas von den anderen Gästen: Bruce beschwert sich nicht. Er ist nämlich ein Rabe.

 

Der Würstel(zu)stand

Seit sechs Jahren ist er Stammgast am Würstelstand am Fasanplatz.

Die Nacht fehlt

Der Asphalt am Fasanplatz ist noch nass vom Regen. Unweit des Würstelstands steht eine Männerrunde bei den Mistkübeln beisammen. Diese wurden kurzerhand zu Stehtischen umfunktioniert. Männer trinken Bier aus der Dose, essen Debreziner, Käsekrainer und Frankfurter. In der Mitte des Platzes wächst ein Baum, rundherum blühen Veilchen. Auch hier stehen Männer. 

Es ist 16 Uhr. „Was wirklich derzeit fehlt am Würstelstand, ist die Nacht“, sagt ein angetrunkener Gast wehmütig. „Am Würstelstand versumpert man, um 4 Uhr geht es dann heim. Das fehlt uns.“ Am kleinen Sacher liebt der Mann die Bosna. Und „die Sandra“. 

Der Würstel(zu)stand

Zum kleinen Sacher

Der Würstelstand befindet sich im dritten Bezirk am Fasanplatz.

Der Würstel(zu)stand

Würstel

Das Angebot ist groß: Debrezina, Bosna, Waldviertler, Burenwurst, Bratwurst oder Frankfurter. 

Der Würstel(zu)stand

Der Würstelstand ist eine Institution

Rudolf H., ein 63-jähriger Würstelstandgeher, wie er sich selbst bezeichnet, ein technischer Leiter einer Druckerei in Pension, sagt dass der Wiener Würstelstand auf jeden Fall als Institution erhalten bleiben sollte.

Der Würstel(zu)stand

Käsekrainer und Bosna

Was schmeckt am Besten? Käsekrainer und Bosna, laut Chefin Sandra Bauer.

Der Würstel(zu)stand

Freunde am Würstelstand

Ein Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Bürgermeister hat, nähert sich. „Einen Spritzer krieg ich hier nimmer“, sagt er. Der ehemalige Hotelier trifft sich mit seinem Freund, den ehemaligen Chef des Fasanlwirts vom Fasanplatz. „Uns fehlen die Leute und das beinander sein, hier finden wir es, zumindest ein bisserl“ sagt er.

Gemeint ist jene Frau, die hinter der Theke des Würstelstandes steht. Seit acht Jahren ist die 43-Jährige Geschäftsführerin des kulinarischen Kiosks – und Teil des skurrilen Alltags am Würstelstand. Der hat sich, wie es scheint, durch Corona auch nicht wirklich verändert. Oder doch?

Bier mit Maske, Wurst mit Abstand

„Viel bleibt nicht übrig. Häuser kaufen können wir uns jedenfalls nicht“, sagt die Chefin dazu. Ein guter Würstelstand kann am Tag 2.000 Euro verdienen. Derzeit seien es aber nur 200 bis 300 Euro, ist aus der Branche zu hören. Mit den Beschränkungen sei es eben nicht einfach: Es herrscht Maskenpflicht, man darf keinen offenen Alkohol verkaufen.

Der Würstel(zu)stand

Alkohol gibt es am Würstelstand - muss aber geschlossen und ohne Gläser verkauft werden.

Einige Gäste des „kleinen Sacher“ wurden bereits gestraft, weil sie es mit den Regeln nicht so genau nahmen: Etwa als sie nach 19 Uhr beim  Bartisch vor dem bereits geschlossenen Würstelstand Bier tranken. „Ich war nicht mehr da, aber man hat mir erzählt, dass sie 260 Euro Strafe zahlen mussten“, sagt Bauer. 

Eine Anlaufstelle

Alles, was einen Würstelstand ausmache, sei derzeit verboten, so die Chefin.  Daher hätten auch nicht alle Würstelstände der Stadt offen. „Die Stammkunden sind aber unendlich dankbar, dass ich aufsperre“, sagt sie. Der Würstelstand sei eben eine Anlaufstelle. Auch die Polizisten und  Rettungssanitäter würden oft vorbeikommen.  

Der Würstelstand war schon immer ein Anziehungspunkt für ganz unterschiedliche Menschen.Die Liebe zur Wurst verbindet offenbar – und zwar seit vielen Jahren. Um 1800 waren es die sogenannten Bratelbrater, die warme Würstel verkauften.

Vor allem Gassenjungen und das Fußvolk gehörten zu ihren Kunden. Nach der Erfindung der Frankfurter im Jahr 1805 wurde auch der Kaiser zum Wurst-Liebhaber. Die Vorläufer des Würstelstandes im engeren Sinn sollen mobile Garküchen gewesen sein, die Kriegsinvaliden ein Einkommen sicherten. Heute ist  der Würstelstand ein Wahrzeichen.

Der Würstel(zu)stand

Würstelstand am Südtiroler Platz

Am Südtiroler Platz steht der Südtiroler Platz Würstestand. Gleich neben dem Parklpatz und dem Busterminal. Rund um den Stand ist eine rote Absperrung angebracht. Es erinnert an einen VIP-Club.

Der Würstel(zu)stand

Überzeugend

Die Deko-Spiralkartoffeln beim Würstelstand am Südtiroler Platz zeigen, was man bestellen kann.

Der Würstel(zu)stand

Markus Kreuzinger

Der Inhaber liebt seinen Job und seinen Stand. Die Absperrbänder hat er von Events, wie dem Brunnerwiesenfest oder Bierfest am Hof. Es soll die Leute auf Distanz halten zwecks Einhaltung der Corona-Maßnahmen. 

Der Würstel(zu)stand

Nur Take-Away

Es gibt nur Take-Away und Barzahlung. Interessant ist auch das Angebot: Gekochtes Ei um 0,90 Euro.

Der Würstel(zu)stand

Fünf Freunde trinken Bier

Der Mistkübel wird zu einem Stehtisch umfunktioniert. Fünf Männer trinken, mit Distanz zum Stand ihr Feierabendbier.

Der Würstel(zu)stand

Die Menschen brauchen ihren Würstelstand

Kreuzungen ist guter Dinge: "Wenn man in der Nacht wieder raus kann, wird viel los sein", sagt er.

Ortswechsel: Rund um den Würstelstand am Südtirolerplatz im 4. Bezirk ist ein rotes Band angebracht. Es ähnelt  jener Art von Absperrung, die man bei VIP-Eingängen von Clubs findet.  „Es schaut vielleicht nobel bei uns aus“, sagt Inhaber Markus Kreuzinger. „Das ist es aber nicht“. Zweck des Bands sei, dass die Gäste nicht direkt beim Stand essen. Und das funktioniert: Ein Stück entfernt erblickt man wieder eine Männerrunde. Die Gruppe gönnt sich ein Feierabendbier. Auch hier ist der Mistkübel der Tisch. 

Bei Kreuzinger holt sich ein Kunde Mannerschnitten, ein anderer einen Hotdog. Der eine geht weiter, der andere setzt sich ins Auto.  „Siehst du, wie brav meine Gäste sind?“, fragt Kreuzinger. Er hat viele Tätowierungen: „Forza Viola“ steht auf seinem Hals. Die Zeiten sind schwierig – für den Fußballklub und für den Würstelstand. Doch Kreuzinger hat Hoffnung für beide.

Neues Konzept

Wegen des Lockdowns falle man zwar um die Autofahrer um, die zu später Stunde einen Mitternachtssnack holen.  „Aber ich freue mich schon, wenn es  wieder losgeht“, sagt Kreuzinger. Er macht seit Jahren  freiwillig hier die Nachtschicht.  Etwas Schöneres kann er sich  nicht vorstellen.

Andere Standler haben in der Krise andere Geschäftsideen entwickelt. Etwa René Kachlir vom „Scharfen René“ am Schwarzenbergplatz. Er kann nur schwer sicherstellen, dass das Konsumationsverbot direkt beim Stand eingehalten wird – und lässt ihn daher geschlossen.

Noch im Mai bringt er seine  Würstel aber (natürlich entsprechend gebrandet) in den Handel. Frischen Wind dürfte  der Szene der „Alles Wurscht“-Stand am Börseplatz bringen. Dort werden ab Juli Würstel mit Fermentiertem serviert. 

Der Würstel(zu)stand

Der Würstelstand am Praterstand wurde jahrelang von dem "Poldl" geführt. Stammgast Georg kannte ihn noch gut.

Sperrstunde im Mat’s

Am Praterstern wäre so etwas unvorstellbar. Hier sind die urigen Wiener, man hört Sätze wie: „Ich hab sogar noch das Tröpferlbad erlebt.“ Zwischen Tegetthoff-Statue und Riesenrad ist Rush Hour bei „Mat’s“.

Der Mitarbeiter hat  zu tun: Würstelbraten, Müll raustragen. Georg Stöber, Stammgast der ersten Stunde mit langen Haaren und Stirnband, wirkt wie ein Hippie. „Ich bin aber Börsenmakler“, sagt er.

Der Würstel(zu)stand

Blick in den Stand

Der Mitarbeiter des Standls freut sich, dass er in der Nacht auch mal Zeit zuhause verbringen kann.

Der Würstel(zu)stand

Kneipenersatz

Die Stammkneipen haben derzeit zu. Heidrun Wallner findet beim Mats ab und zu auch Freunde aus dem Beisl. 

Der Würstel(zu)stand

Stammgast erster Stunde

Georg Stöber weiß, dass der Ursprung des Würstelstandes aus der Kaiserzeit kommt. Für ihn ist es das Wahrzeichen Wiens, Kulturgut und eine Art zweites zuhause. 

Gearbeitet hat er bereits als Techniker, Schauspieler und Fabrikant, er hat viel zu erzählen. Das ist eine wichtige Eigenschaft am Würstelstand: Man kommt her, um zu reden. 

Der Mitarbeiter zählt die Münzen. Wegen der früheren Sperrstunde kann er seine eigene Familie jetzt auch am Abend sehen. „Das ist schon super“, sagt er und schließt ab. Nur Stöber bleibt noch  – und genießt die Abendstimmung beim letzten Würstel.

Kommentare