Der Fall Lueger
Das Lied "Der Doktor Lueger hat mir einmal die Hand gereicht" wird’s wohl noch länger geben als den Dr.-Karl-Lueger-Ring in der Wiener Innenstadt. Denn der wird im Herbst in Universitätsring umbenannt. Seit das vor wenigen Tagen bekannt wurde, hat eine Diskussion von bisher selten dagewesener Emotion eingesetzt. Die einen protestieren gegen die Umbenennung der Ringstraße, weil sie Lueger als bedeutenden Politiker sehen, die anderen sind glücklich, dass Wiens Prachtboulevard endlich vom Namen eines skrupellosen Populisten befreit ist, dessen antisemitischen Hetzreden Hitler zum Vorbild wurden.
Der Kaiser war gegen ihn
Das Seltsame daran ist, dass Beide recht haben. Der als Sohn eines Schuldieners 1844 geborene Karl Lueger hat seinen offen zur Schau getragenen Antisemitismus dazu genützt, um schnell politische Karriere zu machen. Er gründete die Christlichsoziale Partei und wurde Wiens Bürgermeister. Kaiser Franz Joseph, der Luegers Judenhass strikt ablehnte, konnte seine Ernennung drei Mal verhindern, ehe er sich 1897 geschlagen geben musste.
Das ist die eine Seite. Die andere: Lueger erwies sich als weitsichtiger Kommunalpolitiker, baute in seiner 13-jährigen Amtszeit Schulen, Waisenhäuser, die Heilanstalt Am Steinhof, die Zweite Hochquellenwasserleitung, Gas- und Elektrizitätswerke, er sicherte Wiens Wald- und Wiesengürtel und stellte die Straßenbahnen unter städtische Verwaltung.
Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny ist "grundsätzlich gegen Umbenennungen von Verkehrsflächen, weil es nicht sein kann, dass eine Stadt ihre Geschichte auslöscht. Der Fall des Lueger-Rings ist eine Ausnahme, mit der wir dem Wunsch der Universität Wien nachkommen." Immer wieder hätten internationale Gelehrte auf die Schande hingewiesen, dass das Zentrum wissenschaftlicher Arbeiten an einer Straße liegt, die nach einem als Antisemiten groß gewordenen Politiker benannt ist. "Abgesehen davon", erklärt Mailath-Pokorny, "gibt es in Wien zwölf weitere Gedenkstätten, die an Lueger erinnern": den Lueger-Platz, eine Kirche, Denkmäler, Büsten, Gedenktafeln, eine Säule im Parlament und eine Lueger-Eiche im Rathauspark.
"Kleine Leute"
Luegers politischer Erfolg war neben seinen antisemitischen Ausfällen auf seine charismatische Erscheinung und auf seine bescheidene Lebensweise zurückzuführen. Er hatte bereits als junger Anwalt "kleine Leute" kostenlos vertreten und verzichtete als Bürgermeister auf die Hälfte seines Gehalts, die den Armen zukam. Allerdings tolerierte und vertuschte er in seiner Partei auch korrupte Handlungen.
Es ist kein Zufall, dass Hitler ihn als den "gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten" sah, hatte Lueger doch Juden als "Raubtiere in Menschengestalt" bezeichnet und prophezeit, dass statt "des alten christlichen Österreich ein neues jüdisches Reich kommen würde".
Viele Namen
Der heutige Lueger-Ring hieß nach seiner Errichtung Franzensring, wurde nach Ausrufung der Ersten Republik zum "Ring des 12. November" und 1934 in Dr.-Karl-Lueger-Ring umbenannt, der er dann in der Nazizeit und bis heute blieb. Wiens Kulturstadtrat "versteht, dass die Universität einen neuen Namen für ihren Standort haben will, da Lueger auch wissenschaftsfeindlich und antiintellektuell war und die Universität als ,Hort vaterlandsloser Gesellen’ bezeichnet hat".
Berühmt ist Luegers Satz "Wer ein Jud` ist, bestimme ich", den er bei Bedarf anwandte, um jüdische Ärzte und Berater zu konsultieren. Noch mehr galt für ihn, wie wir heute wissen, der Satz "Wer eine Jüdin ist bestimme ich": Der "schöne Karl", wie er genannt wurde, blieb – wohl auch um die Schar seiner weiblichen Anhänger nicht zu enttäuschen – sein Leben lang unverheiratet, hatte aber etliche Liebschaften, die er geheim hielt. Eine seiner Freundinnen war die jüdische Schauspielerin Caroline Loewy, die als Valerie Grey auf Wiener Bühnen auftrat. Man kann daran wohl erkennen, dass der Antisemitismus bei ihm in erster Linie politisches Kalkül war – was die Sache freilich um nichts besser macht.
Erblindet
Karl Lueger, der offiziell in einem Haushalt mit seinen beiden Schwestern lebte, starb am Höhepunkt seiner Popularität, fast völlig erblindet, am 10. März 1910 im Alter von 65 Jahren.
Der Lueger-Kult hielt weit über seinen Tod hinaus an. Hans Moser kreierte 1932 das Lied "Der Doktor Lueger hat mir einmal die Hand gereicht", und in der Nazizeit entstanden verfälschte Biografien und Lueger-Filme.
In meiner Dienstag-Kolumne erfahren Sie mehr über Luegers jüdische Geliebte Valerie Grey.
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