Der andere Tiergarten
Beide zählen zu den größten, ältesten und beliebtesten Tiergärten Europas. Schönbrunn in Wien und Hagenbeck in Hamburg. Jeder von ihnen beherbergt rund 8.000 Tiere, und jeder wird jährlich von rund zwei Millionen Menschen besucht. Und noch etwas verbindet die beiden weltberühmten Zoos: Schönbrunns Direktor heißt Hagenbeck.
In sechster Generation
Genau genommen heißt er Stephan Hering-Hagenbeck. Er ist mit Bettina Hagenbeck verheiratet, mit der er vor eineinhalb Jahren nach Wien zog, um die Leitung von Schönbrunn zu übernehmen. Bettina Hagenbeck gehört der prominenten Tiergärtner-Familie in sechster Generation an. Ihr Ur-Ur-Ur-Großvater, der Fischhändler Gottfried Hagenbeck, hat die Dynastie 1848 durch den Ankauf von sechs Seehunden gegründet, die er auf einem Spielbudenplatz in St. Pauli ausstellte. Nachdem die Hamburger in Scharen kamen, begann Hagenbeck auch mit der Zurschaustellung und dem Verkauf anderer exotischer Tiere.
Sein Sohn Carl Hagenbeck baute das kleine Geschäft des Vaters aus und machte es innerhalb weniger Jahrzehnte zum größten Tierhandelshaus der Welt mit Niederlassungen auf allen Kontinenten. Mit dem reichlich verdienten Geld entstand „Hagenbecks Thierpark“ und „Hagenbecks Circus“, in dem die Methode der „zahmen Dressur“ entwickelt wurde. Die Tiere wurden hier zum ersten Mal durch Belohnung statt durch Strafe trainiert. Höhepunkt der weltweit gezeigten Vorführungen war der Auftritt eines Löwengespanns, das im Pariser Nouveau Cirque einen römischen Triumphwagen zog.
„Große Völkerschauen“
Ständig auf der Suche nach neuen Attraktionen, begann Carl Hagenbeck Ende des 19. Jahrhunderts in „großen Völkerschauen“ neben Tieren auch Menschen aus fernen Ländern nach Europa zu bringen und dem staunenden Publikum vorzuführen. Die Faszination der Europäer an allem Exotischen war so groß, dass man bei Vorstellungen allein in Paris innerhalb von zweieinhalb Monaten eine Million Zuschauer zählte. Heute nicht mehr vorstellbar, wurden Massais, Nubier, Eskimos, Inder, Singhalesen und Angehörige anderer Völker gegen Eintrittsgeld gezeigt. „Man muss dabei bedenken“, sagt Stephan Hering-Hagenbeck, „dass damals natürlich ein ganz anderer Zeitgeist herrschte.“
Im Jahr 1907 errichtete Carl Hagenbeck vor den Toren Hamburgs für Löwen, Tiger & Co den weltweit ersten Zoo ohne Käfige, womit der Eindruck entstand, die Tiere würden sich in freier Wildbahn bewegen. So wurde mithilfe tiefer Wassergräben als Sicherheitsvorkehrung die artgerechte Haltung und Präsentation exotischer Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum möglich.
Löwe als Lebensretter
Dennoch war und ist Vorsicht geboten: Als Carl Hagenbeck eines Tages die Löwenschlucht seines Zoos besuchte, stolperte er und fiel zu Boden, worauf sich gleich mehrere Raubtiere auf ihn stürzten. Doch der Löwe „Triest“ warf sich dazwischen und rettete Hagenbeck das Leben. Ein Denkmal Carl Hagenbecks gemeinsam mit dem lebensrettenden Löwen erinnert heute noch im Tierpark an diesen Vorfall.
Bettina und Stephan Hering-Hagenbeck lernten einander während ihres Biologiestudiums in Berlin kennen und heirateten 1995. Beide waren im Tierpark Hagenbeck tätig, er zuletzt als zoologischer Direktor. „Nach 20 Jahren bei Hagenbeck nahm ich das Angebot, Schönbrunn zu leiten, mit Freuden an“, erzählt er. „Hagenbeck ist einer der ältesten Zoos in Europa, aber der Tiergarten Schönbrunn ist erheblich älter, er wurde 1752 unter Maria Theresia eröffnet, ist heute der älteste bestehende Zoo der Welt und hat schon dadurch weltweit eine Sonderstellung. Ihn zu leiten, ist ein ganz besonderes Privileg.“
Der Tierpark Hagenbeck wurde im Zweiten Weltkrieg zu 70 Prozent zerstört und danach größer und prunkvoller denn je wieder aufgebaut. Unter der Leitung von Stephan Hering-Hagenbeck erhielt Hamburgs traditionsreicher Privatzoo ein Tropen-Aquarium, eine Elefanten-Freilaufhalle, ein Eismeer für Tiere aus der Arktis und Antarktis sowie ein Känguru-Habitat.
Ambitionierte Pläne
Wie für Hamburg hat der Schönbrunn-Direktor auch für Wien ambitionierte Pläne, darunter eine Vergrößerung des Tiergartens, die vor allem den Elefanten zugutekommen soll.
Aktuell verbindet Hagenbeck und Schönbrunn noch etwas: „Beide Zoos sind von Corona massiv betroffen“, erklärt Stephan Hering-Hagenbeck. „Wie in jedem Tiergarten laufen die Gesamtkosten für Personal, Futter etc. unverändert weiter, Kurzarbeit ist nur minimal möglich. Glücklicherweise sind aber sowohl Schönbrunn als auch Hagenbeck gesunde Unternehmen mit entsprechenden Rücklagen, die die laufenden Kosten auffangen.“
Für Nachwuchs gesorgt
Hagenbeck ist heute mit seinen 500 Tierarten der einzige in Familienbesitz befindliche Zoo Deutschlands. Eigentümer ist Bettinas Vater Claus Hagenbeck.
Bettina Hagenbeck und Stephan Hering-Hagenbeck haben drei Kinder. Für Nachwuchs im Hamburger Tierpark ist also gesorgt. Dann bereits in der siebenten Generation.
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