Das große Geschäft mit den Bettlern
In Wien gibt es geschätzte 1500 Bettler. Deren Anwesenheit im Straßenbild sorgt nicht nur für Diskussionen. Die Bettler, vorwiegend aus Rumänien, werden von ihren "Chefs" auch ordentlich zur Kasse gebeten.
Satte 800 Euro für eine marode Einzimmerwohnung müssen sie zahlen. Denn wer als Fremder ins Land kommt, kein Wort Deutsch spricht, der freut sich über jeden Quadratmeter. Das nutzen Bettler-Syndikate aus. "Viele Bettler sehen das als Chance und sind sogar für die überteuerten Unterkünfte dankbar. So müssen sie wenigstens keine Kaution oder Provision zahlen. Außerdem ist es schwierig, eine andere Unterkunft zu finden", erklärt Marion Thuswald von der Bettellobby Wien.
Um das Geschäft mit den Bettlern zu unterbinden, fordert die Organisation mehr Notunterkünfte. Ob diese Notschlafstellen auch angenommen werden würden, bleibt fraglich. Denn viele Bettler kommen nach Wien, weil schon Freunde und Familie hier betteln. Dann teilt man eben eine Wohnung, mit 20 anderen Personen.
Menschenunwürdig
Wie das Geschäft mit den mittellosen Rumänen abläuft, ist hingegen bekannt, sagt Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität.
Betteln mit System
"Die Hausbesitzer kaufen die Immobilien meistens sehr billig, weil sie in einem schlechten Zustand sind. Dann kommt es oft vor, dass sie in Rumänien nach Menschen mit Verstümmelungen oder Behinderungen suchen", weiß der Experte. Diese Menschen reisen dann für rund 100 Euro mit einem Bus nach Österreich und werden in die Unterkünfte gebracht. In den nächsten Wochen sitzen sie auf fix zugewiesenen Plätzen in der Stadt. "Die Leute geben eher etwas her, wenn sie den Bettler kennen. Darum wird dieses System oft angewandt", sagt Tatzgern.
In guten Monaten kommen Bettler so auf 300 bis 400 Euro – eine Summe, die acht Mal höher ist, als ihr Einkommen in Rumänien. Diese große Armut in ihren Heimatländern zwingt die Menschen ins Ausland zu fahren, sagt die Bettellobby Wien. "Mit dem Bettelverbot müssen sie dann auch noch Strafe zahlen", sagt Thuswald.
Probleme mit den Bettlern sind auch bei der Polizei aktenkundig. In den ersten drei Monaten des Jahres gingen 293 Anzeigen ein. "Wir können nur etwas tun, wenn die Bettler aufdringlich oder aggressiv sind. Sitzen sie einfach da, sind wir trotz Anrainerbeschwerden machtlos", sagt Polizeisprecherin Michaela Rossmann.
Dass das Betteln in Wien zum Problem wird, hat mehrere Ursachen. Erstens gibt es mit 1500 Bettlern in der Bundeshauptstadt so viele wie sonst nirgendwo im Land. In anderen Städten werden Bettler von Hilfsorganisationen ausreichend versorgt. Das Positivbeispiel ist Graz, wo derzeit rund 200 Menschen um Almosen bitten. Dort werden die Bettler großteils von Pfarrer Wolfgang Pucher betreut. Durch die Hilfsprojekte der Kirche haben es Hintermänner schwerer, abzukassieren.
Ihre Zahl ist in den letzten Jahren förmlich explodiert, sie sitzen vor fast jedem Lebensmittel-Laden und murmeln ihre immer gleichen Sprüche: "Guten Tag. Dankeschön." Meist kommen diese "Notreisenden", wie sie neuerdings bezeichnet werden, aus Ländern wie Bulgarien und Rumänien, sehr oft sind es Roma. Die heimische Politik tut sich schwer, einen vernünftigen Weg zwischen dumpfem Ressentiment und blindem Gutmenschentum zu finden, hilflos werden partielle Bettelverbote diskutiert.
Natürlich gibt es ein Menschenrecht auf Betteln. Andererseits fördert man mit seiner milden Gabe ziemlich häufig skrupellose Geschäftemacher, die ihre Landsleute ausbeuten und in den Herkunftsländern gezielt Behinderte (am liebsten Kinder) anwerben. Die, die da mitleidheischend vor uns sitzen, sind oft nur Marionetten mafioser Auftraggeber. Diese weisen ihnen fixe Standplätze zu und kassieren sie für miese Unterkünfte ab.
Gewerbsmäßiges Betteln ist zwar ohnehin verboten, aber wer ist ein "ehrlicher" Bettler und wer nicht? Und was erzählt man als Politiker seinem Wahlvolk? Denn es ist klar, dass die wohlhabenden EU-Länder (und karitative Einrichtungen) einen steigenden Anteil ihrer Sozialtöpfe für Armutsmigranten aufwenden. Das wieder stark zurückzudrängen ist in einem grenzenlosen Europa schwierig. Beschwichtigen, schönreden und wegschauen ist aber auch kein Rezept. Das Armutsproblem muss dort gelöst werden, wo es entstanden ist: in den Herkunftsländern. Gegen den Bettlertourismus helfen nur grenzüberschreitende (Sicherheits-)Zusammenarbeit und eine Politik, die sich nicht von Emotionen lenken lässt. Weder in die eine, noch in die andere Richtung..
100 bis 120 bettelnde Menschen dürften derzeit in Graz unterwegs sein, schätzt Pfarrer Wolfgang Pucher. Darunter dürften auch 20 Kinder sein, die mit ihren Eltern unterwegs sind. Wo die Menschen schlafen, ist dem rührigen Geistlichen ebenfalls bekannt: In zwei Abbruchhäusern in der Stadt und einem Wäldchen am Stadtrand. Dort haben sich die Menschen ein notdürftiges Zeltlager eingerichtet. Wer kein echtes Zelt hat, behilft sich mit Plastikfolien.
Die Betroffenen sind alle Roma aus der Slowakei, verbunden durch Familienbande. Armut bringe sie dazu, im Ausland um Almosen zu bitten, betont Pucher. "Sie leben in ihrer Heimat im Elend." Auffällig sei, dass bis vor zwei Wochen jeden Tag fünf bis zehn noch nicht bekannte Bettler nach Graz kamen. Derzeit bleibe die Anzahl der Menschen aber konstant. Seit der Verfassungsgerichtshof im Vorjahr die verschärfte Version des steirischen Bettelverbots aufgehoben hat, ist stummes, nicht aggressives Bitten auf der Straße nicht mehr strafbar. Bestrebungen der Grazer ÖVP und FPÖ, eine Art sektorales Bettelverbot neu einzuführen, wurden vom Land Steiermark jüngst abgelehnt: Der Landtag müsste das Sicherheitspolizeigesetz nämlich ändern.
Vergleichbar ist die Situation in der Stadt Salzburg. Der Magistrat hat am 10. Juni eine exakte Zahl erhoben: 133 Bettler waren damals in der Innenstadt. Sie dürften großteils unter Autobahnbrücken übernachten, etwa unter der Brücke Kasern sowie einigen weiteren im Stadtgebiet und an Bahnstrecken. In der Notschlafstelle "Arche Süd" der Caritas sind derzeit 19 Frauen untergebracht, zehn bis fünfzehn Männer schlafen in Containern in Salzburg-Süd.
Die Salzburger Polizei hat keine Hinweise darauf, dass es sich um organisierte Banden handle: Vielmehr seien es notleidende rumänische Familien, die hier unterwegs seien. Sie kommen mit Autos oder Bussen und bleiben etwa zwei Wochen, bevor sie Salzburg wieder verlassen.
Wie eine Ruine sieht das Haus in der Neulerchenfelder Straße 88 aus. Zerbrochene Fenster und große Risse in der abgewohnten Fassade – nichts lässt erahnen, dass Menschen an der Adresse wohnen.
Als der KURIER sich vor Ort umsieht, wird schnell klar, dass sogar extrem viele Personen in dem Haus untergebracht sind. Alarm geschlagen hat Martin B., der nur eine Straße weiter aufgewachsen ist. "Seit eineinhalb Jahren hausen die Menschen hier. Sie schlafen auf Decken, die einfach auf dem Boden liegen", erzählt der Wiener.
Anrainer in Angst
Was in dem Haus vor sich geht, weiß er nicht. Die Behörden halten sich mit Informationen zurück. Fest steht nur, dass fast keiner der Bewohner Deutsch spricht und auffällig oft Luxusautos kommen, um die Mieter abzuholen. Die KURIER-Recherche ergab am Mittwoch schließlich das, was Martin B. hinter diesen Vorgängen befürchtete: Das Haus ist von einem Bettler-Syndikat gekauft worden. Bestätigt wurde diese Information von Gerald Tatzgern, dem Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität: "Uns ist diese Adresse bekannt, und wir ermitteln schon längere Zeit in diesem Fall." Verschärft hätte sich die Situation noch zusätzlich, als ein anderes Bettler-Quartier in der Mautner-Markhof-Straße aufgelöst wurde. Viele der Bettler zogen dann in den maroden Altbau nach Wien-Ottakring.
Hinter den Quartieren, die an ein Massenlager erinnern, stecken meist gut organisierte Strukturen. Die Bosse werden mit den Bettlern reich. "Es sind so viele Menschen in den Häusern, weil die Miete extrem hoch ist", sagt Tatzgern weiter. Obwohl die zwielichtigen Machenschaften bekannt sind, können die Behörden wenig tun. "Wenn wir die Bewohner befragen, geben sie nicht zu, dass sie ins Land gelockt wurden und hier betteln. Sie haben Angst. Teilweise gibt es in den Organisationen sogar Folter", erklärt der Experte.
Tatzgern schätzt die Zahl der Bettler in Wien derzeit auf 1500: "Der Großteil sind Rumänen, die in rund 80 solcher Massenlagern hausen."
Nennen wir sie Marika. Mehrmals pro Woche sitzt sie am Ausgang einer U4-Station. Zu geben hat sie nicht viel – sie singt und bittet mit gefalteten Händen um Almosen.
Um Bettlerinnen wie Marika ist ein Politikum entbrannt. Zuletzt in Salzburg: ÖVP und das Team Stronach warnten lautstark vor Bettlerbanden aus dem Osten. Die Krone peitschte in Salzburg und Linz mit einer Kampagne ein: "Wann kommt das Verbot für Profi-Bettler?!".
Was aber ist so störend an Bedürftigen, dass vielerorts der Ruf nach Verboten laut wird? Und was hilft gegen die Verunsicherung der Passanten und die Armut der Bettelnden?
Letzteres versucht Salzburg mit einem Spagat zu beantworten: Während bestimmte Formen des Bettelns unter Strafe stehen, soll es erstmals in einer Landeshauptstadt eine eigene Basis-Versorgung für Bettler geben (siehe unten).
"Mafia"
Ansätze in der Bettler-Politik, die wie in Salzburg eine soziale Handschrift tragen, sind rar. Ferdinand Koller, Sprecher der Bettellobby Wien, macht dafür den oft strapazierten Begriff "Bettelmafia" verantwortlich. Dahinter steckt der Gedanke, dass jemand die Menschen zum Betteln zwinge. Ergo fließe ein gespendeter Euro nicht in die Tasche des Bedürftigen, sondern in die dicke Geldbörse eines Kriminellen. "Wenn es das überhaupt gibt, ist es eine Ausnahme", sagt Koller. Politik und Medien sollten aufhören, "die Menschen zu instrumentalisieren". Organisiert seien Bettler zwar, aber auf freiwilliger Basis. Zu spüren bekommen das Menschen wie Marika. Sie zieht die Blicke auf sich, viele wenden sich ab. "Es ist unangenehm zu sehen, dass jemand so arm ist", sagt Koller. Die "Mafia-Geschichten" würden den Eindruck erwecken, dass die Armut nicht echt sei. "Das ist sie aber." Von den Verboten hält er nichts. Die Untersagung des gewerbsmäßigen Bettelns käme einem generellen Verbot gleich. "Wer ein zweites Mal erwischt wird, bettelt gewerbsmäßig", erklärt Koller. Damit würde man "Armut bestrafen". Die Hälfte der Bettler arbeitet organisiert, davon ist Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle im Bundeskriminalamt (BK) zur Bekämpfung des Menschenhandels, überzeugt. Und ein kleiner Teil der Bettler werde durch Menschenhändler ausgebeutet. Vor Kurzem wurde ein Fall publik, bei dem angeblich ein schwer behinderter Rumäne von Landsmännern an einen Baum gefesselt und gefoltert wurde, um ihn zum Betteln zu zwingen.
Allein 1100 Bettler aus Rumänien hielten laut BK im Vorjahr in Wien die Hand auf. 430 wurden wegen organisierter Bettelei angezeigt. Ein allgemeines Bettelverbot gibt es in der Bundeshauptstadt nicht. Soll es auch nicht geben.
Eine Steigerung nehme man nicht wahr. "Aber Berichterstattung schafft Aufmerksamkeit. Wenn eine Zeitung X den Kampf gegen die Bettlermafia ausruft, dann fällt mir die Person, die regelmäßig vor dem Supermarkt bettelt, auch eher auf", heißt es aus dem Büro von Stadträtin Sandra Frauenberger. "Alle in einen Topf zu hauen, kann nicht richtig sein." Das Problem sei nicht die Bettelmafia. "Sondern rassistische Tendenzen, die da gegen Gruppen entstehen." Dieser Meinung ist auch die Caritas. "Politische Kampagnen sorgen dafür, dass die Bettler in der persönlichen Wahrnehmung mehr werden", sagt Geschäftsführer Klaus Schwertner. "Aber wir müssen es aushalten, mit Armut konfrontiert zu werden."
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