Das dunkle Kapitel der Frauenheilkunde wird endlich aufgearbeitet

Der Wiener Gesundheitsstadtrat der NS-Zeit, Max Gundel, im Oktober 1939 vor Krankenhausmitarbeiterinnen und -mitarbeitern
Die Frauenheilkunde im Nationalsozialismus war Thema eines Symposiums der MedUni Wien. Die Aufarbeitung ist ein „seit Langem fälliger Schritt“.

Der 13. März 1938, der Tag des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, markierte auch für die Wiener Medizin eine moralische Zäsur. „Ein Tag, von dem sich die Medizinische Fakultät bis heute nicht erholt hat“, so Markus Müller, Rektor der MedUni Wien, in seinen einleitenden Worten. Anlass ist das Symposium zum Thema „Die Frauenheilkunde in Wien während des Nationalsozialismus“. 

Denn kaum eine andere Disziplin ist so stark mit bioethischen Fragen konfrontiert wie die Frauenheilkunde. Ihr kam daher in der NS-Zeit eine besondere ideologische Bedeutung zu.

Die unmittelbaren Folgen: Vertreibung jüdischer Ärztinnen und Ärzte, Zwangssterilisationen, Zwangsabtreibungen, Röntgenkastrationen und Tötungsprogramme an Kranken und Behinderten. In manchen Kliniken, so heißt es in einem Vortrag, machte die Zahl der Zwangssterilisationen ein Viertel aller chirurgischen Eingriffe aus.

Der prominenteste Arzt, der in Wien von der Judenverfolgung betroffen war, sei sicherlich Sigmund Freud gewesen, sagte der Medizinhistoriker Herwig Cech von der MedUni Wien in seinem Vortrag.

60 Prozent der Gynäkologen verloren ihre Approbation

Doch die Dimension, in der jüdische Wiener Ärztinnen und Ärzte von einem Tag auf den anderen von ihrem Beruf ausgeschlossen wurden, ist natürlich viel größer: Fast 60 Prozent der in Wien tätigen Gynäkologen verloren ihre Approbation und konnten ihr Leben nur retten, wenn ihnen rechtzeitig die Flucht gelang. 

So auch Regine Kapeller-Adler, eigentlich Biochemikerin, die als erste einen Schwangerschaftsschnelltest entwickelt hatte und 1939 nach Großbritannien emigrieren musste.

Viele Ärzte waren Mitglieder der NSDAP

Auf der anderen Seite gab es keinen Berufsstand, der so viele NSDAP-Mitglieder hatte wie die Ärzteschaft. Rund 60 Prozent gehörten der Partei an, die Hälfte davon bereits vor 1938, als die Partei noch illegal war. 

So auch der Gynäkologe Isidor Amreich, der bereits 1934 der illegalen NSDAP beigetreten war und ab 1939 – nach der politisch motivierten Pensionierung seines Vorgängers – Vorstand der ersten Wiener Universitätsfrauenklinik wurde. An seiner Klinik wurden sowohl Zwangssterilisationen von Gefängnisinsassinnen als auch „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durchgeführt. Von den Zwangssterilisationen und -abtreibungen waren in erster Linie ausländische Zwangsarbeiterinnen betroffen, da eine „völkische Vermischung“ verhindert werden sollte.

In dem im Hof des Wilhelminenspitals errichteten Barackenspital konnten bis Kriegsende 600 solcher Eingriffe dokumentiert werden. Noch im März 1945, kurz vor Kriegsende, mussten sich 145 Frauen einer solchen Operation unterziehen lassen.

Die nächste Eskalationsstufe dieser Politik, so Czech weiter, zeigte sich dann am Spiegelgrund, wo es im Zuge der Rassenhygiene zur Euthanasie an Kindern und Jugendlichen kam. Die Verbindung zur Frauenheilkunde ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, aber deshalb nicht weniger perfide. Denn es sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Säuglinge aus den Frauenkliniken der Stadt direkt nach der Geburt an den Spiegelgrund überwiesen wurden. 

"Die Aufarbeitung war längst fällig"

„Wie viele andere Bereiche der Medizin hat sich die Gynäkologie während des Nationalsozialismus in den Dienst eines mörderischen Regimes und dessen rassistischer und eugenischer Ziele gestellt. Die Aufarbeitung dieser Verstrickungen ist ein seit Langem fälliger Schritt“, sagte Czech.

Die Aufarbeitung nach Kriegsende kann bestenfalls als halbherzig bezeichnet werden. Zwar waren bis Februar 1946 73 Prozent der Ärzte der Wiener Medizinischen Fakultät als ehemalige Nationalsozialisten entlassen worden, doch kehrten viele von ihnen in ihre Positionen zurück. 

Weiter als Facharzt mit Privatpraxis tätig

Unter ihnen auch der Gynäkologe Otto Planner-Plann. Als Wiener Gauärzteführer der wichtigste ärztliche Funktionär in der NSDAP, setzte er nach dem Krieg seine Karriere fort und war später auch hoher Funktionär der Kärntner Ärztekammer. Auch Isidor Amreich erhielt bereits im Juli 1945 seine Bestätigung als Facharzt zurück und führte eine Privatpraxis in Döbling. 

Gleichzeitig wurden kaum Bemühungen unternommen, die überlebenden vertriebenen Mediziner nach Wien zurückzuholen.

Den Opfern der Zwangssterilisationen blieb lange jede Entschädigung vorenthalten. Erst 1995 wurden auch diese Eingriffe nach einer Novelle des Opferschutzgesetzes als entschädigungswürdig anerkannt.

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