Schwarzes Schaf im weißen Kittel?

Schwarzes Schaf im weißen Kittel?
Ein bekannter Wiener Internist soll die Krankenkasse im großen Stil geprellt haben.

Zwölf Jahre lang war Ahmet Hamidi die Nummer zwei in der islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs. Im Sommer 2011 trat er als Vizepräsident nach einem Paukenschlag zurück: Zu viel Sport, soll er sinngemäß auf einem Podium gesagt haben, sei schlecht für Mädchen.

Sein Ruf erlitt damals erste Kratzer. Für viele Gläubige blieb er dennoch eine Integrationsfigur: Ein renommierter Internist und Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht. Kurz: Jemand, der es geschafft hat. Jetzt steht sein Renommee als gefragter Internist vor einer harten Bewährungsprobe. Gegen den Spezialisten für Diabetes laufen Ermittlungen wegen des Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betruges, bestätigt Nina Bussek von der Staatsanwaltschaft Wien.

Den Stein ins Rollen brachte die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK). Dort stöbert eine Truppe mit dem sperrigen Namen „Missbrauch-Entdecken-Prävention“ (MEP) Medizinern nach, die möglicherweise korrupt sind. Das Vergehen heißt Abrechnungsbetrug.

Tatort Ordination

Im Visier sind Ärzte, die Leistungen verrechnen, die sie tatsächlich nie erbracht haben. Seit Langem monieren Kritiker, dass es keine Kontrolle der Ärzte gibt. Seit fünf Jahren gibt es die MEP-Truppe. Im vergangenen Jahr entsandte sie Test-Patienten, um Betrügereien aufzudecken. Die WGKK-Bilanz des Vorjahres ist überschaubar: 382 Fälle und rund 500.000 Euro, die von Ärzten und anderen Vertragspartnern zurückgefordert wurden. Oft handelte es sich um irrtümliche Abrechnungen. Im Vergleich dazu ist die Causa „Hamidi“, dessen Kassenverträge von der WGKK bereits gekündigt wurden, mit einer kolportierten Schadenssumme von rund 360.000 Euro ein dicker Fisch. Freilich: Das ist jener Betrag, den die WGKK nachträglich für drei Jahre eruiert hat. Der tatsächliche Schaden könnte höher sein. Die WGKK bestätigt den Fall.

Schon im Vorjahr erstattete sie Strafanzeige gegen Hamidi. Zuvor war das Klima, wie es zwischen Medizinern und der Kasse trotz Malversationen üblich ist – und zwar amikal. Ein Auszug: In Hamidis Praxis waren im Jahr 2010 in Summe 6190 Patienten. Für 6005, also für 97,1 Prozent, soll er eine digitale Rektaluntersuchung abgerechnet und damit rund 19.800 Euro umgesetzt haben. Die WGKK bat höflich zum Aufklärungsgespräch. Ergebnis: Eine angeblich überforderte Gehilfin dürfte – über mehrere Jahre – einen falschen Code ins EDV-System eingegeben haben. Hamidi zahlte dann 49.092 Euro zurück, blieb aber im Visier der MEP-Truppe. Zum Vergleich: Ein Jahr später fand sich die Position nur 38-mal in Hamidis Statistik.

Patienten-Befragung

In Wien erhalten die Ärzte zur Selbstkontrolle einen Serienbrief, der Durchschnittswerte pro Untersuchung ausweist. Hamidis Rechnungen sollen teilweise haargenau diesen Durchschnitt getroffen haben. Für die MEP-Ermittler war das zu perfekt. Sie luden Dutzende seiner Patienten vor. Befragungen sind oft heikel. Zwischen Arzt und Patienten besteht ein Vertrauensverhältnis. Deshalb fällt der Name des Arztes in solchen Gesprächen nicht. Im Fall „Hamidi“ ermittelte die WGKK Leistungen im Wert von 360.000 Euro, die nie erbracht worden sein sollen. Bei einem Patienten erübrigte sich das Nachfragen: Der Gehbehinderte hätte das verrechnete Ergometertraining nicht absolvieren können.

Hamidi war trotz mehrfacher Versuche nicht erreichbar. Er soll sich seit Längerem im Ausland befinden.

In Deutschland tobt die Debatte: Wie korrupt sind Ärzte, Apotheker oder gar Spitalsbetreiber? Die deutschen Krankenkassen meldeten 2010 und 2011 rund 53.000 Fälle von Fehlverhalten im Gesundheitswesen. 2600 Mal ermittelten Staatsanwaltschaften. Das Deutsche Bundeskriminalamt führt in einer gesonderten Statistik das Delikt „Abrechnungsbetrug“.

Hierzulande läuten keine Alarmglocken. Obwohl Franz Fiedler von Transparency International betont: „Die Korruption blüht. Wir weisen seit Jahren darauf hin.“ Fiedler ortet „dringenden Reformbedarf“ und fordert mehr Transparenz.

Kein Datenmaterial

Freilich: Wie groß die Ausmaße sind, lässt sich gar nicht abschätzen. Hochrechnungen, wie viel Geld im Korruptionssumpf versinkt, gibt es nicht. Das „European Healthcare Fraud and Corruption Network“ errechnete für das Jahr 2008 rund 56 Milliarden Euro Schaden in der EU. Auf die Gesundheitsausgaben Österreichs umgelegt, wären das 1,349 Milliarden Euro. „Eine Schätzung, die ich für realistisch halte“, sagt Andrea Fried, die bei Transparency International den Arbeitskreis „Gesundheitswesen“ leitet. Abrechnungsbetrug spiele eine eher untergeordnete Rolle. Als zentralen Problemkreis benennt sie die „enge Verbindung zwischen Industrie und Ärzten.“ Ansatzweise gibt es hier Verbesserungen. Korruption im Gesundheitswesen hat aber viele Gesichter: Die Kuvertmedizin für raschere OP-Termine; bezahlte Fortbildungen durch Pharma-Firmen, die beeinflussen, welche Medikamente verschrieben werden, usw.. Fried: „Die Kreativität ist groß.“ Heikel sei es in vielen Fällen, schließlich gehe es um Menschenleben.

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