Beste Freundin erstochen: Kein Mord, vier Jahre Haft

Wie es zur Tat kam, wisse sie nicht, sagt die 16-Jährige (Mi.)
16-Jährige vor Gericht: Für die Geschworenen war es kein Mord.

Vor dem Messerstich schrieb die damals 15-jährige Tülin K. auf Facebook: „Meine beste Freundin hängt mit meinem Ex rum. Leben oder Tod??? Auf was tippt ihr?“

Minuten nach dem Messerstich, selbst als ihr die Polizei schon Handschellen anlegte, postete sie: „Jetzt hab’ ich meine beste Freundin abgestochen und muss in Häfen.“

Für den Wiener Jugendrichter Norbert Gerstberger klingt das so unbeteiligt. Ist das Mädchen so kalt? Beim Mordprozess versucht Tülin (inzwischen 16), sich anders darzustellen: „Ich hab’ mich so gehasst in dem Moment, ich wollte, dass sie wieder lebt.“

Tülin und die um ein Jahr ältere Melissa kannten einander seit der Volksschule. Beste Freundinnen. Aber dann fing Melissa etwas mit Tülins Ex-Freund an und soll ihr das brühwarm serviert haben: „Ich bin besser und schöner als du, deshalb ist er jetzt mit mir zusammen.“ Tülin fühlte sich erniedrigt. Warum sie den Kontakt mit Melissa nicht abgebrochen habe? „Ich hab’ sie zu sehr geliebt, um sie loszulassen.“

Sie habe aber nie daran gedacht, es ihr heimzuzahlen. Wie es zur Tat kommen konnte, wisse sie nicht genau: Tülin schiebt es auf die Drogen, in die sie mit 13 „reingerutscht“ sei. Erst Gras, dann MEC. Diese synthetische Droge erzeuge „große Glücksgefühle“, gefolgt von „Wahnvorstellungen, dass mich Männer mit Waffen verfolgen. Seit ich mit dem chemischen Zeug angefangen hab’, ist mein Hirn so komisch geworden.“

Am 28. Mai 2013 sei Melissa daheim hinausgeschmissen worden. Die Mutter des Opfers sitzt im Publikum und schüttelt den Kopf. Die Mädchen fanden nachts Unterschlupf bei einem Bekannten in Wien-Favoriten. Am Morgen ging dieser weg, Tülin und Melissa stritten wieder über den (Ex-)Freund. Und dann weiß Tülin nur noch, wie sie „Gesicht an Gesicht“ vor Melissa gestanden und mit einem Küchenmesser auf sie eingestochen habe. Der Stich ging jedoch in den Rücken, „dann ist Melissa umgefallen.“ Mutter und Schwester des Opfers schluchzen auf. „Das Messer ist aber nicht mehr im Körper gesteckt, Sie müssen es rausgezogen haben“, sagt der Richter. Ob Melissa noch Lebenszeichen von sich gegeben habe? „Sie hat die Augen verdreht, bis man das Weiße sah, und am ganzen Körper vibriert.“ Die Mutter hält sich die Hände vors Gesicht. „Wenn man mit so einem Riesenmesser in den Rücken sticht, so zart wie die war, die war ja nur ein Hauch, was passiert dann?“, fragt der Richter. „Man stirbt“, flüstert die Angeklagte.

Ein von Verteidiger Lennart Binder beantragter Labortest ergab, dass Tülin eine solche Menge MEC in sich hatte, bei der der Gerichtschemiker Günther Gmeiner eine Beeinträchtigung nicht ausschließen kann.

Kein Mord

Überraschendes Urteil der Geschworenen: Mordanklage verworfen (mit 4:4 Stimmen), nur Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, vier Jahre Haft (bei fünf Jahren Strafrahmen für Jugendliche); und 15.000 Euro Trauerschmerzensgeld für die Familie der Toten. Die Staatsanwältin geht in Berufung.

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