Besachwaltete will Republik klagen
Marion T., 30, erhoffte sich von ihrer Sachwalterin, dass sie Ordnung in ihre Finanzen bringt. T. ist spielsüchtig und kann nicht mit Geld umgehen. Ein Beispiel: In einem Möbelhaus ließ sich die Wienerin eine Küche aufschwatzen. Kosten: 3000 Euro. Der Grund für den Kauf: "Ich wollte nicht, dass der Verkäufer böse auf mich ist."
Doch die Sachwalterin, 62, machte alles schlimmer, händigte T. Tausende Euro für ihre Casino-Besuche aus. Nun fehlen auf T.s Konto 27.000 Euro, und sie will klagen. Nicht ihre (mittlerweile) ehemalige und überforderte Sachwalterin, die selbst von Sozialhilfe lebt, sondern die Republik. Denn der Richter hätte bei der Auswahl sorgfältiger sein müssen, argumentiert ihre Anwältin Astrid Wagner: "Es scheint so, als habe er nicht geprüft, ob die zukünftige Sachwalterin auch die Befähigung mitbringt." Wagner verlangt den Fehlbetrag von der Finanzprokuratur zurück.
Die Geschichte beginnt im Herbst 2012 im psychiatrischen Krankenhaus Baumgartner Höhe. Dort lernt die 30-Jährige eine Patientin kennen, die bald zu einer Freundin wird. T. hat einen Leidensweg hinter sich, der in ihrer frühen Kindheit begann und sie bis heute beschäftigt. Über ihre neue Freundin trat die zukünftige Sachwalterin in ihr Leben – es war ihre 62-jährige Mutter, die sich für den Job anbiederte. T. willigte ein, nahm sie aufs Bezirksgericht Favoriten, und gemeinsam überzeugten sie den Richter. Sie "vertraue" der Frühpensionistin, sagte T. laut Protokoll. Der Richter tat das auch. Als bei der Jahresabrechnung das Finanzloch auffiel, wurde die 62-Jährige schließlich ihres Amtes enthoben.
Verdopplung binnen zehn Jahren
Der Fall T. ist ein krasses Beispiel, wie Sachwalterschaften in Österreich eingefädelt werden. Er ist aber auch symptomatisch dafür, wie überfordert Gerichte und die Gesellschaft mit der Thematik sind. Denn zum Stichtag 1. Jänner dieses Jahres waren 59.910 psychisch kranke oder behinderte Personen besachwaltet. Vor rund zehn Jahren waren es noch knapp 34.000. Das ist beinahe eine Verdopplung binnen zehn Jahren.
Das Sachwalterschaftsgesetz, verabschiedet 1984, hätte das Gegenteil bewirken sollen: Die Entmündigung wurde durch die flexibel gestaltbare Sachwalterschaft ersetzt, doch die Zahlen stiegen seither drastisch an.
Im Verein "VertretungsNetz" weist man seit Jahren auf das Problem hin. Besser gesagt – auf die vielen Probleme. "Eine Sachwalterschaft wird viel zu schnell angeregt", sagt Franziska Tuppa vom "VertretungsNetz". Für den Anstieg gibt es drei Gründe: eine überbordende Bürokratie, die mit ihrem Formular-Dschungel viele scheitern lässt; befristete Leistungen, die immer neu beantragt werden müssen; Angehörige und Sozial- bzw. Gesundheitseinrichtungen, die sich "absichern" wollen und nach einem Sachwalter rufen.
Nötig ist dies laut Tuppa in vielen Fällen nicht: Ende 2013 startete das Justizministerium ein Modellprojekt, in dessen Rahmen Richter eine zusätzliche Abklärung einleiten können. Es wird geprüft, ob es Alternativen zum Sachwalter gibt. "In vier von zehn Fällen brauchte man gar keinen", sagt Tuppa.
Bei einer anstehenden Reform des Sachwalterschaftsgesetzes im kommenden Jahr soll das Prozedere verpflichtend und flächendeckend eingeführt werden. Doch derzeit schlägt das Pendel noch in die andere Richtung aus: Denn von den knapp 60.000 besachwalteten Personen sind 55 Prozent völlig (Anm. für alle Wirkungsbereiche wie Behörden-Gänge, Finanzen, Rechtsgeschäfte) entmündigt. Tuppa: "Es wird viel zu schnell und zu stark in die persönlichen Rechte eingegriffen."
Aktuelles in Zahlen
60 000 Menschen werden besachwaltet.
55 Prozent sind völlig entmündigt.
55 Prozent der Besachwalteten ist über 60 Jahre alt, der Rest jünger.
Kommentare