Bakary J. litt vor Folter an keiner psychischen Krankheit

Bakary J. mit seiner Anwältin Susanne Kurtev
Neues Gutachten zeigt Zustand des misshandelten Gambiers vor der Folter. Er kann weiter auf Schmerzensgeld hoffen.

Seit Jahren führt das Folteropfer Bakary J. ein Verfahren gegen die Republik Österreich: Sein Leidensweg vor Gericht könnte aber bald ein Ende finden. Ein neues Gutachten, das dem KURIER vorliegt, zeigt, dass der 45-Jährige  vor seiner Folter an keiner psychischen Krankheit gelitten hat. Die Anwälte der verurteilten Polizisten stellten beim Prozess im Mai in den Raum, dass J. bereits vor der Folter psychisch angeschlagen gewesen sei und Medikamente genommen haben soll.

Der psychiatrische Sachverständiger Karl Dantendorfer sollte mit Hilfe von älteren ärztlichen Unterlagen klären, ob dies stimme. Bei einer Untersuchung im Polizeianhaltezentrum (PAZ) wenige Wochen vor der Misshandlung attestierte der dortige Arzt dem damaligen Asylwerber ein klares Bewusstsein, einen normalen Gedankenablauf und einen „guten Allgemeinzustand“. Dantendorfer hatte bereits in seinem Gutachten im November 2017 "keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer tatsächlichen Störung" vor der Folter gefunden.

Bakary J. litt vor Folter an keiner psychischen Krankheit

„Das ergänzende Gutachten führt zu keiner Änderung. Die Richterin wird das Verfahren wieder eröffnen müssen“, sagt die Anwältin von Bakary J., Susanne Kurtev (Kanzlei Nikolaus Rast). Heißt: Der 45-Jährige könnte nach jahrelangem Rechtsstreit das noch ausstehende Schmerzensgeld in der Höhe von 238.000 Euro doch noch bekommen. Eine Entscheidung wird in den nächsten Wochen erwartet. 

Chronologie der Ereignisse

Bakary J. litt vor Folter an keiner psychischen Krankheit

31. März 2006: Bakary J., mit einer Wienerin verheiratet, wartet im Polizeianhaltezentrum auf seine Abschiebung. Ein Arzt untersucht ihn und attestiert dem Asylwerber ein klares Bewusstsein, einen normalen Gedankenablauf und einen "guten Allgemeinzustand". Die einzigen Medikamente, die der Gambier verschrieben bekommt, sind jene gegen Fußpilz. "Es werden keine psychische Auffälligkeiten oder Beschwerden beschrieben", kommentiert Karl Dantendorfer in seinem Gutachten.

7. April 2006: Der Gambier soll vom Flughafen Wien-Schwechat in sein Heimatland abgeschoben werden. Der Asylwerber wehrt sich und startet einen Fluchtversuch. Der Pilot weigert sich den 34-Jährigen, an Bord zu lassen. Drei WEGA-Beamte bringen den Mann daraufhin in eine Lagerhalle, foltern ihn und veranstalten eine Scheinhinrichtung. Ein weiterer Polizist schaut einfach nur zu. Der Asylwerber kommt mit schweren Verletzungen ins Wiener AKH, wirdt stationär aufgenommen. Zu dieser Zeit gibt es laut den ärztlichen Unterlagen noch keinen Hinweis auf psychologische Auffälligkeiten. Auch ein Amtsarzt stellt am selben Tag bei dem 34-Jährigen nur eine "psychomotorische Erregung" fest.

Bakary J. litt vor Folter an keiner psychischen Krankheit

11. April 2006: Bakary J. gibt gegenüber dem Amtsarzt an, von den Polizisten misshandelt worden zu sein.

13. April 2006: Der Vorfall gerät ans Tageslicht. Die drei Hauptverdächtigen werden suspendiert.

14. April 2006: Der Asylwerber zeigt erstmals Symptome einer psychischen Störung. Der Arzt diagnostiziert eine "posttraumatische Belastungsstörung". Das Opfer bekommt Psychopharmaka verschrieben.

16. April 2006: Bei Bakary J. werden erstmals schwerwiegende psychiatrische Symptome festgestellt. Er berichtet davon, sich verfolgt zu fühlen und will unbedingt in ein anderes Spital. Der Gambier berichtet davon, in der Nacht Menschen gesehen zu haben, die ihm "Gift in die Medizin" gegeben hätte. "Er glaubt, wir geben etwas hinein, um ihn zu manipulieren", schreibt der Amtsarzt in den Bericht und fordert eine psychiatrische Untersuchung.

Bakary J. litt vor Folter an keiner psychischen Krankheit

31. August 2006: Die drei Polizisten werden zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Ihr Kollege, der ihnen die Halle geöffnet hat, erhält sechs Monate bedingter Haft. Die Urteile werden sofort rechtskräftig. Wegen der Strafhöhe von unter einem Jahr werden die Beamten nicht automatisch aus dem Dienst entfernt.

15. Dezember 2006: Über die Beamten wird eine Geldstrafe verhängt, die Disziplinarkommission hebt die Suspendierungen auf.

11. September 2007: Die Disziplinar-Oberkommission im Bundeskanzleramt entscheidet, dass die Beamten im Dienst bleiben. Außerdem setzt sie die Geldstrafen herab.

28. Oktober 2008: Der Verwaltungsgerichtshof gibt einer Berufung des Disziplinaranwaltes statt und stellt fest, dass die Bestrafung der Beamten durch die Disziplinarbehörden zu milde war. Damit stehen die Polizisten wieder vor ihrer Suspendierung.

8. Jänner 2010: Die Disziplinar-Oberkommission entfernt im zweiten Anlauf drei Polizisten aus dem Polizeidienst. Der vierte, der die Halle aufgesperrt hat, erhält die finanzielle Höchststrafe und darf nur noch Innendienst versehen. Zweieinhalb Monate später erkennt der VwGH einer Beschwerde eines Verteidigers aufschiebende Wirkung zu.

Bakary J. litt vor Folter an keiner psychischen Krankheit

2012: Der österreichische Regisseur Stefan Lukacs verfilmt den Kurzfilm „Void“, basierend auf den Ereignissen von Bakary J.

24. April 2012: Die drei Beamten werden endgültig aus dem Polizeidienst entfernt. Das entscheidet die Disziplinar-Oberkommission im Bundeskanzleramt. Knapp ein Monat später entschuldigt sich der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, bei Bakary J. und stellt ihm eine Entschädigung in Aussicht.

24. Juli 2012: Das seit 2005 bestehende Aufenthaltsverbot gegen Bakary J. ist aufgehoben. Er darf nun einer geregelten Arbeit nachgehen.

10. Dezember 2012: Bakary J.’s Anwalt Nikolaus Rast fordert von der Republik 750.000 Euro Schadenersatz für seelische und körperliche Schmerzen. Er stützt seine Forderung auf ein Gutachten. Knapp ein Monat später bringt er Amtshaftungsklage ein und fordert 384.000 Euro Schadenersatz sowie eine monatliche Rente von 1.000 Euro brutto. Der tatsächliche Streitwert beträgt 274.000 Euro, da bereits 110.000 Euro an Bakary J. und seine Familie überwiesen wurden.

Bakary J. litt vor Folter an keiner psychischen Krankheit

Der Kurzfilm Void stellt die Missahndlungen nach

19. Oktober 2014: Die drei verurteilten Ex-Polizisten gehen an die Öffentlichkeit. Sie widerrufen ihre Geständnisse, stellen in den Raum, dass sich Bakary J. die schweren Verletzungen selbst beigebracht haben könnte, und wollen eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen. Dessen Anwalt Nikolaus Rast reagiert mit einer Verleumdungsanzeige.

2015: Das Landesgericht für Zivilrechtssachen weist die Klage auf weiteres Schmerzensgeld ab.

22. Februar 2018: Bakary J. wird auf einer psychiatrischen Station aufgenommen, kann den Gerichtstermin nicht wahrnehmen. Die eingebrachte Klage hätte vom Landesgericht für Zivilrechtssachen behandelt werden sollen.

18. Mai 2018: Es kommt zum Prozess wegen Schadenersatzes. Eine Urteil wird wegen des zusätzlichen Gutachtens nicht gefällt.

25. September 2018: Der Kurzfilm „Void“ zum Folterfall Bakary J. wird aus der Grundausbildung der Polizeischüler gestrichen.

 

 

 

 

 

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