Baby mit Schütteltrauma: Eltern schuldig gesprochen

Prozess um Mordversuch
Der Vater soll seiner Tochter ein Schütteltrauma zugefügt haben. Das Kind überlebte, kann aber nicht schlucken und fast nichts sehen.

Die kleine E. ist noch nicht einmal ein Jahr alt, und doch, so sagt es der Privatbeteiligtenvertreter am Dienstag im Wiener Straflandesgericht, sei ihre „ganze Lebensperspektive bereits zerstört“. Angeklagt sind an diesem Tag ihre Eltern, ein aus Syrien stammendes Paar. Ihnen wird versuchter Mord an ihrer damals sechs Wochen alten Tochter vorgeworfen. Denn am 20. Dezember 2024 wurde das Mädchen in lebensbedrohlichem Zustand in ein Spital gebracht. Schnell stand der Verdacht eines massiven Schütteltraumas im Raum. Bei weiteren Untersuchungen wurden zudem ältere Verletzungen festgestellt.

Laut Anklage soll der 26-jährige Vater zumindest mit bedingtem Vorsatz seine jüngste Tochter zu töten versucht haben, indem er sie "zu nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkten im Dezember 2024 in zumindest zwei Angriffen mehrfach schüttelte, wodurch diese ein Schüttel-Trauma mit akuten Blutungen zwischen Schädeldecke und Gehirn, erhöhtem Hirndruck, Blutungen im Augenhintergrund, beidseitigen Hygromen (eine zystische Ansammlung von Flüssigkeiten, Anm.) und mehreren Brückenvenenthrombosen erlitt und akute Lebensgefahr bestand". Der 26-Jährige wurde einstimmig wegen versuchten Mordes für schuldig befunden und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Seine 23 Jahre alte Ehefrau fasste wegen Beitrags zur Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen fünf Jahre aus. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Irreversible Hirnschäden

Das Mädchen überlebte, wird aber laut Gutachterin und Gerichtsmedizinerin Katharina Stolz, aufgrund der irreversiblen Hirnschäden nie ein selbstständiges Leben führen können. "Sie greift nicht. Sie bewegt sich nicht. Sie dreht sich nicht. Sie kann die Extremitäten nicht gezielt bewegen. Sie kann nicht selbstständig Nahrung aufnehmen." Auch die Lebenserwartung ist eingeschränkt: "Oft sterben Kinder mit Schütteltrauma noch vor dem Schulalter", sagt Stolz.

Der Vater, der als unmittelbarer Täter vor Gericht steht, kam im Jahr 2021 nach Österreich. 2023 holte er seine drei Jahre jüngere Frau und die drei gemeinsamen Kinder nach. Im vergangenen Herbst brachte die Frau dann die jüngste Tochter zur Welt. Der Mutter wird Beihilfe vorgeworfen, weil sie nicht eingegriffen und ihre Tochter nicht geschützt haben soll. Während der Verhandlung sitzt sie seitlich auf einer Bank, den Blick starr auf den Boden gerichtet.

Prozess um Mordversuch

Der Vater wird in den Verhandlungssaal geführt. 

Version der Eltern

Beide bekennen sich nicht schuldig. Die Verletzungen seien unbestritten und das Ganze eine tragische Geschichte, sagt ihr Verteidiger Andreas Reichenbach. "Die Frage ist, wie es dazu gekommen ist." Denn sein Mandant habe sich laut Zeugenaussagen immer liebevoll um seine Kinder gekümmert. Und seine Mandantin hätte zweifellos eingegriffen, wenn sie Zeugin von Gewalt geworden wäre. "Dann hätte es einen Riesendisput mit ihrem Mann gegeben." 

Was genau passiert sein soll, erklärt das Ehepaar in seinen Befragungen übereinstimmend so: Die kleine E. sei auf einer Matratze am Boden nahe der Heizung gelegen, als die drei Jahre ältere Schwester beim Umherlaufen mit dem Handy in der Hand auf sie gefallen sei. E. habe geweint, sich aber beruhigen lassen und sei nur vorübergehend "ein wenig gelb" im Gesicht geworden. Die nächsten zwei Tage habe sich das Baby immer wieder übergeben müssen. Am Morgen des dritten Tages habe sich dann sein Zustand dramatisch verschlechtert und man habe die Rettung alarmiert. Warum nicht schon früher? "Ich bin ja kein Arzt und wusste nicht, dass sie da schon Blutungen im Kopf hatte. Sonst wären wir ja sofort ins Krankenhaus gefahren", gibt der Vater über seinen Dolmetscher zu Protokoll. Und fügt hinzu: "Meine Tochter ist mein Herz."

Medizinisches Gutachten

Gutachterin Stolz widerspricht jedoch klar: Das Verletzungsbild passe nicht zu dem beschriebenen Vorfall. "Aus medizinischer Sicht ist das auszuschließen. Ein Schütteltrauma braucht eine gewisse Heftigkeit, das kann ein drei- bis vierjähriges Kind nicht verursachen." Stolz demonstriert das anhand einer Babypuppe mit durchsichtiger Schädeldecke. „Damit Sie sehen, wie viel Kraft ich als Erwachsene aufbringen muss“, erklärt sie, bevor sie die Puppe mehrere Sekunden lang heftig schüttelt. Das Plastikgehirn im Puppenkopf scheppert laut. Der Angeklagte wirft Stolz und der Puppe einen kurzen Blick zu, senkt dann sofort wieder den Kopf. 

"Kinder werden nach einem solchen Trauma sofort symptomatisch. Das kann nicht sein, dass man da nichts bemerkt", sagt die Gerichtsmedizinerin. Eine gebrochene Rippe und der Verletzungsmechanismus im Schädelinneren sprächen zudem dafür, dass das Baby "wahrscheinlich zwei bis drei Wochen" vor seiner Einlieferung schon einmal geschüttelt worden sei.

"Papa Baby geschlagen"

Belastend sind auch die Aussagen zweier Sozialpädagoginnen, die sich bis heute im Krisenzentrum um zwei der Geschwister kümmern. Die Kinder hätten wiederholt und von sich aus gesagt: "Papa E. totgemacht. Papa Baby geschlagen. Mama viel weinen, Papa böse." In Spielsituationen hätten die Kinder mit einem Polster nachgestellt, was ihrer Schwester zu Hause geschehen sein soll: Sie warfen ihn auf den Boden und knieten sich darauf.

Die Eltern befinden sich seit Mitte Jänner in U-Haft. Ihre anderen drei Kinder waren ihnen bereits zuvor wegen Gefahr im Verzug abgenommen worden. Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) übernahm die vorläufige Obsorge und kümmerte sich in weiterer Folge um Krisenpflegeeltern für die drei Kleinkinder.