Atib-Moschee: Wo Kinder als Leichen kein Problem sind
Draußen ist erstmal Eskalation. Fotos vom Atib-Kulturzentrum zu machen ist bereits ein Problem. Drei ältere Männer kommen erbost heraus. „Bitte kommen Sie rein. Dann sperren wir die Tür zu und ich rufe die Kriminalpolizei“, droht einer der Männer.
Sie sind genervt und verärgert, verstehen nicht, dass Journalisten vor Ort sind. Nur wegen dieser Fotos. Der Falter veröffentlichte Bilder einer Facebook-Seite aus der zum Kulturzentrum gehörenden Moschee in der Dammstraße in Wien-Brigittenau, auf denen Kinder im Volksschulalter in Uniform zu sehen sind. Auf denen sie Leichen spielen, zugedeckt mit türkischen Flaggen. In einem Gebetsraum mitten in Wien.
Vergleich mit Theater
Ein Passant, der samt Kinderwagen vorbeischlendert und die hitzigen Diskussionen auf der Straße mitbekommt, hält kurz inne. „Kinder sollten nichts mit Krieg zu tun haben“, sagt er. Er wohne selbst seit eineinhalb Jahren im Grätzl und hätte jedoch nie Probleme mit der Moschee gehabt. Eine weitere Anrainerin, die im Wohnhaus gegenüber lebt, beschreibt die Bilder als „furchtbar“. „Ich habe sie gerade im Fernsehen gesehen“, sagt sie und schüttelt den Kopf.
„Waren Sie schonmal im Theater?“, fragt einer der Männer, die gerade noch mit der Polizei gedroht hatten; er trägt Anzug, mit Krawatte und Stecktuch - er kann keinen Unterschied erkennen zwischen der Veranstaltung und einem Theaterstück. Sein Name ist Adem Sert; er ist der ehemalige Obmann des Vereins, der Kulturzentrum und Moschee betreibt.
Sert spaziert hier nicht nur ein und aus, alles an ihm sagt immer noch: Ich bin der, der hier das Sagen hat – unabhängig des Titels. Sein Nachfolger steht neben ihm, er sagt nur: „Ich kann dazu nichts sagen“. Was auf den Fotos zu sehen ist, das sei „Fasching“, sagt Sert. Lustig schauen die Fotos aber nicht aus. Ein entnervter Blick von Sert, ein verständnisloses Lachen.
Es ist echtes, kein gespieltes Unverständnis. Sert versteht wirklich nicht, was die ganze Aufregung soll. Dass es ein Problem aufgefasst wird, wenn Kinder als Leichen posieren. Das müssten auch Kinder lernen, findet er: „Zuerst lebt man, dann stirbt man.“
„Hier ist meine Heimat“
Sert fühlt sich missverstanden, von Österreich. „Hier ist meine Heimat, hier will ich mich wohlfühlen“, sagt er. Seit den Siebzigern sei er hier. Dass die Fotos verstörend wirken, leuchtet ihm nicht ein. Die Kinder spielten die Schlacht von Gallipoli aus dem Jahr 1915 nach, „da waren die Österreicher sogar unsere Verbündeten“, sagt ein anderer, der neben ihm steht - für ihn macht das offenbar einen Unterschied.
Trotzdem verstehe er die ganze Aufregung nicht. Auch er sieht die militärische Aufmachung nur als Verkleidung: „Es ist egal, welche Uniform sie tragen. Ob von der Polizei oder vom Gericht.“
Verfahren eingeleitet
„Ein großer Fehler“
Nachdem sich die Gemüter beruhigt haben, ist es doch möglich, das Kulturzentrum zu betreten, ohne eingesperrt zu werden. Jedenfalls bis zur Kantine, die Moschee bleibt tabu. Es wird türkischer Tee serviert, ein paar Pensionisten schauen türkisches Fernsehen, es ist gerade ein Beitrag über eine türkische Militäraktion zu sehen.
Links vom Fernseher hängt die türkische Flagge, rechts die österreichische; dazwischen hat auch noch ein Porträt des türkischen Staatsgründers Mustafa Atatürk Platz.
Gegen Mittag hin füllt sich der Raum, es sind neben Pensionisten vor allem Männer, die hier offenbar ihre Mittagspause verbringen; einer trägt seine orange Warnweste. Die Gespräche bei Tisch lassen den Lärmpegel im Raum steigen, aber mit Journalisten spricht hier niemand gern – und falls doch jemand will, wird er teils rüde zurechtgewiesen.
Einer der Gäste, ein Alevit, will sich seine Meinung trotzdem nicht verbieten lassen. Es ist sehr gerne hier, aber diese Auffführung sei ein „großer Fehler“ gewesen. Sein Kind würde er da auf keinen Fall mitmachen lassen.
Imam als Organisator
Der Imam der Moschee, Muhammet Çörekçi, stößt zu einer Gruppe dazu, die vor der Kantine diskutiert. „Wir sind nicht hier um zu streiten sondern bringen Liebe“, sagt er. Dabei ist es gerade er, der die Kriegsspiele im März organisert haben dürfte – das legt zumindest ein Foto nahe, das ihn bei der Veranstaltung zeigt. Damit konfrontiert, bewegt ihn der ehemalige Vereinsobmann – auf türkisch – zu einer Lüge. „Sag doch einfach, dass du nicht dabei warst“, rät er ihm.
Dass der ehemalige Vereinsobmann Adem Sert im Kulturzentrum weiterhin ein und aus geht, stört hier niemanden. „Im Endeffekt ist er Mitglied des Vereins. Er zahlt seinen Mitgliedsbeitrag. Dass er aus dem Verein verwiesen wird, ist nicht der richtige Schritt“, sagt Atib-Sprecher Ersoy Yasar. „Aber wie gesagt die Vereinsfunktion hat er nicht mehr und diesen darf er nach außen auch nicht mehr vertreten.“
Vor Ort wahrt der ältere Herr ein ganz anderes Bild. Nach dem Mittagsgebet verabschiedet er sich herzlich von den Besuchern und verlässt zusammen mit dem Imam als letzter die Moschee.
Die Hintergründe der Neuwahl sind so skurril, wie die Fassade die die Herren wahren wollen. Zwei Kandidaten standen zur Wahl, nach Meinungsverschiedenheiten trat einer der Kandidaten zurück und bezichtigte den ehemaligen Vorstand Sert, Gelder veruntreut zu haben. Es sollen Einnahmen in einem Millionenbereich nicht angegeben worden sein.
Weitere Überprüfungen
Dass eine komplette Auflösung des Vereins erwägt wird, versteht die ATIB nicht. Die Führung pocht noch immer darauf, rechtzeitig reagiert zu haben. „Wir haben sofort die Vereinsverantwortlichen kontaktiert und gebeten, die Veranstaltung zu unterlassen. Für uns war das eigentlich intern abgeschlossen“, sagt der Sprecher. Bis zur Veröffentlichung der Fotos durch den Falter.
Er sagt, Atib sei „einer der offensten Vereine.“ Das sehen offenbar nicht alle Mitglieder. Die Veröffentlichung sei ein „Weckruf gewesen“.
Laut Atib will man die Vorfälle jetzt überprüfen und auch alle anderen Vereine beleuchten. Jegliche Veranstaltung, die in einer Moschee stattfinden sollen, werde von der Organisation überprüft, sagt Sprecher Ersoy Yasar. Vorher sei dies ohne einer Zustimmung erlaubt gewesen.
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