Wer genau schaut, sieht den Schriftzug über der Tür: "Abgebranntes Haus" ist in der Großen Neugasse 1 in Wien-Wieden noch heute zu lesen. Gebrannt soll es dort aber nie haben. Vielmehr soll sich dort einst ein Spielsalon befunden haben, in dem niemand geringerer als Maria Theresia große Summen verloren habe – also "abgebrannt" war, verrät Fremdenführerin Christa Bauer.
Es ist nicht die einzige Anekdote, die sie über die Wieden zu erzählen hat. Der 4. Bezirk rückt ab heute bis zum Welttag der Fremdenführer am Sonntag in den Fokus der Öffentlichkeit. Denn Wieden hat weit mehr als den Karlsplatz zu bieten.
Grätzel der Künstler
Nicht nur heute wird Kultur mit der Kunsthalle, dem Wien Museum oder dem Schikaneder groß geschrieben. Schon immer war der Bezirk bei den Künstlern beliebt. So wohnte Richard Strauß in der Mozartgasse 4 und Franz Schubert starb 1828 bei seinem Bruder in der Kettenbrückengasse. Der 1741 verarmt verstorbene Antonio Vivaldi wurde am Bürgerspital-Gottesacker unweit der heutigen TU beigesetzt.
Welttag der Fremdenführer
Am 16. Februar zwischen 10 bis 16 Uhr findet der 31. "Welttag der Fremdenführer" statt. Dabei werden Bezirke abseits der City vorgestellt.
Thema ist heuer die Wieden, es gibt vier kostenlose Führungen – zu Musik, Sagen, dem Karlsplatz sowie die Tour "In vollem Gewand ins Tröpferlbad" im Bezirksmuseum Wieden (ein Ex-Volksbad). Veranstaltungsort ist die WKÖ in der Wiedner Hauptstraße 63.
Am Freitag, 14. Februar, gibt es von 12 bis 17 Uhr Führungen für blinde und sehschwache Besucher im Haus der Musik (Seilerstätte 30, 1010), die sich mit Beethoven beschäftigen wird.
"Es gibt 40 Gedenktafeln auf der Wieden, rund die Hälfte widmet sich Musikern", sagt Bauer. Bekannt ist das Johann-Strauß-Theater in der Favoritenstraße 8, das später Scala hieß, Kinofilme zeigte und schließlich einem Wohnbau weichen musste. Dort wurden Bertolt Brechts Stücke trotz des Brecht-Verbots aufgeführt. Und im Freihaustheater feierte Mozarts Zauberflöte 1791 Premiere.
Das Johann Strauß-Theater in der Favoritenstraße. Später hieß es Scala und wurde als Kino genutzt. 1959 bis1960 wurde das Gebäude abgerissen. Heute steht an der Stelle ein Wohnhaus.
Apropos: Wer sich nicht als "Zuagraster" outen will, sagt "auf der Wieden" und niemals "in Wieden". Das hängt laut Philipp Maurer vom Bezirksmuseum mit dem ursprünglichen Namen des Gebiets ab: "Widum", was so viel wie "Widmung" bedeutet. Mit einer Weide habe die Namensgebung nichts zu tun, obwohl sich der Baum am Bezirks-Wappen befinde, sagt Maurer.
Während heute die Wieden zu den Innenstadtbezirken zählt, war sie einst die älteste Vorstadt. 1211 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt, als Herzog Leopold VI. ein Siechenspital für Leprakranke errichtete. Später wurde an diesem Standort in der Klagbaumgassse ein Wiener Tröpferlbad, sprich ein Volksbad, erreichtet. Heute ist dort das Bezirksmuseum untergebracht.
Die Gegend war grün, es gab Landwirtschaft und Weinbau. Von den Mühlen am Wienfluss rund um den heutigen Karlsplatz zeugen noch Straßennamen: die Schleifmühlgasse, die Heumühlgasse, der Bärenmühldurchgang. Nach dem Graf Starhembergschen Freihaus ist heute noch ein ganzes Viertel benannt. Schon im 18. Jahrhundert wohnten in dem enormen Wohnkomplex rund 1.000 Menschen.
Als dann die Habsburger im 17. Jahrhundert mit der "Favorita" – dem heutigen Theresianum – ihre Sommerresidenz nach Wieden verlegten, erlebte die Vorstadt einen kulturellen Aufschwung.
1890 hieß der Südtiroler Platz noch Favoritenplatz.
"Der Adel folgte mit ihren ganzen hübschen Palais", erzählt Fremdenführerin Bauer. Viele sind allerdings nicht mehr übrig: Wo einst etwa eines der drei Palais der Familie Rothschild stand, befindet sich heute die Arbeiterkammer; am Standort der Wirtschaftskammer war einst das Palais Erzherzog Rainer.
Von den vielen grünen Parkanlagen dieser Zeit ist nicht viel übrig. Zehn Prozent des 1,8 km² großen Bezirks ist als Grünfläche deklariert, der größte öffentliche Park ist übrigens der Karlsplatz mit den Ressel- und Rosa-Mayreder-Parks.
1850 wurde Wieden dann offiziell ein Teil Wiens. Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Ortsbild mit der Einhausung des Wienflusses massiv.
Die Elisabethbrücke verband einst die Wiedner Hauptstraße mit der Kärntner Straße. Sie wurde 1854 fertiggestellt. Als der Wienfluss eingehaust wurde, war sie obsolet. 1897 wurde sie abgetragen. Heute ist an der Stelle der Karlsplatz.
Damals wohnten übrigens rund 55.000 Menschen in Wieden, heute sind es 33.218. Die größte Bevölkerungsgruppe stellen – vor allem wegen der TU Wien – die 25- bis 29-Jährigen. "Die Zahl der Kinder und Jugendlichen steigt, gleichzeitig aber auch jener der Älteren", sagt Bezirksvorsteherin Lea Halbwidl (SPÖ).
Traditionell sei die Wieden bürgerlich, aber: "Was uns auszeichnet im Vergleich zu anderen Innenstadtbezirken ist der höhere Anteil an Gemeindebauten." Das sorge für eine gute soziale Durchmischung.
Der Naschmarkt war einst vor der Karlskirche situiert, dann wurde er an den Wienfluss verlegt. Bis 2009 die Bezirksgrenzen verlegt wurden gehörte er zum Teil zu Wieden.
Widerstand
Was wenige wissen: Der 4. Bezirk hatte einst einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil, erzählt Maurer vom Bezirksmuseum. Die Menschen wurden jedoch vetrieben. 1935 gab es dort zudem auch den höchsten Anteil an NSDAP-Wählern. Der Chef der Zentralstelle für jüdische Auswanderung im Palais Rothschild (der heutigen AK) war der berüchtigte Adolf Eichmann – der Mitorganisator des Holocaust.
Auch Widerstand gab es. So verfasste die Autorin und katholische Aktivistin Irene Harand 1935 das Buch "Sein Kampf. Antwort an Adolf Hitler". 1938 wurde ein Kopfgeld von 100.000 Reichsmark auf sie ausgesetzt, sie war aber auf Lesereise in England und entkam dem NS-Regime. Schauspielerin Dorothea Neff wiederum versteckte von 1940 bis 1945 eine Jüdin.
Und was Maurer noch verrät: Bevor er fliehen musste, wohnte auch der junge Bruno Kreisky auf der Wieden. Dort trat er dem Verband der sozialistischen Arbeiterjugend bei. Zu Treffen erschien er im Anzug – den Eltern erzählte er, er gehe in die Tanzschule. Nach 1946 blieb Wieden bürgerlich – bis 2010. Da errang die SPÖ mit Leopold Plasch den Sieg. Ihm folgte 2018 Lea Halbwidl als Bezirkschefin.
Wieden war stets progressiv. Nicht nur, weil es schon ab 1970 den ersten Wiener U-Bahn-Tunnel zwischen Karlsplatz und Südtiroler Platz gab. Schon um 1800 gab es etwa Kurse im Fahren von "Strampelwagen" – Laufrädern ohne Pedale. Und im Abgebrannten Haus startete 1784 die erste unbemannte Ballonfahrt in Wien – bis es wegen "Hysterie" der Bevölkerung ein Flugverbot gab.
Die historischen Bilder wurden großteils vom Wien Museum zur Verfügung gestellt.
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