6,5 Jahre Haft oder 5,4 Millionen

Natalie Morgenbesser sagt, die alte Dame habe sie ins Herz geschlossen „wie eine eigene Tochter“.
Krankenschwester kämpft um Rehabilitierung und Anerkennung eines Testaments.

Die Wiener Krankenschwester Natalie Morgenbesser könnte seit über zwölf Jahren ein sorgenfreies Leben als Millionenerbin führen. Stattdessen schwebt das Damoklesschwert einer Gefängnisstrafe von sechseinhalb Jahren über ihr. Die aus Turkmenistan gebürtige 39-Jährige musste ihren Schmuck verkaufen, Schulden machen, die Eltern anpumpen, um die 250.000 Euro für Privatgutachten und Anwälte aufbringen zu können.

Jetzt steht Natalie Morgenbesser mithilfe ihres Anwalts Michael Bereis kurz vor dem Ziel. Zumindest vor jenem, nicht länger als Erbschleicherin angesehen zu werden. Der Weg zu den 5,4 Millionen Euro aber ist noch lang (siehe Hintergrund).

Die 80-jährige Erika B. engagierte im September 2005 die Krankenschwester Natalie Morgenbesser als Pflegerin rund um die Uhr. Die krebskranke Hofratswitwe lebte zwar in einem Wiener Innenstadt-Palais, "aber dass sie so reich ist, hätte man nicht vermutet" (Morgenbesser). Sie hatte keine Kinder und erklärte, "so eine Tochter hätte sie sich immer gewünscht." Schließlich wollte sie die Krankenschwester adoptieren. Am 13. September 2006 sollte der unterschriebene Adoptionsantrag bei Gericht abgesegnet werden, am 11. September starb Erika B. In den Wochen davor, als es ihr schon schlecht ging, soll die alte Dame darauf gedrängt haben, ihr Testament zu ändern. Sie habe ihr Vermögen Morgenbesser hinterlassen wollen. Rasch wurden drei Zeugen und ein Ersatzzeuge, ein Kriminalbeamter, besorgt, und Erika B. soll das Testament unterfertigt haben.

Der Haken daran ist ein Wiener Anwalt, der Erika B. betreut hatte, auch ihm bzw. seinen Kindern hatte die alte Dame ein Erbe versprochen. Und dann gibt es noch eine in der Schweiz lebende Nichte, die ebenfalls über ein (älteres) Testament verfügt.

Mordverdacht

Nichte und Anwalt erstatteten umgehend Anzeige – wegen Mordverdachts. Der Anwalt setzte eine zweite Obduktion durch, es wurde nichts Verdächtiges gefunden. Aber der Anwalt legte auch gleich das Privatgutachten eines Grafologen vor, der die Unterschriften von Erika B. für gefälscht hielt. Dieses Privatgutachten eines Privatbeteiligten (des Anwalts) diente als Grundlage für die Anklage und auch gleich für eine Verurteilung wegen Betruges, obwohl Privatgutachten damals offiziell bei Gericht noch nicht zählten.

Morgenbesser bekam sechseinhalb Jahre Haft, das Urteil wurde rechtskräftig. Gestützt waren die Schuldsprüche auch auf die Aussage der Putzfrau von Erika B. Die 21-Jährige war zuvor in die Kanzlei des Anwalt geladen worden und hatte dort 75.000 Euro erhalten (angeblich ein Wunsch der Verstorbenen). Im Zeugenstand betete die des Deutschen kaum mächtige Frau einen (eingelernten?) Satz herunter, den Natalie Morgenbesser auch von Nachbarn und anderen Zeugen im Prozess zu hören bekam: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau B. alles Natalie Morgenbesser hinterlassen wollte."

Im April 2012 – Morgenbesser konnte mit knapper Müh und Not einen Haftaufschub erreichen – sorgten zwei neue Gutachten für eine Aufhebung der Verurteilung und eine Wiederaufnahme des Verfahrens: Beide Sachverständige zerpflückten das erste Gutachten und billigten den Unterschriften mit hoher Wahrscheinlichkeit Echtheit zu.

War’s das? Von wegen. Der aufs Erbe spekulierende Anwalt erreichte, dass noch ein Obergutachten eingeholt wurde. Ein deutscher Grafologe bekundete auf 270 Seiten, dass "die Urheberschaft der Unterschriften nicht eindeutig zu beantworten ist." Auch eine Antwort: Sie widerlegt zumindest die Behauptung, Morgenbesser hätte sie gefälscht.

Und? Seit August 2013 lässt eine Staatsanwältin darauf warten, das Strafverfahren endlich einzustellen.

Wo sind die 5,4 Millionen? Das Bezirksgericht hat das Vermögen längst den vermeintlichen Erben, dem Wiener Anwalt und der Nichte in der Schweiz, eingeantwortet, wie der Fachjargon lautet. Sobald das Strafverfahren gegen Natalie Morgenbesser eingestellt ist, wird sie ihr Testament erneut bei Gericht vorlegen. Ein Zivilprozess um Herausgabe des Erbes wird folgen.

Anwalt Bereis meint, auch wenn das Zivilgericht nicht an Ergebnisse des Strafgerichts gebunden ist, seien die Beweise doch schon „ausgequetscht“. Ganz von vorne wird man nicht beginnen. Mit dem Instanzenzug müsse man sich aber schon auf zwei weitere Jahre einstellen.

Übrigens gibt es im Strafakt Briefe von Erika B. an Freundinnen, in denen sie von Morgenbesser schwärmt. Nicht einmal eigene Kinder würden sich so kümmern. Auch das hat Beweiskraft. Und die Tatsache, dass Erika B. einer anderen Pflegerin, der Vorgängerin von Morgenbesser, 220.000 Euro überlassen hat, damit sich diese selbstständig machen kann. Erika B. war also durchaus freigiebig, wenn man sich um sie bemühte.

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