Eintrittskarten für den Markusplatz
"Addio Venezia!" (Lebe wohl, Venedig) – mit Koffern und Transparenten demonstrierten im November hunderte Venezianer gegen ihre Stadtregierung. Auf Gondeln wurden leere Särge transportiert. Mit üppigem Blumenschmuck trugen die Venezianer ihr Venedig zu Grabe. Das Leben in der Lagunenstadt sei für die 55.000 Standfesten unzumutbar und unleistbar. Sie fühlten sich wie Statisten in einem Disneyland.
Am Freitag stellte der unkonventionelle Bürgermeister Luigi Brugnaro sein Maßnahmenpaket vor, nach einer langem nächtlichen Sitzung im Gemeinderat: In Zukunft sollen die Gäste gezählt werden, wie eben in Disneyland. Noch in diesem Sommer sollen Drehkreuze an drei Brücken getestet und Eintrittskarten für den Markusplatz verkauft werden. Die Stadt will den Zugang von Besuchern zu strategischen Orten wie der Calatrava-Brücke am Eingang der Stadt regeln. Brugnaro möchte auch ein System zur Online-Buchung einführen, das mit der Hotellerie und Touristikverbänden entwickelt werden soll.
Im Endeffekt bedeutet das Vorrang für den Fünf-Sterne-Gast oder den Ausflügler eines Kreuzfahrtschiffes, der für sein Venedig-Package selbstverständlich mehr zahlen muss als der gewöhnliche Tagestourist und daher ohne längere Wartezeiten ins Museum darf.
Ziel sei es, einen "verantwortungsbewussten und nachhaltigen Tourismus" zu fördern und dabei die Interessen der Bewohner zu berücksichtigen. "Die Gemeinde will konkrete Antworten auf das Problem des Umgangs mit den touristischen Strömen geben", sagt der 55-jährige Bürgermeister Brugnaro, der vor zwei Jahren überraschend mit einer eigenen Liste die Wahlen gewann. Der Quereinsteiger in die Politik ist ein reicher Unternehmer, Betreiber einer Stellenvermittlung mit 600 Mitarbeitern und nebenbei Präsident und Besitzer des Basketballvereins Reyer Venezia.
Venedig ohne Venezianer
Die Stadt mit 177 Kanälen und 354 Brücken braucht ihre 20 Millionen Touristen jährlich, denn die Zahl der Bewohner ist seit 1951 von 175.000 auf weniger als 55.000 gesunken. Tausende Wohnungen sind mittlerweile ganzjährig vermietet, auch viele Österreicher haben sich in der Altstadt oder am Lido einen Zweitwohnsitz eingerichtet. Doch die Lebenshaltungskosten sind dreimal so hoch wie in den benachbarten Orten wie Mestre. Wegen der starken Nachfrage nach Ferienappartements kostet Eigentum bis zu 8000 Euro pro Quadratmeter.
Bürgerinitiativen haben bisher verhindert, dass große Hotelketten die halbe Stadt aufkaufen dürfen. Aber aufgrund der hohen Renovierungskosten der Gebäude, die teils auf Jahrhunderte alten Pfählen stehen, könnte der Widerstand bald umsonst gewesen sein.
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