Dutzende Tote bei Angriff auf Touristen
Blutbad im tunesischen Urlaubsort Sousse: Auf einem Strand vor zwei Hotels hat ein Angreifer am Freitag mindestens 39 Menschen erschossen, darunter ausländische Touristen. Der Mann sei nach dem "Terroranschlag" selbst getötet worden, teilte das Innenministerium mit.
Die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" hat die Verantwortung für den Anschlag übernommen. Der IS-Kämpfer habe sein Ziel trotz Sicherheitsvorkehrungen in dem Touristenort Sousse erreicht, hieß es in einer auf Twitter veröffentlichten Mitteilung. 40 "Ungläubige" seien dabei getötet worden.
Nach Angaben von Sicherheitsstaatssekretär Rafik Chelly handelt es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen Studenten, der seine Waffe in einem Sonnenschirm versteckte.
Unter den Toten sollen sich Deutsche, Briten, Belgier und Tunesier befinden. Die Behörden in Dublin bestätigten indes den Tod einer Irin. Laut tunesischem Gesundheitsministerium wurden 36 Menschen verletzt. Einige schwebten in Lebensgefahr.
Österreicher "wohlauf"
"Soweit wir das wissen, sind alle Österreicher wohlauf", das sagte Österreichs Botschafter in Tunesien, Gerhard Weinberger, am Freitagabend in der ZIB 2. "Wir haben entweder direkten Kontakt oder über die Reiseveranstalter", erklärte er. "Das funktioniert relativ gut." Es sei "ein sehr eigenartiges Gefühl" in der tunesischen Stadt Sousse zu sein, schilderte der Diplomat. Die Leute stünden unter Schock. Zudem hätten sie auch Angst vor der Zukunft, da die Stadt vom Fremdenverkehr lebe und somit bei dem Anschlag ein wichtiger Wirtschaftszweig getroffen worden sei. Trotzdem halte er die Situation in Tunesien nach dem Anschlag "für eine generelle Reisewarnung nicht geeignet". Infos zu Umbuchungen und Stornos siehe unten.
Nach Angaben des Marhaba-Hotels befanden sich 565 Gäste in der Fünf-Sterne-Anlage. Die meisten stammten demnach aus Großbritannien und "mitteleuropäischen Ländern". Das Hotel machte zunächst keine Angaben zur Nationalität der Opfer.
Der Konditor des Hotels berichtete, der Attentäter habe auf die Gäste am Strand und an den Pools gezielt. "Ich sah jemanden auf ältere Touristen schießen, sie sind tot", sagte er. Anschließend habe der Täter eine Handgranate am Pool geworfen. Eine AFP-Journalistin sah auf dem Hotelparkplatz zwei Leichen in Blutlachen sowie drei weitere Leichen am Rand des Pools.
Panik ausgebrochen
Ein britischer Tourist, der sich am Strand eines Nachbarhotels befand, berichtete von "Panik" unter den Badegästen. "Plötzlich haben wir hundert Meter weiter links ein Geräusch wie von Böllern gehört", sagte Gary Pine. Die mehreren hundert Menschen am Strand hätten aber schnell begriffen, dass es sich um Schüsse handelte und seien geflohen.
Bei dem mutmaßlichen Attentäter handelt es sich Chelly zufolge um einen bisher nicht polizeibekannten Mann aus der Region von Kairouan, der vierten heiligen Stätte des Islams. Chelly sagte dem Radiosender Mosaique FM, der Attentäter habe ausgesehen, als sei er unterwegs zum Baden.
Reaktionen
Frankreichs Präsident François Hollande und Tunesiens Staatschef Béji Caïd Essebsi sprachen sich ihre Solidarität "angesichts des Terrorismus'" aus.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner spricht in einer ersten Reaktion von einem "dunklen Tag, jede Art des Extremismus ist eine Bedrohung für unsere freie, offene Gesellschaft.“ Österreichs Sicherheitsbehörden seien mit den französischen und den tunesischen Behörden in Kontakt. Derzeit gebe es keinen Österreichbezug.
"Ich verurteile diesen feigen Akt der Barbarei auf das Schärfste. Unser aufrichtiges und tief empfundenes Mitgefühl gilt in diesen schweren Stunden den Angehörigen und Freunden der Opfer", erklärte Außenminister Sebastian Kurz.
Sousse
Sousse ist eine Hafenstadt am Mittelmeer und zugleich die drittgrößte Stadt in Tunesien. Die Stadt im Osten des Landes ist einer der beliebtesten Badeorte des Landes und wird häufig von Urlaubern aus Europa und nordafrikanischen Nachbarländern besucht.
Bluttat im Nationalmuseum im März
Es war nicht die einzige blutige Attacke heute: Ein Selbstmordanschlag in einer Moschee in Kuwait forderte ein Dutzend Todesopfer. Dort bekannte sich die Terrormiliz IS zur Gewalt. Zudem wurde in Frankreich ein islamistischer Terroranschlag auf eine Gasfabrik verübt.
Nach dem Anschlag mit zahlreichen Toten in Tunesien bietet TUI Urlaubern aus Österreich und Deutschland den kostenlosen Rücktritt von Reisen in das Land an. TUI-Gäste, die in der aktuellen Sommersaison eine Tunesien-Reise gebucht haben, könnten bis einschließlich 15. September gebührenfrei umbuchen oder stornieren, teilte der Tourismuskonzern am Freitag mit.
Für Urlauber vor Ort, die ihre Reise vorzeitig beenden wollten, organisiere TUI vorzeitige Abreisen, wenn dies möglich sei, sagte TUI-Österreich-Sprecherin Kathrin Limpel. Derzeit befinden sich laut dem Unternehmen rund 3.800 deutsche TUI-Gäste in Tunesien. Zur Zahl der österreichischen Urlauber könne sie aber keine Angaben machen, sagte die Sprecherin.
Anders als in Ländern wie Libyen, Syrien oder Ägypten blieb es in Tunesien nach den Volksaufständen des "Arabischen Frühlings" lange Zeit ruhig. Allerdings gibt es mehrere islamistische Extremistengruppen in dem Land, etwa die Ansar al-Scharia. Im Nachbarland Libyen versucht zudem die IS-Miliz an Boden zu gewinnen. Nach Schätzungen der Behörden haben sich 3.000 Tunesier dem IS in Syrien oder dem Irak angeschlossen. Die tunesische Regierung ist in Sorge, dass Rückkehrer im Land Anschläge verüben könnten.
Überblick
Islamistische Kämpfer in Gebirgsregionen
Schon seit den politischen Umwälzungen in Tunesien 2011, dem Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings, haben sich Islamisten in die Gebirgsregion an der Grenze zu Algerien zurückgezogen. Sie bekennen sich heute zum Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQMI) oder zur Jihadisten-Gruppe "Islamischer Staat" (IS). Immer wieder hat die tunesische Armee mit größeren Offensiven versucht, die Islamisten zu vertreiben, bisher aber ohne Erfolg. Vielmehr wurden bei Gefechten dutzende Soldaten getötet.
Immer wieder attackieren die Islamisten Regierungstruppen. Im Februar töteten islamistische Kämpfer nahe der Grenze zu Algerien in einem Hinterhalt vier tunesische Polizisten und raubten ihre Waffen. Mitte Mai töteten Soldaten bei einer Militäroperation in der Unruherprovinz Kasserine an der algerischen Grenze vier Jihadisten.
Chaos im Nachbarland Libyen
Die dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage im östlich angrenzenden Krisenstaat Libyen hat auch Auswirkungen auf die Lage in Tunesien. Islamisten können die lange Grenze unbehelligt passieren, die durch Wüstengebiete verläuft und so gut wie unkontrollierbar ist. "Natürlich erhöht die geografische Nähe die Risiken", erklärte kürzlich Jamil Sayah von der tunesischen Beobachtungsstelle für globale Sicherheit. Die Staaten in der Region bräuchten eine "gemeinsame Strategie, um den IS innerhalb der Grenzen Libyens zu ersticken".
Tunesische IS-Kämpfer in Syrien und im Irak
Zwischen 2.000 und 3.000 junge Tunesier haben sich Schätzungen zufolge in den vergangenen Jahren den Islamisten in Syrien und im Irak angeschlossen - es ist das wohl größte Kontingent ausländischer Kämpfer in der Region. Mindestens 500 von ihnen sollen inzwischen aus dem Kampfgebiet zurückgekehrt sein und sind nun eine ständige Bedrohung in Tunesien selbst. "Salafistische jihadistische Gruppen schicken junge Leute nach Syrien, um sie vorzubereiten und für einen möglichen Kampf in Tunesien auszubilden", sagt der tunesische Analyst Slaheddine Jourchi.
Im vergangenen Dezember veröffentlichte der Franko-Tunesier Boubaker al-Hakim von Syrien aus ein Video, in dem er sich mit der Ermordung der beiden bekannten tunesischen Oppositionellen Chokri Belaid und Mohamed Brahmi im Jahr 2013 brüstete. "Wir werden zurückkommen und mehrere von euch töten", warnte der IS-Kämpfer an seine Landsleute gerichtet. "Ihr werdet nicht in Frieden leben, solange Tunesien nicht das islamische Recht anwendet."
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