Blasphemie-Urteil: „Ist das Paradies etwa ein Bordell?“
Ein scharfer Kritiker des national-religiösen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan, wurde der türkische Starpianist und Komponist Fazil Say, 43, am Montag in Istanbul von einem Gericht zu zehn Monaten bedingter Haft wegen Blasphemie verurteilt.
Anfang April 2012 löste Fazil Say eine Welle der Empörung bei religiösen Fundamentalisten in der Türkei aus. Der bekennende Atheist hatte sich in seinem Twitter-Account unter anderem über einen Muezzin und den Koran amüsiert. Am 5. April 2012 hatte er sich über einen Muezzin lustig gemacht, der bei seinem Gebetsaufruf besondere Eile an den Tag gelegt hatte: In nur 22 Sekunden sei dessen Gesang beendet gewesen, und Say tweetete: „Warum so eine Eile? Hast du eine Geliebte, die auf dich wartet, oder einen Raki auf dem Tisch?“ In einem anderen Tweet fragte er: „Ich weiß nicht, ob ihr es gemerkt habt? Überall, wo es Schwätzer, Gemeine, Sensationsgierige, Diebe, Scharlatane gibt, sie alle sind übertrieben gläubig. Ist das ein Paradoxon?“
Say tweetete auch Verse, die dem mittelalterlichen persischen Dichter Omar Khayyām (1048–1131) zugeschrieben werden, in denen es u.a. heißt: „Du sagst, in den Flüssen (im Paradies) wird Wein fließen – ist denn das Paradies eine Kneipe?“ – oder bezüglich der Jungfrauen, die den Gläubigen vom Koran im Paradies versprochen werden: „Ist das Paradies etwa ein wunderbares Bordell?“
Drei türkische Bürger hatten daraufhin Anzeige erstattet. Ob aus eigenem Antrieb oder nicht, ist unklar.
Say will nach Japan auswandern, bei der Urteilsverkündung war er nicht anwesend, er befindet sich auf Tournee in Deutschland. Der Sohn eines Musikwissenschaftlers wurde bereits als Kind von David Levin entdeckt und gefördert. Weil er mit einer Lippen-Kiefern-Gaumenspalte geboren wurde, schenkten ihm die Eltern ein Blasinstrument, bald saß er am Klavier. Say schämt sich „für das Arabesk-Proletentum beim türkischen Volk“.
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