Retter berichten: "Es waren Szenen aus der Hölle"
Kinderschuhe, Gewand und Rucksäcke trieben im Wasser Der britische Journalist Nick Squires vom Daily Telegraph hat mit Fischern gesprochen, die nach der großen Flüchtlingstragödie am Sonntag zum Unglücksort gefahren sind. Fast 20 Boote, darunter Schiffe der italienischen und maltesischen Küstenwache, versuchten Überlebende zu finden. Doch die meisten Menschen an Bord des gekenterten Fischkutters sind mit dem Boot untergegangen. Denn viele Passagiere waren wie auf den einstigen Sklavenschiffen unter Deck eingesperrt. Das sei so üblich, erfuhr Squires bei seinen Gesprächen mit den erfahrenen Seeleuten. Damit wollen die Schmuggler ihre menschliche Fracht während der gefährlichen Überfahrt nach Europa unter Kontrolle behalten. Denn ihre Boote haben sie ja aus Geldgier absichtlich überladen.
Das Boot war 70 Meilen nördlich von Libyen in der Straße von Sizilien gesunken. Nur 24 Leichen konnten geborgen werden. Für Fischer, die seit Jahren immer wieder Schiffbrüchige aufgenommen haben, stellt das Drama auf dem Mittelmeer eine enorme psychische Belastung dar. Wo Fische ins Netz gehen sollen, finden sich manchmal Leichenteile. Ein Offizier an Bord eines Schiffs des italienischen Zolls musste den Leichnam eines etwa zehn- bis zwölfjährigen Buben an Bord holen. Francesco Gallo schilderte La Repubblica dieses traumatische Ereignis: „Als ich das Kind da im Wasser sah, hab’ ich zuerst tief in meinem Herzen gebetet, es möge noch leben. Aber dann war die Hoffnung dahin. Ich habe den Buben in den Armen gehalten, als wäre es mein eigener Sohn gewesen.“
Vincenzo Bonomo, der Kapitän eines Fischerboots, das sich mehr als zehn Stunden an der Suche beteiligte, sagte La Repubblica: „Was wir gesehen haben, hat auch uns harten Seeleuten ganz furchtbar wehgetan. Wir sahen Kinderschuhe, Kleidung, Rücksäcke, die im Wasser trieben. Aber wir konnten keine einzige Leiche bergen, die man dann wenigstens hätte begraben können. Es hat mir das Herz gebrochen.“ Die ganze Zeit hätten sie gehofft, doch noch irgendwo einen Überlebenden zu finden, denn das Wetter war gut und die See nicht zu kalt. Vito Margiotta, noch ein Fischer, der zum Unglücksort gerufen wurde: „Es waren Szenen aus der Hölle. Da war überall Treibgut. Und ein großer Ölfleck vom Diesel. Wir haben auch ein paar Menschen da treiben gesehen, unglücklicherweise alle tot.“
Festnahmen
Der Kapitän und ein zweites Crewmitglied des Unglücksschiffes sind mittlerweile festgenommen worden. Es handelt sich um einen 27-jährigen Tunesier und einen 25-jährigen Syrer. Dem Kapitän des Flüchtlingsbootes wird vielfacher Totschlag, Verursachen eines Schiffsuntergangs und Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen. Der 25-jährige Syrer wird der Beihilfe zur illegalen Einwanderung verdächtigt.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft von Palermo, die wegen des Schiffsunglücks ermittelt, kenterte das in Libyen gestartete überfüllte Boot in der Nacht zu Sonntag wegen eines Fehlers des Kapitäns. Dieser verursacht eine Kollision mit dem portugiesischen Handelsschiff "King Jacob", das den Flüchtlingen zur Hilfe geeilt war.
Seit Oktober gibt es das Netzwerk „Watch The Med“. 100 Aktivisten in Afrika und Europa haben ein Alarmtelefon (www.watchthemed.net ) eingerichtet. Flüchtlinge in Seenot können, sofern sie Satellitentelefone haben, die diensthabenden Freiwilligen anrufen, die dann Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Dazu gehört auch die Wienerin Fanny Müller-Uri, eine Rassismusforscherin an der Uni Wien, die an diesem Monitoring-Projekt teilnimmt. Ihrer Ansicht nach sollte jeder Flüchtling auf sicheren Schiffen, am besten auf Fähren, also mit organisierten Überfahrten, nach Europa gebracht werden können. Freie Grenzen für alle. „Die Migranten suchen ein besseres Leben und wissen auch, was sie riskieren, wenn sie in ein Schlauchboot steigen. Solange sich in ihren Herkunftsländern nichts ändert, müssen wir sie aufnehmen“, so Müller-Uri, die sich auch gegen den WKR-Ball engagiert.
Das Wort Schlepper ist ihr ein Dorn im Auge. Das beinhalte eine Diskriminierung, Menschen, die gegen Geld helfen, werde es immer geben. Schlepper als Dienstleister halt. Das Alarm Phone soll eingeschaltet bleiben, solange es Menschen gibt, die im Mittelmeer in Seenot geraten und ertrinken. „Ich will in keiner Gesellschaft leben, in der wir Leute sterben lassen.“
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